Seit Jahren liegt sein Jagdrevier in Afrika. Hunter hat die sogenannten "Big Five" - Afrikanischer Elefant, Nashorn, Kaffernbüffel, Leopard und Löwe - fast alle erlegt und die Trophäen seiner Frau nach Hause gebracht. Sie liebt die Trophäen, aber nicht das Jagen. Der Einstieg in Gaea Schoeters' Roman Trophäe kommt zu Beginn eher harmlos daher.
Nun will Hunter ein Spitzmaulnashorn erlegen. Die dafür nötige Lizenz hat er für einen sehr hohen Betrag über einen Umweg ersteigert, um seine Identität zu verschleiern und so Umweltschützern aus dem Weg zu gehen. Wie immer wird der Afrika-Trip von Hunters Freund van Heeren organisiert, der vor Ort über ausgezeichnete Kenntnisse und Kontakte verfügt. Mit dem für die Lizenz bezahlten Geld trägt Hunter zum Erhalt der Art bei. Doch kurz, bevor er zum Schuss kommt, wird die Jagd von Wilderern gestört, die das Tier brutal abschlachten.
Hunter ist nicht einfach nur wütend, weil ihm die Jagd verdorben wurde; in ihm staut sich ein hoher Adrenalin-Pegel an, der sich normalerweise mit dem Schuss entladen hätte, es nun aber nicht kann:
"Hunter brüllt. [...] Es ist kein Schrei des Entsetzens oder des Mitleids, sondern der Urschrei eines Raubtiers, das um seine Beute gebracht wurde: tierische Raserei."
In dieser Gemütsverfassung macht ihm van Heeren ein Angebot: Ob Hunter schon mal von den Big Six gehört habe? Worum es sich bei der sechsten Beute handelt, schockiert den erfahrenen Jäger zunächst: Sein Freund spricht von der Jagd auf einen Menschen. Genauer: auf einen jungen Mann, der zu einem Stamm gehört, der einst von den Kolonialherren vertrieben wurde, und den man nun 're-integriert' hat. Hunter müsste eine enorm hohe Gebühr bezahlen, die dem Stamm zugute käme: Mit dem Geld wäre es möglich, einen anderen, begabteren jungen Mann zur Ausbildung in die USA zu schicken und von seinem Wissen zu profitieren, wenn er danach (hoffentlich) zurückkehrt. Der Getötete jedoch würde auf eine Weise überleben wie die Tiere, die Hunter White bereits geschossen hat: als Trophäe, die in die USA reist.
Hunter ringt mit sich und diesen Regeln, die die Einheimischen jedoch offenbar normal finden: Das Wohl der Gemeinschaft steht über dem des Einzelnen. Diese Mechanismen waren ihm bislang neu, denn: "Für ihn ist Afrika ein großes Naturreservat, von Gott geschaffen, um ihm Freude zu bereiten; dass dort auch Menschen leben, richtig leben, hat er nie bewusst realisiert. [...] Afrika ist sein Vergnügungspark, sein Jagdgebiet. Mehr nicht."
Der Roman nimmt ab dem Moment Fahrt auf, in dem Hunter van Heerens Angebot annimmt. Aber die Jagd auf den jungen Mann, bei der er ausgerechnet von dessen bestem Freund begleitet wird, der ihm als Fährtenleser zur Seite stehen soll, nimmt einen ganz anderen Verlauf, als es sich Hunter vorgestellt hat. Er wird unmittelbar mit der Wildheit der Natur konfrontiert und zweifelt immer wieder an seiner Wahrnehmung. Spätestens hier wird Trophäe zum Pageturner.
Lesen?
Gaea Schoeters bettet den Konflikt, der durch die Rahmenbedingungen der Großwildjagd entsteht, sehr gekonnt in ihre Geschichte ein: ein Lebewesen muss durch die Jagd getötet werden, damit seine Art mithilfe der Lizenzeinnahmen erhalten werden kann. Dieses Prinzip auf den Menschen zu übertragen, ist im Zusammenhang mit der Romanhandlung brutal, aber konsequent: ein Leben für ein anderes, damit die Stammesgemeinschaft überleben kann.
Gleichzeitig hält die Autorin ihren Leserinnen und Lesern den Spiegel vor: Afrika als homogenen Kontinent zu betrachten, in dem alle Menschen auf irgendeine Weise gleich arm und unterentwickelt sind und das Land überall vertrocknet ist, ist eine typische Sichtweise der früheren Kolonialherren, die sich bis in unsere Zeit gehalten hat. Dass die Fläche Afrikas etwa drei Mal und die Einwohnerzahl fast doppelt so groß sind wie die Europas, ist hier wahrscheinlich kaum jemandem bewusst. Alles wird in einen Topf geworfen: Zwischen Ägypten (größte afrikanische Volkswirtschaft) und Burundi (ärmstes Land des Kontinents) wird aus unserer Warte kaum ein Unterschied gemacht. Damit sind wir hinsichtlich unseres Wissensstandes auf einer Stufe mit Hunter White.
Trophäe ist 2024 in der deutschen Übersetzung von Lisa Mensing im Paul Zsolnay Verlag erschienen und kostet als gebundenes Buch 24 Euro sowie als E-Book 17,99 Euro.
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