Montag, 18. Januar 2021

# 274 - Rechne immer mit dem Schlimmsten

Beata und Matti Aalto wandern Mitte der 1960-er Jahre von Finnland ins vermeintlich bessere Schweden aus. Ihre Kinder lassen sie zunächst bei Mattis versoffenem Bruder zurück, was sich als verhängnisvoller Fehler erweisen soll. Mit Rechne immer mit dem Schlimmsten hat Petteri Nuottimäki 2017 seinen ersten Roman vorgelegt, der wegen seiner skurrilen Handlung zum Teil an die Bücher von Jonas Jonasson erinnert.

Matti wurde schon von seinem Vater eingebläut, seine Pflicht zu tun, sich aber zum Beispiel beim Militär nicht in den Vordergrund zu drängen. Und natürlich solle er sich vor den Russen in Acht nehmen! Angesichts der Erfahrungen, die die Finnen und auch Matti mit ihren östlichen Nachbarn in der Vergangenheit gemacht haben, ist dieser Rat gut nachvollziehbar.

Aber Matti entwickelt eine handfeste Paranoia, die letzten Endes zur Übersiedelung nach Schweden führt. Dort macht sich der Familienvater mit dem Handel mit Raubinsekten selbstständig, was so gut läuft, dass die Altos - ein A wurde gestrichen, damit man unauffällig bleiben konnte - davon gut leben und Matti ein kleines Vermögen anhäufen kann.

Aber Mattis drei Kinder entwickeln sich trotz des väterlichen Vorbilds und der strengen patriarchalischen Erziehung nicht so, wie er es sich gewünscht hätte. Der jüngste Sohn hat autistische Züge, der älteste Sohn wird zum drogensüchtigen Spieler und die Tochter lacht sich immer wieder kriminelle Freunde an. Doch ihr Vater will sein Unternehmen dem erfolgreichsten Kind überschreiben und denkt sich dafür einen Wettbewerb aus, um die Geschäftstüchtigkeit der Drei auf die Probe zu stellen. Dieses teure Experiment verläuft allerdings ganz anders, als er es sich vorgestellt hatte.

Lesen?

Der Roman erzählt mit der Figur des Matti die Geschichte von Nuottimäkis Großvater. So wirken auch einige Anekdoten, bei denen man sich gut vorstellen kann, wie sie im Kreis der Familie an der Kaffeetafel mit einem "Weißt du noch? eingeleitet wurden und zu etlichen Lachern führten. Aber was für Familientreffen gut ist, eignet sich nicht unbedingt für ein ganzes Buch. Nuottimäki schildert humorvoll, was den Aaltos widerfahren ist und mit welch seltsamen Methoden Matti seine Kinder auf die Anforderungen des Lebens vorbereiten will. Es fehlt jedoch immer wieder an echter Emotion: Da kommt ein Kind ums Leben, aber Nuottimäki lässt die Erschütterung, die eine Familie durch solch ein Ereignis erfährt, außen vor. Das gilt auch für die ärztliche Diagnose, die Matti nur noch eine kurze Lebenserwartung zuspricht: Die Mitteilung wird so hingenommen wie der Wetterbericht, der drei Tage Regen vorhersagt.

Neben der Emotionsarmut leidet der Roman an einer Unglaubwürdigkeit, die zunimmt, je mehr er sich dem Ende nähert. Ein Wiedersehen, das normalerweise eine ganze Palette von Gefühlen bei allen Beteiligten hätte auslösen müssen, wird fast schon holzschnittartig geschildert. Dass Beata und Matti schuld daran sind, dass dieses Treffen erst so spät stattfindet, hätte ihnen eigentlich den Boden unter den Füßen wegziehen müssen, aber da passiert nichts dergleichen.

Nuottimäki frönt in seinem Roman einem Faible für Fußnoten. Nur wenige von ihnen erklären etwas; die Mehrzahl lenkt den Blick auf einen Nebenschauplatz oder hätte gut in den Haupttext eingebaut werden können.

Rechne immer mit dem Schlimmsten ist nette Unterhaltung, aber mehr leider auch nicht.

Der Roman ist bei Harper Collins erschienen und kostet in der gebundenen Ausgabe 18 Euro.

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