Ein Wettlauf um das Nicht-Sterben
Hoch im Norden Schwedens, im entlegenen Kaff Övreberg: Eine Autorin von mittelmäßigen Traktaten, schriftstellerisch eher erfolglos, verschlägt es auf ihrer Vortragsreise in den ungeheizten Gemeindesaal des Ortes, wo eine Handvoll gelangweilte Zuhörer auf sie wartet. Sie ist Mitte vierzig, alleinstehend und wirkt, als habe sie ihr Leben bereits gelebt. So beginnt der Roman Hummelhonig des schwedischen Schriftstellers Torgny Lindgren.
Was ist stärker: Liebe oder Hass?
Am Ende ihres Vortrags wird die Schriftstellerin vom alten Hadar aufgefordert, bei ihm zu übernachten. Sie ist nicht misstrauisch: Vermutlich hatte der Veranstalter die Gelegenheit genutzt, ihr eine möglichst billige Unterkunft zur Verfügung stellen zu können. Und es ist ja auch nur für diese eine Nacht.
Hadar ist kein Mensch, der viele Worte macht. Doch schon während der Autofahrt zu seinem einsamen Häuschen sagt er ihr, dass er Krebs habe und bald sterben werde. Aber das mit dem Sterben, fügt er hinzu, das sei noch nicht ganz so eilig. Schon kurz darauf erfährt die Autorin, was den alten und todkranken Mann davon abhält, sich trotz aller Schmerzen und Leiden ein schnelles Ende zu wünschen. In Rufweite von Hadars Haus befindet sich ein fast identisches Gebäude. Am Rauch, der dem Schornstein entweicht, erkennt die Besucherin, dass dort jemand lebt. Hadar gibt auf ihre Fragen nur widerwillig Antwort: Er erzählt kurz und knapp, dass dort sein herzkranker Bruder Olof wohne, der genau wie er auch nicht mehr lange zu leben habe. Da begreift die Autorin, worum es hier eigentlich geht: Die beiden Brüder, die einander in einer Hassliebe verbunden sind, weigern sich beide, vor dem jeweils anderen zu sterben.
Aus der Abreise der Besucherin am nächsten Morgen wird nichts: In der Nacht ist so viel Schnee gefallen, dass das Autofahren unmöglich geworden ist. Sie entschließt sich, noch etwas bei Hadar zu bleiben und dem todkranken Mann beizustehen. Aber ihr lässt der Gedanke daran, dass wahrscheinlich auch Olof Hilfe braucht, keine Ruhe. Während sie sich um die beiden Brüder kümmert, die schon seit langer Zeit nicht mehr miteinander gesprochen haben, erfährt sie im Laufe des Winters von dem Drama, das sich viele Jahre zuvor zwischen ihnen abgespielt hat: von der Frau, die zuerst zu Olof gehörte und sich dann Hadar zuwandte, und von dem Sohn, für den die beiden Alten jeweils die Vaterschaft reklamieren. Das Drama hatte seinen Höhepunkt in zwei Toten. Doch weder Hadar noch Olof ist es möglich, einander zu verzeihen.
Zwei Brüder wie Feuer und Wasser
Lindgren zeichnet das Bild von zwei Brüdern, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Hadar ist klapperdürr und hat eine Vorliebe für deftige, salzige Speisen. Olof hingegen hat eine ausgeprägte Vorliebe für Süßes und behauptet sogar, der Inhalt seiner aufgeplatzten Pusteln schmecke köstlich. Die Völlerei hat ihn fett und fast bewegungsunfähig gemacht. Die einzige Verbindung, die es in den letzten Jahren zwischen ihnen gegeben hat, ist eine Katze, die sich abwechselnd in den beiden Häusern aufhält. Für den einen Bruder ist es eine Katze, für den anderen ein Kater.
Dann kommt der Tag, an dem Olof die Autorin bittet, Hadar in seinem Namen ein Geschenk zu überreichen. Während Hadar die Knoten aufbindet, wallt in ihm die Idee von der Brüderlichkeit auf: Es sei eine Ehre, Bruder zu sein, und wem sonst als seinem Bruder könne man einen so großen Pappkarton schenken? Doch was er findet, versetzt ihm einen Schock: die Katze, mit dem vom Körper abgetrennten Kopf und entfernten Geschlechtsteilen. Jetzt scheint es tatsächlich keine Rolle mehr zu spielen, ob das Tier ein Kater oder eine Katze gewesen ist.
Ein Roman um zwei archaische Leben in Nordschweden
Die Besucherin verbringt den ganzen Winter in der schwedischen Einöde mit der Pflege der beiden Männer und als deren Botin. Obwohl sie über lange Strecken eher unbeteiligt wirkt, schafft sie es, mit einer Lüge dem Drama ein Ende zu bereiten.
Hummelhonig ist ein sehr eindringliches Buch, das seine Leser nicht nur beobachten lässt, sondern sie in die Handlung hineinzieht. In der Welt dieses Romans sind die kleinen Bösartigkeiten, die die Brüder sich in der Vergangenheit zugefügt haben und sich noch immer zufügen auch deshalb allgegenwärtig, weil es anstrengender ist, sich gut und menschlich zu verhalten.
Hummelhonig ist in der deutschen Fassung 1997 im Carl Hanser Verlag erschienen. Das Buch ist heute nur noch antiquarisch erhältlich.
Ein ungewöhnlicher Plot. Genau nach meinem Geschmack. Mal sehen, ob ich das Buch noch irgendwo herbekomme. Liebe Grüße, Renie
AntwortenLöschenDas Buch hat mir schon damals, 1997, gut gefallen. Du bekommst es problemlos über booklooker.de oder zvab.de. Liebe Grüße, Ina
Löschen