Nach dem Weltfrauentag ist vor dem Weltfrauentag. Ich will nicht falsch verstanden werden: Um die Gleichberechtigung von Frauen zu erreichen, ist noch reichlich Luft nach oben. Der Gender Pay Gap oder die viel zu hohe Zahl der Femizide sind nur zwei Beispiele dafür, dass immer noch, nach mehr als 100 Jahren Frauenbewegung, jede Menge zu tun ist, um eine tatsächliche Gleichstellung zu erreichen. Spätestens, wenn ich dann alle Jahre wieder am 8. März sogar von konservativen Politikern "Alles Gute zum Internationalen Frauentag" lese, weiß ich, dass das nichts für mich ist. Wer Frauen 364 Tage im Jahr geringschätzig behandelt, kann sich das Gesülze am Frauentag sparen.
Deshalb habe ich beschlossen, mich weder in meiner Bücherkiste noch auf meinem zweiten Blog an diesem Tag zu äußern. In den letzten Jahren habe ich das getan und gemerkt, dass das meinem Blutdruck nicht gutgetan hat. Also Schluss damit.
Ich bleibe aber selbstverständlich am Thema dran, was sich auch immer wieder bei der Buchauswahl für die Bücherkiste niederschlägt. Vor Kurzem bin ich auf zwei sehr interessante Titel gestoßen, die ich Euch nun gern vorstellen möchte.
Virginia Woolf: Ein eigenes Zimmer / Ein Zimmer für sich allein
Virginia Woolf hat das Essay bereits 1929 unter demTitel A Room Of One's Own veröffentlicht. Es geht auf zwei Vorträge zurück, die Woolf ein Jahr zuvor vor Studentinnen der Cambridge University gehalten hat. Die jungen Frauen studierten an zwei Colleges, die eigens als männerfreie Lernorte gegründet worden waren. Das Thema der Vorträge: "Frauen und Literatur". Die Schriftstellerin rang mit sich, was darunter zu verstehen sei: Literatur über Frauen? Literatur von Frauen? Oder etwas ganz anderes? Sie entschied sich, über die zwei grundlegenden Voraussetzungen zu sprechen, die Menschen zum Schreiben brauchen: genug Geld und einen eigenen Platz zum Arbeiten.
Virginia Woolf bedient sich in ihrem Essay eines literarischen Tricks: Anstelle von sich selbst und ihrer eigenen Wahrnehmung zu sprechen, wenn es um die alltägliche Ungleichbehandlung von Frauen gegenüber Männern geht, lässt sie die fiktive Figur "Mary" für sich sprechen. Mary erlebt, was Woolf anprangert: Frauen dürfen nur in Begleitung eines Mannes die Universitätsbibliothek betreten, und ein örtliches Frauencollege muss um seine Existenz bangen, wenn nicht bald genügend Spenden eingesammelt werden können. Marys Fazit: Während männliche Bildung mit viel Aufwand gefördert wird, müssen Frauen um ihre soziale Stellung und ihr finanzielles Überleben kämpfen.
Die junge Frau will herausfinden, was der Grund für die ungleiche Behandlung von Frauen und Männern ist. Die Nationalbibliothek des Vereinigten Königreichs, die British Library in London, erscheint Mary als die richtige Anlaufstelle für ihr Anliegen. Doch sie wird enttäuscht: Alle Schriften, die sich mit Frauen beschäftigen, wurden von Männern geschrieben. Frauen waren Objekte, die man beobachtete und analysierte, sie nahmen jedoch nicht selbst die Rolle der Forschenden ein.
53 Jahre nach Virginia Woolfs Tod erschien in einer großen deutschen Wochenzeitung ein Essay über die Schriftstellerin. Es beginnt mit diesen Worten: "Sie war eine frigide Frau - und hatte ein Verhältnis mit ihrem Schwager, mit ihrem homosexuellen Kollegen Lytton Strachey und ihrer lesbischen Kollegin Sackville-West, als sie schon glücklich verheiratet war." Mehr muss man nicht wissen, um einen Eindruck davon zu haben, wie der damals bekannte Literaturkritiker Raddatz auf das Leben einer sehr viel bekannteren Schriftstellerin schaute und dass eine solche Einleitung unwidersprochen abgedruckt wurde.
Das Essay wird unter beiden oben genannten Titeln von unterschiedlichen Verlagen vertrieben. Da das gesamte Werk von Virginia Woolf seit dem 1. Januar 2012 gemeinfrei ist, reißt die Serie der deutschen "Neuübersetzungen" nicht ab.
Mary Beard: Frauen & Macht
Knapp 90 Jahre nach Virginia Woolfs Essay ist dieses
Buch der britischen Altphilologin und Cambridge-Professorin Mary Beard erschienen: Frauen & Macht. Beard beschäftigt sich darin mit der Frage, warum Frauen immer noch um Gleichberechtigung und Respekt ringen müssen und wie sie (von Männern) zum Schweigen gebracht werden.
Mary Beard geht weit in der Zeit zurück. Sie erläutert, dass die Rollenzuschreibungen ("Frauen können nicht...", "Frauen sind nur geschaffen für..." etc.) ihre Wurzeln in den großen Schriften der römischen und griechischen Antike haben. Insbesondere im antiken griechischen Theater kommen Frauen nicht gut weg, sobald sie in irgendeiner Form mit Macht in Berührung kommen: Entweder sie handeln, wie es ein Mann tun würde, oder sie missbrauchen ihren Einfluss. Die Verbindung von Macht und Frauen gilt als unnatürlich und nicht angebracht. Und immer geht es um das Recht zu sprechen, das Frauen schon damals oft verwehrt wurde.
Es sind die antiken Werke, die viele schon aus der Schule kennen, die Frauen per se einen niedrigeren Status als Männern zuweisen. Beard führt beispielhaft die Odyssee von Homer oder die Metamorphosen von Ovid an. Auch der Satz "Orator est vir bonus dicendi peritus" - "Ein Redner ist ein tüchtiger, im Reden erfahrener Mann" - lässt keinen Zweifel daran aufkommen, wie sinnvoll man es in der damaligen Gesellschaft fand, wenn Frauen ihre Stimme erhoben.
Aber jetzt sind wir im 21. Jahrhundert und alles ist viel besser - oder? Nein, wie Beard anhand von Beispielen nachweist. Ob es sich um den Versuch, eine US-Senatorin 2017 während einer Sitzung mundtot zu machen oder die bis heute geltenden Protokolle und Regeln des britischen Unterhauses aus dem 19. Jahrhundert handelt: Frauen wird immer noch zu oft das Recht verwehrt, sich zu äußern. Mary Beard belässt es nicht bei der Beschreibung dieses Missstands, sondern sie schlägt vor, wie diesem heute begegnet werden kann.
Frauen & Macht ist 2018 im S. Fischer Verlag erschienen und kostet in der gebundenen Ausgabe 13 Euro sowie als E-Book 9,99 Euro.
Lesen?
Keine Frage, beide Bücher sind absolut lesenswert, und zwar nicht nur für Frauen. Es ist völlig inakzeptabel, dass sich immer noch Männer in der Öffentlichkeit herabsetzend über Frauen äußern, ihnen de facto den Mund verbieten und das praktisch nicht kommentiert wird.
Heute fast vergessen sind die Ansichten des "Literaturpapstes" Reich-Ranicki. Als 1977 der erste Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt stattfand, kommentierte er den Vortrag der Schriftstellerin Karin Struck so: "„Wen interessiert, was eine Frau denkt, was sie fühlt, während sie menstruiert? Das ist keine Literatur – das ist ein Verbrechen.“ Noch im Jahr 2000 behauptete er zum wiederholten Mal, Frauen könnten keine Romane schreiben. Ihre Domäne sei die Lyrik und sie müssten mit dem Schreiben aufhören, sobald sie Kinder bekämen. Warum? "Fragen Sie einen Gynäkologen!" Sein 2002 erschienener 20-bändiger Literaturkanon enthält folgerichtig kein einziges Werk einer Frau.
Zum Schluss noch ein bisschen Statistik, die belegt, dass es Frauen in der Welt der Literatur nach wie vor schwer haben: Zwei Drittel der veröffentlichten Bücher stammen von Männern; Buchrezensionen in der Presse oder im Radio werden überwiegend von Männern und ebenfalls überwiegend über Titel von Autoren erstellt. Das habe ich übrigens im Buch Frauen Literatur - abgewertet, vergessen, wiederentdeckt von Nicole Seifert gelesen.
Ich bin gerade sehr über den Reich-Ranicki entsetzt!
AntwortenLöschenFür mich war er durchaus ein sehr konservativer Mensch. Aber er erschien mir klug und lernfähig.
LG
Sabiene
Ich konnte ihn schon damals nicht leiden, weil er über Bücher, die nicht zu 100 % auf seiner Linie lagen, extrem herabsetzend gesprochen hat. Aber diese Zitate von ihm sind mir erst untergekommen, als ich diesen Text schrieb. Grässlich!
LöschenLG
Ina