Der 1999 verstorbene Sebastian Haffner wurde als
Journalist und Autor von zeitgeschichtlichen Büchern wie Anmerkungen zu Hitler oder Von Bismarck zu Hitler bekannt. Auf Anraten seines Vaters stellte er seinen Wunsch, Schriftsteller zu werden, zurück, und studierte Jura. Erst jetzt, fast einhundert Jahre nach dessen Fertigstellung, erscheint Haffners Roman Abschied.
Haffner, der unter dem Namen Raimund Pretzel geboren wurde, schildert seine Liebe zu Teddy während seiner Zeit als Rechtsreferendar am Amtsgericht Rheinsberg. Mit Teddy ist Gertrude Joseph gemeint, die als Jüdin bereits 1930 angesichts des in Deutschland erstarkenden Nationalsozialismus' nach Paris emigrierte und dort studierte. Teddy umgab sich mit interessanten Personen und war für Haffner die Verkörperung von Lebenslust und Unabhängigkeit. Die beiden fühlten sich zueinander hingezogen, wurden aber nie das, was man als Liebespaar bezeichnen würde. Abschied spielt 1930 zwischen Rheinsberg und Berlin sowie 1931 in einer Pension in Paris, in die sich Haffner für seinen Besuch bei Teddy eingemietet hat. Dort wohnt die junge Frau ebenfalls, und der verliebte Referendar erlebt, wie seine Angebetete ihre Zeit verbringt - und mit wem.
Haffners Beziehung mit Teddy ist ein Wechselspiel zwischen Anziehung und Abstoßung. Man spürt beim Lesen, wie sehr sein Herz an ihr hängt und ahnt früh die Melancholie des Abschieds, die sich auf dem Bahnsteig des Gare du Nord einstellt. Das letzte Gespräch der beiden bleibt im Ungefähren, es werden keine Zusagen oder gar Liebesschwüre ausgetauscht, die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft machen könnten.
Lesen?
Raimund Pretzel emigrierte 1938 nach Großbritannien, nachdem er im nationalsozialistischen Deutschland weder persönlich noch politisch eine Zukunft sah. Da er sich in Deutschland in einem liberalen Umfeld bewegte, befürchtete er Repressalien. In Großbritannien arbeitete er als Journalist und nahm den Namen Sebastian Haffner an, um insbesondere seine Eltern zu schützen.
Haffner hat Abschied innerhalb weniger Wochen zwischen dem 18. Oktober und dem 23. November 1932 geschrieben. Sein Roman ist in einem gerade für die damalige Zeit gelösten und beschwingten Stil verfasst. Die Sprache macht jedoch deutlich, wie viel Zeit über das Buch hinweggegangen ist: Haffner verwendet häufig veraltet wirkende Begriffe oder Formulierungen, die heute in einem anderen Kontext stehen. So beschreibt er beispielsweise den Inhalt seines überquellenden Reisekoffers mit dem Satz: "In meinem Koffer ging es zu wie in einem Konzentrationslager oder in einem Flüchtlingszug." Das erste NS-Konzentrationslager (Dachau) gab es allerdings erst 1933. Der Begriff war jedoch seit dem 19. Jahrhundert in Zusammenhang mit den kubanischen Unabhängigkeitskriegen (1868-1898) und dem Burenkrieg (1899-1902) in der Welt.
Die Familie von Sebastian Haffner, insbesondere sein Sohn Oliver Pretzel, haben die Veröffentlichung von Abschied ermöglicht. Eine gute Entscheidung.
Abschied wurde 2025 im Carl Hanser Verlag veröffentlicht und kostet 24 Euro.
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