Lisa Kötter ist eine der Gründerinnen der katholischen Reformbewegung Maria 2.0. Sie und einige andere Frauen trafen sich jeden Monat in Münster, als Kötter der Runde im Januar 2019 von einer Reportage erzählte, die vom ZDF gezeigt worden war: Das Schweigen der Hirten. Dort geht es um das systematische Vertuschen von Kindesmissbrauch, begangen von Priestern. Die katholische Kirche hat nicht etwa die Opfer beschützt, sondern die Täter: Sie wurden, sobald Missbrauchsfälle offenkundig wurden, weltweit auf andere Gemeinden verteilt. Dass hohe Kleriker von dieser Praxis nichts mitbekommen haben könnten, ist ausgeschlossen.
Das, was über Jahrzehnte nur geraunt und gemunkelt wurde, wurde durch die Reportage greifbar und war bewiesen worden. Jeder einzelnen Frau in diesem Kreis war klar, dass weiteres Schweigen dazu führen würde, das bestehende System zu erhalten. Die katholische Kirche schützte nicht die Menschen, sondern nur sich selbst. Sie hatte Erbarmen mit den Tätern aus ihren Reihen, aber keines mit den Opfern. Es handelte sich um einen einzigen großen Männerbund mit überkommenen Vorstellungen.
Von da an gab es die Initiative Maria 2.0., von der Kötter in ihrem Buch Schweigen war gestern erzählt. Die Frauen, die sich ihr anschlossen, zeigten symbolisch, dass ihre Kirche sie ausgeschlossen hatte, indem sie ihre Gottesdienste vor der Heilig-Kreuz-Kirche in Münster abhielten. Dazu waren kein Altar und kein Pfarrer nötig, in der Gemeinschaft der Getauften haben sich die Frauen gegenseitig gesegnet. Die Gemeinschaft wuchs, auch Männer kamen dazu.
Kötter beschreibt, wie aufgewühlt vor allem ältere Frauen waren. Sie hatten sich häufig über Jahrzehnte ehrenamtlich für die Kirche eingesetzt und dabei nicht wahrgenommen, dass sie und ihre Arbeit von dieser nicht wertgeschätzt wurden. Und oft nicht nur das: Durch die von der Kirche auferlegten Moralvorstellungen sind zahlreiche Frauen sog. "Muss-Ehen" eingegangen, unehelich geborene Kinder galten als unrein und wurden nicht getauft. Die Kirche hatte alles Weibliche als minderwertig eingestuft.
Die Bewegung Maria 2.0 formulierte 2019 einen offenen Brief an Papst Franziskus, der von mehr als 42.000 Menschen unterzeichnet, aber bis heute nicht beantwortet wurde. Darin prangerte sie die Vergehen und Versäumnisse der katholischen Kirche im Zusammenhang mit den Missbrauchsfällen durch Kleriker an und stellte einen Katalog von Forderungen auf. Im Zentrum: Die Kirche muss sich endlich an Jesus ausrichten. Er kam aus einfachen Verhältnissen und arbeitete als Handwerker, bevor er sich von Johannes taufen ließ. Er war nur zwei bis drei Jahre in der Öffentlichkeit aktiv, aber hat in dieser kurzen Zeit bewirkt, dass eine neue Zeit anbrach.
Jesus vermittelte den Menschen, von Gott geliebt und nicht kontrolliert und bedroht zu werden. Er wandte sich gerade denen zu, die am Rand der Gesellschaft standen und von ihr gemieden wurden. Und er sprach in der Öffentlichkeit mit Frauen, was in seiner Zeit sehr ungewöhnlich war. Frauen wurden nur als Hausfrauen und Mütter wahrgenommen, Entscheidungen durften sie nicht treffen. Doch Jesus gab ihnen eine Stimme und agierte mit ihnen auf Augenhöhe. Durch sein Verhalten, was sich so deutlich von dem, was als normal angesehen wurde, unterschied, stellte er die damaligen auf Angst aufgebauten Machtstrukturen infrage.
Lisa Kötters Buch ist nicht nur eine Anklage in Richtung der katholischen Kirche, sondern auch ein Appell, sich zu öffnen. Sie wünscht sich, dass auch außerhalb der gewohnten Umgebungen und Strukturen Menschen zusammenkommen, um Gottesdienste zu feiern, an denen auch diejenigen teilnehmen können, die der Kirche bisher nicht nahestanden. Von der Autorin stammen auch die Frauenporträts auf dem Cover, deren verklebte Münder das erzwungene Schweigen symbolisieren.
Lesen?
Ja, denn Lisa Kötter beschreibt das Tun und die Haltung der katholischen Kleriker aus weiblicher Sicht. Dieses Buch richtet sich nicht nur an Menschen, die dem christlichen Glauben nahestehen, sondern an alle, die an einer gesellschaftlichen Veränderung teilhaben wollen: dem Überwinden von männlichen Machtstrukturen, die es nicht nur in der katholischen Kirche gibt.
Schweigen war gestern ist 2021 im bene! Verlag erschienen und kostet 14 Euro.
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