Ferdinand von Schirach hat mit Kaffee und
Zigaretten ein Buch geschrieben, das ihn als Person deutlich stärker einbezieht als es bei seinen vorangegangenen Titeln der Fall war. Ich stelle hier das beim hörverlag erschienene Hörbuch vor, dessen gut dreieinhalb Stunden Spielzeit sich in 85 Abschnitte unterteilen. Das Hörbuch wurde von Lars Eidinger gelesen.
In den ersten Abschnitten spricht von Schirach über sich selbst, tritt aber einen Schritt zurück und erzählt von seinem Leben, das in den ersten zwanzig Jahren von einigen Tiefs geprägt war, häufig in der 3. Person. Man erfährt von der Entfremdung zwischen ihm und seinem Vater, der ständig geschäftlich auf Reisen war und seinem Sohn Postkarten aus aller Welt in das von Jesuiten geleitete Internat im Schwarzwald schickte. Man erfährt auch von seiner besonderen Weise, die Welt um sich herum wahrzunehmen: Von Schirach ist Synästhet, Menschen wie er koppeln Wahrnehmungen im Gehirn falsch. Bei ihm äußert sich diese sehr seltene Eigenschaft so, dass er Musik und Personen mit Farben verbindet und diese sieht. Von Schirach erwähnt auch seinen Selbstmordversuch: Er war 15, sein Vater kurz zuvor verstorben. Der Versuch misslang, weil er zu betrunken war, um ihn "erfolgreich" auszuführen.
Doch dann wendet er sich von seiner Person ab und einem Kaleidoskop von Betrachtungen verschiedenster Art zu. Wie in Selbstgesprächen schreibt er über den Rechtsstaat und was ihn ausmacht. Er zeigt auf den Stammheim-Prozess gegen die RAF-Terroristen Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe und erwähnt insbesondere einen der Verteidiger, den späteren Bundesinnenminister Otto Schily. Über ihn, den er als herausragende Anwaltspersönlichkeit sieht, sagt von Schirach: "Das Argument des Rechtsstaates ist das Leitmotiv seines Lebens."
Auch auf andere Richter, die im Buch namenlos bleiben, wird verwiesen. Einer von ihnen überlegt, wann er in die Situation kommen könnte, eine Sach- über eine Mehrheitsentscheidung zu stellen. Wie sollte er handeln, wenn es wieder eine Todesstrafe gäbe?
Ein weiterer roter Faden, der sich nicht nur durch dieses Buch zieht, ist der Vergleich des heutigen Rechtsstaates mit der Rechtsauffassung des Dritten Reichs. Er zitiert einen der damaligen Leitsätze: Was dem deutschen Volk schadet, wird verurteilt. Glücklicherweise geht es in der Rechtsprechung heute differenzierter zu.
Wie nebenbei flicht er die schleichende Beschneidung von Menschenrechten ein, die nicht nur von der Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland nahezu widerspruchslos hingenommen wird. Mal ist es der Daten- und Persönlichkeitsschutz, mal die Pressefreiheit.
Alle Episoden haben diesen sehr sachlichen, schnörkellosen Tonfall, der für von Schirachs Bücher typisch ist und die Werke des Autors so glaubwürdig macht.
Der Schlusssatz spiegelt seine Persönlichkeit, die von einer langjährigen Depression, geprägt ist, treffend wider: "Glück ist eine Farbe und immer nur ein Moment."
Wie war's?
Kaffee und Zigaretten ist eine andere Art von Buch als die bisherigen von Ferdinand von Schirach. Die einzelnen Episoden laden den Leser (oder Hörer) zum Mitdenken und Nachvollziehen der oft sehr kurzen Gedankengänge ein. Immer wieder werden kleine Anekdoten in die ernsthaften Überlegungen hineingestreut. Ein bisschen ist es dann so, als würde man darüber stolpern.
Der einzige Wermutstropfen ist hier leider der Vorleser. Ich hatte mich beim Hören von Der Fall Collini an die sonore und tragende Stimme von Burghart Klaußner gewöhnt. Lars Eidinger hat den Text weniger markant und akzentuiert vorgetragen, sodass ich mich manchmal dabei erwischt habe, dass meine Gedanken eigene Wege gingen.
Kaffee und Zigaretten kostet als gebundenes Buch sowie als Hörbuch (CD) 20 Euro, als E-Book 15,99 Euro und als Hörbuch-Download 13,95 Euro.
Ich bin mir gar nicht so sicher, ob man Bücher wie dieses nicht besser selber lesen sollte. Zumindest bei mir wäre es so. Tiefgehende Gedankengänge bekomme ich beim Lesen besser mit, als beim Hören. Und wenn es wichtige Gedankengänge sind, würde ich es als schade empfinden.
AntwortenLöschenDanke für die Rezi. Ich muss endlich mal ran an den Schirach.
LG Sabienes
Es geht mir da wie dir. Grundsätzlich bin ich auch eher Leserin als Hörerin, aber in diesem Fall ergab sich gerade die Gelegenheit. Und da habe ich sie genutzt.
AntwortenLöschenLG
Ina