Um dieses Buch habe ich mich etwas herumgedrückt,
weil ich mir nicht sicher war, ob ich das, was darin steht, aushalten würde. Aber dann hat das Interesse am Thema überwogen. Einem Thema, das in anderen Ländern längst in der Öffentlichkeit angekommen ist, nur nicht in Deutschland.
Worum geht's? Laura Backes und Margherita Bettoni sehen sich an, was da Alle drei Tage passiert: In diesem statistischen Abstand wurde 2019 in Deutschland eine Frau von ihrem ehemaligen oder aktuellen Partner getötet. Zu diesen Verbrechen kommen die Tötungen von Frauen durch Männer hinzu, die ihnen unbekannt waren. Etwa täglich versucht ein Mann, seine jetzige oder ehemalige Partnerin zu töten. Die Zahlen beruhen auf der jährlichen Statistik "Partnerschaftsgewalt" des Bundeskriminalamtes. Müsste das nicht einen gesellschaftlichen Aufschrei auslösen? Nicht nur von den Frauen, sondern auch den Männern, denen die Frauen in ihrem Umfeld wichtig sind? Immerhin waren diese Frauen auch Töchter, Schwestern, Freundinnen, Kolleginnen...
In den Medien ist dieses Thema praktisch nicht präsent. Warum interessiert sich fast niemand dafür? Backes und Bettoni kritisieren, dass solche Taten begrifflich mit Worten wie "Beziehungstat" oder "Familientragödie" verbrämt werden, als habe es sich um Schicksalsschläge gehandelt und nicht um das, was sie letztendlich sind: Taten, mit denen der Täter seine Macht demonstrieren oder wiederherstellen will. Die Frau wird hier als etwas gesehen, das man besitzen kann. Wendet sie sich ab, wird mit dem oft tödlichen Angriff "sichergestellt", dass sie keinem anderen Mann als dem Täter gehören soll. Dahinter steckt ein zutiefst patriarchalisches Rollenbild.
Die Autorinnen sprechen in ihrem Buch von Femiziden. Einerseits, weil dieser Begriff mittlerweile in zahlreichen Ländern verwendet wird; andererseits wollen sie deutlich machen, dass Frauen wegen ihres Geschlechts oder fester Vorstellungen, was Weiblichkeit ausmacht, getötet werden.
Jeder versuchte oder vollendete Femizid ist für sich genommen zwar ein Einzelfall, aber dass diese Fälle einem bestimmten Muster folgen, ist nicht zu übersehen. Der Ablauf erfolgt stufenförmig, wobei jede Stufe einen kurzen Moment oder auch Jahre dauern kann. Mit diesem Wissen könnte man meinen, dass es bereits ein Mindestmaß an staatlicher Prävention geben müsste. Das ist jedoch nicht so: Weder in der Politik noch in Behörden ist das Interesse an der Situation, in der sich Frauen befinden, besonders ausgeprägt.
Backes und Bettoni haben sich mit Opfern unterhalten oder Gerichtsprozessen beigewohnt. Sie wollten außerdem wissen, ob es einen bestimmten Tätertyp gibt, der mit größerer Wahrscheinlichkeit einen Femizid begehen könnte. Die Autorinnen wollten auch herausfinden, wie es den überlebenden Opfern geht und inwieweit sie in ein normales Leben zurückgefunden haben. Auch die Angehörigen von getöteten Frauen kommen zu Wort. Und es wird mit einem Vorurteil aufgeräumt, das sich hartnäckig hält: Es lässt sich empirisch nachweisen, dass nicht vor allem Frauen nichtdeutscher Herkunft häusliche Gewalt erleben. Vielmehr haben Frauen in bestimmten Lebenssituationen (z. B. Obdachlosigkeit oder mit einer Behinderung) ein erhöhtes Risiko, von einem gewalttätigen Partner angegriffen zu werden.
Alle drei Tage behandelt auch die Frage, wie die Rechtsprechung mit Femizid-Opfern und -Tätern umgeht. Gibt es da eine etwa einheitliche Beurteilung oder werden bestimmte Fälle von den Gerichten in einem anderen Licht gesehen? Hier spielen Urteile des Bundesgerichtshofs eine große Rolle. In einigen anderen Ländern ist man hier zwar schon weiter, allerdings macht eine ignorante Umsetzung der bestehenden Gesetze die Situation nicht besser.
Lesen?
Alle drei Tage zeigt überdeutlich, wie nötig es ist, dieses Thema in die Gesellschaft hineinzutragen. Dazu müssen nicht nur die Medien, sondern auch Politik und Rechtsprechung an einem Strang ziehen. Dieses Buch berührt und macht wütend - eben weil in unserem Land so wenig passiert, um (versuchten) Femiziden entgegenzutreten. Es fehlt nicht nur an Plätzen in Frauenhäusern, sondern auch an Angeboten für ein Anti-Gewalt-Training sowie einer klareren Gesetzgebung und Rechtsprechung.
Es ist gut, dass sich der Titel auf der Longlist des NDR Sachbuchpreises befindet und so mehr Aufmerksamkeit bekommt.
Alle drei Tage ist 2021 bei der Deutschen Verlags-Anstalt erschienen und kostet 20 Euro.
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