Samstag, 29. Dezember 2018

# 179 - Der kinderliebe Herr Pfarrer

Die Farbe von Milch der britischen Schriftstellerin Nell Leyshon beginnt 1831, als Mary gerade fünfzehn geworden ist. Sie will erzählen, was ihr seit dem Frühling 1830 widerfahren ist. 

Mary ist die jüngste Tochter eines armen Bauernpaares. Auch ihr Großvater lebt im Haus. Er ist aber nach einem Unfall nicht mehr arbeitsfähig und fristet seine Tage im Apfelkeller.
Das Leben der vier Mädchen wird von den Aufgaben bestimmt, die auf dem kleinen Hof täglich erfüllt werden müssen. Der Vater ist enttäuscht, dass seine Frau keinen Sohn geboren hat und darüber, dass Mary mit einer Gehbehinderung zur Welt gekommen ist. Er treibt seine Töchter ununterbrochen zur Arbeit an und hat die Familie fest im Griff. Die Mutter fügt sich; auch dann, wenn eines ihrer Kinder unter der Gewalttätigkeit ihres Mannes zuleiden hat. Aber Mary hat sich mit all dem arrangiert, sie kennt nichts anderes.

Marys Leben ändert sich gründlich, als ihr Vater mit dem Pfarrer eine Abmachung trifft: Die Pfarrersfrau ist schwer krank, und Mary soll bei ihr sein und außerdem die Haushälterin unterstützen. Der Pfarrershaushalt ist für das Mädchen wie das Eintauchen in eine fremde Welt: Im Pfarrhaus gibt es viele Zimmer mit schönen Möbeln und etlichen Regeln, die sie nach und nach lernt. Um Ralph, den Sohn des Hauses, macht sie wenn möglich einen Bogen: Sie hat ihn nachts mit einer ihrer Schwestern beobachtet und hält ihn für einen Schürzenjäger - was stimmt. 
Mary fällt durch ihre spitze Zunge und ihren wachen Verstand auf. Nachdem seine Frau gestorben ist, unterrichtet sie der Pfarrer deshalb im Lesen und Schreiben. Doch sie merkt schnell, dass er dafür eine Gegenleistung erwartet. Das eigentliche Drama fängt mit dieser Erkenntnis erst an.

Nell Leyshon lässt Mary in ihrer einfachen und direkten Sprache erzählen. Zu Beginn ist der Mangel an Satzzeichen irritierend, aber je mehr die Handlung voranschreitet, umso deutlicher wird der Grund dafür. 
Der Buchtitel Die Farbe von Milch bezieht sich auf Marys Haare; sie selbst bezeichnet sie so.
Der Zeitpunkt der Handlung fällt in die Hochphase der britischen Industrialisierung und der damit verbundenen gesellschaftlichen Umwälzungen, in deren Folge die Einwohnerzahl Großbritanniens rasant zunahm. Standesunterschiede waren in dieser Zeit wie in Stein gemeißelt: Was eine Respektsperson wie der Pfarrer sagte, zählte. Tat er Unrecht, wurde der Mantel des Schweigens darübergelegt. Mary hat nicht die Möglichkeit, der bedrohlichen Situation zu entkommen, weil ihre Familie das Geld braucht, was sie beim Pfarrer verdient. Doch alles hat einmal ein Ende.


Lesen?

 

Ja. Gerade die einfache Sprache macht Die Farbe von Milch zu einem authentischen Roman und lässt das Leben der bitterarmen Landbevölkerung nahe heranrücken.
Das Buch wurde mir von Netgalley zur Verfügung gestellt. Es kostet gebunden 18 Euro, als Taschenbuch 10 Euro, als Audio-CD 13,45 Euro und als epub- oder Kindle-Edition 16,99 Euro.

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