Samstag, 10. September 2022

# 363 - Eine Liebe zwischen einer Deutschen und einer Koreanerin: Kann das funktionieren?

Andreas Stichmann begibt sich mit seinem Roman Eine Liebe in Pjöngjang auf eine Reise nach Nordkorea, dem Land, das wohl zu Recht als der restriktivste Überwachungsstaat der Welt angesehen werden kann. Auch wenn ein kulturelles Ereignis der Auslöser für die weitere Handlung ist und Stichmann das Ausmaß der staatlichen Kontrolle sowie der überhöhten Verehrung der Kim-Familie beschreibt, steht die Liebesgeschichte zweier Frauen im Mittelpunkt der Handlung. 

Die 50-jährige Claudia Aebischler ist Präsidentin des
Verbands europäischer Bibliotheken. Sie wird diese Aufgabe demnächst abgeben und befindet sich auf ihrer letzten Delegationsreise nach Pjöngjang. Gemeinsam mit Kulturschaffenden aus Berlin fährt sie von der chinesischen Grenzstadt Dandong mit dem Zug in die nordkoreanische Hauptstadt, um dort eine deutsche Bibliothek zu eröffnen. Aebischler kennt sich sehr gut in Südostasien aus und weiß, dass die Gruppe ständig überwacht wird. Ihre Erfahrungen als ehemalige DDR-Bürgerin helfen ihr und den Mitreisenden, sich in Nordkorea aufzuhalten.

Plötzlich, als Aebischler aus dem Zugfenster blickt, sieht sie in das Gesicht einer Koreanerin, von der sie sofort fasziniert ist. Die Frau schaut aus dem Fenster eines exakt parallel fahrenden Zuges und blickt die Deutsche direkt an. Nach dreißig Sekunden ist die irritierende Begegnung vorbei. Im Hotel sieht sie die junge Koreanerin ein weiteres Mal für einen kurzen Augenblick. Doch dann kommt die Überraschung: Die Frau wird der Delegation als ihre Dolmetscherin und Begleiterin Sunmi vorgestellt. 

Während ihres Aufenthalts kommt Claudia Aebischler der zwanzig Jahre jüngeren Sunmi näher. Die Dolmetscherin ist promovierte Literaturwissenschaftlerin und Expertin auf dem Gebiet der deutschen Romantik. Sie ist mit einem greisen Veteranen verheiratet, aber es ist nicht Liebe, sondern Parteiräson, die dieses Paar zusammenhält.

So unterschiedlich die beiden Frauen sind, haben sie doch etwas gemeinsam: Beide wollen den Lebenssituationen entfliehen, in denen sie sich befinden. Claudia Aebischler plant, sich einem seit Jahrzehnten aufgegebenen Schreibprojekt zu widmen, Sunmi will raus aus diesem engen, überwachten Leben, in dem man sich ständig unterzuordnen hat und jeder Schritt und jedes Wort überwacht werden. Und sie will weg von ihrem alten Ehemann, für den sie nur Abneigung empfindet.

Das emotionale Band zwischen ihnen wird immer enger, aber sie müssen sich bemühen, sich nichts anmerken zu lassen. Doch dann kommt während einer Exkursion zum Vulkan Paektusan, der sich auf dem Grenzgebiet zwischen China und Nordkorea befindet, der Moment, der ihrer beider Leben verändern soll und in dem sich der Fortgang ihrer Beziehung entscheidet.

Lesen?

Andreas Stichmann versteht es, in seinen Roman nicht nur die bedrückenden Verhältnisse in Nordkorea zu beschreiben und die latente Gefahr, in der sich die Menschen befinden, subtil zu thematisieren; er mischt in seine Schilderung der Gefühle, die die beiden Frauen füreinander entwickeln, auch Poesie und einen hintergründigen Humor, der den Schrecken der Diktatur für einen Moment vergessen lässt und ihn ins Lächerliche verkehrt. Bis zum Schluss bleibt die Frage offen: Was ist echt und real und was nur Fassade und Manipulation? 

Der Roman steht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises, wohin er auf jeden Fall gehört.

Eine Liebe in Pjöngjang ist 2022 im Rowohlt Verlag erschienen und kostet als Hardcover-Ausgabe 20 Euro und als E-Book 9,99 Euro.

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