Mittwoch, 4. Dezember 2024

#458 - Ein anderes Leben - aber wessen?

Die Schauspielerin Caroline Peters hat ihr erstes Buch geschrieben. Bislang war sie dem breiten Publikum als Teil des Ensembles am Wiener Burgtheater und in der Rolle der Kommissarin Sophie Haas in der Krimi-Serie "Mord mit Aussicht" bekannt.

Schon viele Schauspieler und Schauspielerinnen haben sich als Autoren versucht. Das gelang mal gut und mal weniger gut. In Ein anderes Leben entwirft Peters das Leben einer Patchwork-Familie, in deren Mittelpunkt die Mutter Hanna steht. Das ist zunächst ein bisschen kurios, weil die Handlung auf dem Friedhof beginnt: Peter, der Vater der Ich-Erzählerin und von allen "Bow" genannt, ist gestorben. Peter war Hannas dritter Ehemann, die ersten beiden waren seine besten Studienfreunde. Von jedem Ehemann hat Hanna, die schon seit etlichen Jahren nicht mehr lebt, eine Tochter: Laura von Klaus, Lotta von Roberto, die Erzählerin von Bow, von dem Hanna ebenfalls seit langem geschieden ist. Treffend lässt Caroline Peters ihre Erzählerin diesen Satz sagen:

Heute ist die Beerdigung meines Vaters, und für mich ist es die Auferstehung meiner Mutter. Ich kann es nicht anders sagen. So viele Jahre vor ihm ist sie gestorben.

Doch Hanna war nicht nur wegen dieser Familienkonstellation eine ungewöhnliche Mutter. Sie versuchte, trotz des Mutter-Seins Konventionen zu ignorieren. Das ist allerdings nicht so einfach: Die promovierte Germanistin und Slawistin mit einem ausgeprägten Faible für das Übersetzen von russischer Literatur musste sich um ihre Kinder kümmern. Ihr dritter Mann Bow war Architekt und hatte so viel zu tun, dass er am Alltag nur sporadisch teilnahm.
Hannas Kompromiss, ihre Leidenschaft und ihre Pflichten als Mutter halbwegs unter einen Hut zu bekommen, war ihre Arbeit in der Universitätsbibliothek.

Doch Hanna entsprach nicht dem traditionellen Mutterbild, das vorsieht, dass die Kinder immer an erster Stelle stehen und die Mutter ihre eigenen Bedürfnisse hintanstellt. Sie wie auch Papa Bow verhielten sich zumindest ihrer jüngsten Tochter gegenüber manchmal fast schon lieblos: Zu ihrer Einschulung reisten die Eltern in die USA, nach vierwöchigen Sommerferien bei der Oma holten sie das Kind nicht vom Bahnhof ab.

Caroline Peters wirbt jedoch auch um Verständnis um manche auf den ersten Blick seltsamen Verhaltensweisen von Mutter und Vater, weil sie oft auf Erfahrungen beruhten, die beide während des Zweiten Weltkriegs gemacht haben.

Ein anderes Leben zeigt jedoch auch, was die meisten von uns selbst schon festgestellt haben werden, wenn sie mit anderen über "früher" gesprochen haben: Die Erzählerin und ihre beiden deutlich älteren Schwestern tauschen sich noch während der Trauerfeier über Ereignisse und Erlebnisse mit Hanna und ihren jeweiligen Vätern aus - um festzustellen, dass es nicht die eine Erinnerung gibt, sondern jeder anders an vergangene Zeiten zurückdenkt.

Lesen?

Caroline Peters hat in Interviews mehrmals betont, dass in ihre Figur Hanna vieles von ihrer eigenen und schon lange verstorbenen Mutter eingeflossen ist, es sich aber nicht um sie handelt. Sie ist sich jedoch sicher, dass ihre Mutter oft gern so wie die Hanna im Roman ihrer Tochter gewesen und Ein anderes Leben gelebt hätte. Die Grenzen zwischen tatsächlicher Familiengeschichte und Fiktion verschwimmen in Peters' Geschichte. Aber ist das im Leben nicht ebenfalls oft so?

Mit Ein anderes Leben hat Caroline Peters bewiesen, dass sie nicht nur eine gute Schauspielerin ist, sondern auch schreiben kann.

Ein anderes Leben ist 2024 im Rowohlt Verlag erschienen und kostet als Hardcover 23 Euro sowie als E-Book 19,99 Euro.


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