Roman mit autobiografischen Zügen
Wie der Soldat das Grammofon repariert ist das erste Buch
des gebürtigen Jugoslawen Saša Stanišić. Die Hauptfigur Aleksandar steht
stellvertretend für den Autor und schildert, wie er als Vierzehnjähriger den
Ausbruch des Bürgerkriegs in seinem Heimatort Višegrad erlebt hat, mit der
Familie nach Deutschland geflüchtet und nach einigen Jahren in die alte Heimat
zurückgekehrt ist.
Brutalität, Familie und viel Merkwürdiges
Saša Stanišić lässt es in seinem Roman sehr langsam angehen. Auf
den ersten 134 Seiten erfährt der Leser, in welchem Umfeld Aleksandar aufwächst:
Sein Vater ist ein introvertierter Maler, die Mutter neigt zu Depressionen, und
dann gibt es da noch die Tanten, Onkel und eineinhalb Großelternpaare; ein bereits
verstorbener Großvater wird nahezu verschwiegen, weil er die Familie mit seiner
sehr speziellen Art offenbar zu viele Nerven gekostet hat. Niemand trauert ihm
nach. Auch die Schule ist ein Thema, was in diesem Alter nicht weiter
erstaunlich ist. Der Geist des längst verstorbenen Staatspräsidenten Tito ist
allgegenwärtig, sein Porträt hängt noch in vielen Wohnzimmern und öffentlichen Gebäuden.
Der Roman beginnt mit dem Tod des anderen Großvaters, den
sein Enkel Aleksandar nicht wahrhaben will, geht weiter mit Alltagsschilderungen
und der kurzen Erwähnung, dass Onkel Bora in Deutschland Gastarbeiter im
Straßenbau ist. Schon das genügt, um den Neid der Nachbarn auszulösen
Stanišić pickt immer wieder einzelne Familienmitglieder oder
Nachbarn heraus, beschreibt ihre Eigenarten oder erzählt, was ihnen in ihrem
Leben Ungewöhnliches widerfahren ist. Der Krieg bricht so plötzlich wie ein
Blitzschlag über die bosnische Kleinstadt herein: Im Radio wird von den Kämpfen
um Osijek berichtet, nicht viel später stehen die ersten serbischen Soldaten in
Višegrad. Rücksichts- und hemmungslos wird gemordet, zerstört und gestohlen.
Das Symbol der Stadt, die Brücke über den Fluss Drina, wird dabei zum
Schauplatz blutiger Verbrechen. Schon kurz vor dem Eintreffen der Soldaten packen
die ersten Familien ihre Sachen und verlassen die Gegend. Mit etwas Verzögerung
schließt sich Aleksandars Familie dieser Fluchtbewegung an, die sie bis nach
Deutschland führt. Die Mutter arbeitet in einer Wäscherei, der Vater im selben
Betrieb wie Onkel Bora. Wirklich glücklich ist keiner von ihnen, auch wenn sie
in Essen in Frieden leben können. Aleksandar sehnt sich zwar nach seiner
Heimat, aber er merkt, dass er immer mehr Einzelheiten vergisst und ihm hin und
wieder ein Wort in seiner Muttersprache nicht einfällt. Doch er ist sich mit
seinen Eltern darin einig, dass ihnen nichts daran liegt, in einem zerstörten Bosnien
zu leben.
Ende 1995 markiert das von den USA initiierte
Friedensabkommen von Dayton das Ende des Balkankriegs. Die Familie muss sich
nun entscheiden, wie es weitergehen soll. 1998 wandern die Eltern zusammen mit
der Großmutter nach Florida aus. Aleksandar entschließt sich dazu, nach
Višegrad zu reisen und sich auf die Suche nach den Verwandten, den Nachbarn und
den Orten seiner Kindheit zu machen. Das Buch endet dort, wo es begonnen hat:
am Grab des Großvaters.
Wie war‘s?
Wie der Soldat das Grammofon repariert war 2006 auf der
Shortlist des Deutschen Buchpreises. Sowohl dieser Umstand als auch die Frage,
wie ein so düsteres Kapitel wie der Balkankrieg von einem aus der betroffenen
Region stammenden Autor aufgearbeitet werden kann, hat das Buch für mich
interessant gemacht. Allerdings gibt es nur wenige Bücher, die ich als so zäh
empfunden habe wie dieses. Die sehr ausführliche Schilderung des täglichen
Lebens und die genaue Darstellung der Menschen, die für den jungen Aleksandar
wichtig waren, hätten nicht ein Drittel des Textes einehmen müssen. Das, was
den Krieg ausmacht, wird auf relativ wenigen Seiten beschrieben. Die
historische Brücke über die Drina, die heute ein UNESCO-Weltkulturerbe ist, war
im Balkankrieg Schauplatz zahlloser Ermordungen von Bosniern durch serbische
Soldaten: Die Menschen wurden in den Fluss geworfen, wer sich ans Ufer retten
wollte, wurde erschlagen oder erschossen. Was mit der Stadt passiert ist und
wie sich der Krieg auf sie ausgewirkt hat, wird im Roman nur schlaglichtartig
angerissen. Es ist etwa so, als würde jemand für wenige Sekunden einen hellen
Lichtstrahl auf eine Szene richten, um gleich darauf die Lampe zu löschen.
Saša Stanišić hat einen Schreibstil gewählt, für den man als
Leser einen langen Atem benötigt. Er wechselt immer wieder zwischen der
Gegenwart und der Rückschau, wobei sich beides auch gerne überschneidet. Auch
das Stilmittel der Wortwiederholung wurde extensiv ausgereizt. Kurzum: Ich war
mehrmals kurz davor, das Buch zur Seite zu legen und dort liegen zu lassen. Es
langweilt mich auch, wenn in einer Szene eine Wette geschildert wird, in der es
darum geht, einen Fußball mit dem Kopf in der Luft zu halten. 192 Mal muss das
gelingen, und das tut es auch: Jedes einzelne Mal wird mit der ausgeschriebenen
Zahl notiert, wozu immerhin drei Seiten nötig sind. Später findet Aleksandar im
Kleiderschrank seiner Großmutter einen Karton, in dem sich 99 unfertige Bilder
befinden, die er gemalt hat. Auf den folgenden Seiten werden die Titel aller
Bilder genannt. Man mag das künstlerisch wertvoll finden, ich fand es ermüdend.
Wie der Soldat das Grammofon repariert wurde mir vom
Bloggerportal zur Verfügung gestellt, wofür ich mich herzlich bedanke. Der
Roman ist beim btb-Verlag erschienen und kostet als Taschenbuch 9,99 €.
Ehrlich gesagt find eich ich den Romatitel scho "ermüdend" - wahrscheinlich hätte ich das Buch mit diesem Titel nicht mal näher betrachtet im Laden. LG Romy
AntwortenLöschenIch hatte über 40 gute Rezensionen bei Amazon gesehen, mehrere positive Buchbesprechungen in Zeitungen und eben die Nominierung für den Deutschen Buchpreis. Da war ich dann optimistisch. Na ja, passiert ;-)
LöschenLG, Ina