Der erfolgreiche Schauspieler Sabin Tambrea hat mit
seinem zweiten Roman Vaterländer ein sehr persönliches Buch vorgelegt. Er erzählt darin die Geschichte von drei Generationen seiner aus Rumänien stammenden Familie.
Wer sich mit der rumänischen Geschichte beschäftigt hat, weiß, wie viel Gewalt und Leid der Bevölkerung angetan wurde, seitdem aus dem Land 1948 eine stalinistisch geprägte Volksrepublik wurde. Im selben Jahr entstand die Geheimpolizei Securitate, deren willfährige Helfer vor keiner grausamen Gewalttat zurückschreckten, um die Bevölkerung mundtot zu machen.
Die Securitate entwickelte sich unter der Diktatur von Nicolae Ceaușescu zu einer Folterorganisation, die half, die herrschenden Machtverhältnisse zu festigen. Das wahre Ausmaß ihrer Barbarei kam erst ans Licht, nachdem die Diktatur mit der Hinrichtung von Nicolae Ceaușescu und seiner Frau Elena ihr Ende gefunden hatte.
In diesem Zeitraum bewegt sich die Handlung von Vaterländer. Tambrea beginnt 1987 mit der Auswanderung seiner Familie nach Deutschland, die außer ihm aus dem Vater Béla, der Mutter Rodica und der Schwester Alina bestand. Sabin Tambrea ist zu diesem Zeitpunkt zweieinhalb Jahre alt und Béla bereits seit zwei Jahren in Marl. Er hatte bei einer Konzertreise die Gelegenheit zur Flucht genutzt. Wie seine Frau ist er Berufsmusiker.
Tambrea beschreibt das Heimweh der Mutter, die vor allem ihre Eltern vermisst, und wie es ist, alles aufzugeben, um in einem fremden Land neu anzufangen. Béla hat sich bereits eingelebt, aber Rodica fällt es schwerer, sich an die fremde Umgebung zu gewöhnen. Als sie nach dem Sturz Ceaușescus 1989 zum ersten Mal wieder in die Heimat fahren, erleben sie an der rumänischen Grenze, dass die im Regime übliche Korruption nicht mit diesem verschwunden ist.
Sabin Tambrea hat seinen Roman in drei Abschnitte aufgeteilt. Im ersten geht es um die Ankunft der Mutter mit ihren beiden Kindern in Marl, wo der Vater eine Wohnung gemietet hat, und ihre Schwierigkeiten, beruflich Fuß zu fassen und mit der ständigen Geldnot zurechtzukommen. Tambrea schreibt über seine Verlustängste in dieser Zeit, die er als Junge lange nicht überwinden konnte.
Béla und Rodica legen großen Wert auf die musikalische Erziehung ihrer Kinder. Der Geigenunterricht ist selbstverständlich, und es wird erwartet, dass Alina und Sabin bei Wettbewerben zu den Besten gehören. Als Rodica endlich eine feste Stelle in einem Orchester bekommt, bessert sich die Situation der Familie. Doch weil der Familienzusammenhalt auch über die Grenzen hinweg besteht, wird viel Geld dafür aufgebracht, die Verwandten in Rumänien zu unterstützen.
Im zweiten Teil des Romans kommt Tambreas Großvater Horea zu Wort, den er immer als freundlich lächelnden Mann wahrgenommen hatte. Nach dessen Tod werden in seinem Kleiderschrank seine Memoiren gefunden, in denen er ausführlich die Umstände seiner Verhaftung im April 1949 durch die Securitate wegen einer Nichtigkeit beschreibt. Er wird unter grausamen Umständen ohne Gerichtsurteil in mehreren Gefängnissen unschuldig festgehalten und erst nach fast drei Jahren freigelassen. Nach dieser Zeit gilt er als ehemaliger politischer Gefangener, was ihn für den Rest seines Lebens immer wieder benachteiligt.
Im dritten Abschnitt erklärt Tambrea, wie sich seine Eltern kennengelernt haben und es zu der Entscheidung, das Land zu verlassen, gekommen ist. Die schlechten Bedingungen, unter denen die Bevölkerung zu leiden hatte, sowie eine vom Regime geförderte Kultur der Denunziation machten das Leben in der Ceaușescu-Diktatur unerträglich.
Lesen?
Sabin Tambrea zeigt in Vaterländer den Bruch, den eine Flucht mit sich bringt. Er zeigt auch, dass starke Gründe dazu führen, dass man das, was einem lieb und teuer ist, verlässt: die Heimat, die Menschen, das gewohnte Umfeld. Die, die diesen Weg gehen, wissen nicht, ob sie ihre Familie jemals wiedersehen. Béla Tambrea hat damals viel Mut aufgebracht, diesen Schritt zu gehen. Und Großvater Horea hat die schwersten Jahre seines Lebens in den Fängen der Securitate nicht nur überlebt, sondern sich trotz allem sein freundliches und zugewandtes Wesen bewahrt.
Vaterländer ist 2024 im Gutkind Verlag erschienen und kostet gebunden 24 Euro sowie als E-Book 20,99 Euro.
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