Freitag, 7. Juni 2019

# 200 - Verspätete Hinrichtung

Im Berliner Hotel Adlon wird 2001 der 85-jährige
Unternehmer Hans Meyer erschossen. Der Täter: Fabrizio Collini. 1934 in Italien geboren, vor Jahrzehnten als sogenannter Gastarbeiter nach Deutschland gekommen, jetzt Rentner. Collini hat bis zu diesem Tag völlig unbescholten gelebt. Nach der Tat lässt er sich widerstandslos festnehmen, legt aber kein Geständnis ab.
Zu Collinis Pflichtverteidiger wird Caspar Leinen bestellt. Leinen hat erst vor Kurzem seine Kanzlei eröffnet, der Fall Collini ist sein erstes Mandat. Er nimmt es ohne zu zögern an, da der Name des Ermordeten in seinen Unterlagen mit Jean-Baptiste Meyer angegeben wird. Erst nach einem Hinweis von dessen Enkelin Johanna wird Leinen klar, wessen Mörder er verteidigen soll: Hans Mayer war für ihn seit seiner Kindheit so etwas wie ein zweiter Vater, er hat mit ihm sehr viel Zeit verbracht. Er gerät in einen inneren Konflikt und ist drauf und dran zu beantragen, das Mandat zurückgeben zu können.

Johanna beauftragt als Nebenklägerin den renommierten und gewieften Anwalt Richard Mattinger, der schon 1975 beim Stammheim-Prozess gegen Mitglieder der RAF auf sich aufmerksam machte. Er erinnert Leinen an seine Verpflichtung als Strafrechtsanwalt, für ein Mandat verantwortlich zu sein und einen Fall nicht nur dann zu übernehmen, wenn er zu den eigenen moralischen Vorstellungen passt.
Die Indizienlage legt für das Gericht nahe, dass es sich bei Collini um den Mörder Meyers handelt. Es ist zu erwarten, dass das Urteil entsprechend ausfallen wird. Leinen hat bislang vergeblich nach etwas gesucht, das den Angeklagten entlasten könnte, bislang aber ohne Erfolg. Dann erkrankt eine Schöffin, sodass der Prozess für zehn Tage unterbrochen wird. Leinen kann diese geschenkte Zeit nutzen: Eine Bemerkung seines Vaters, der Waldbesitzer und Jäger ist, sowie Leinens Nachforschungen im Bundesarchiv in Ludwigsburg bringen den Durchbruch und dem Fall eine völlig andere Richtung. Was Leinen ermittelt hat, reicht fast 70 Jahre in die Vergangenheit zurück und lässt einige Menschen nervös werden.

Wie war's?

In Der Fall Collini bietet von Schirach seinen Lesern nicht nur einen Kriminalfall, sondern auch einen Blick auf eine in den 1960-er Jahren rasch geänderte Gesetzeslage, die so manchen, die damals um ihre Freiheit fürchten mussten, ein Leben ohne Strafverfolgung bescherte. Viele von ihnen fielen beruflich weich und hatten auch im Nachkriegsdeutschland wichtige Posten inne.
Als ehemaliger Strafrechtsanwalt hat von Schirach den Vorteil, den Gerichtsapparat genau zu kennen. Das merkt man auch diesem Buch deutlich an. Juristische Ungenauigkeiten, wie sie in der gleichnamigen Verfilmung, die in diesem Jahr in die Kinos kam, vorkommen, findet man im Roman nicht. Es werden vielmehr noch einige Details nebenher eingestreut, die vielen Lesern nicht bekannt gewesen sein dürften. Dazu zählt zum Beispiel, dass der Begründer einer Gesetzessammlung, die in Deutschland jeder kennt, der beruflich mit dem Rechtswesen zu tun hat, ein strammer Nazi war. Die Sammlung trägt seit 1931 seinen Namen; während sich Ratspolitiker deutscher Städte die Köpfe darüber heiß reden, ob Straßennamen, die sich auf Nationalsozialisten des NS-Regimes beziehen, ausgetauscht werden sollten, bleibt ausgerechnet bei der Gesetzessammlung alles beim Alten.

Ich habe Der Fall Collini sowohl gelesen als auch gehört. Wie auch schon bei anderen Hörbüchern, die auf Werke von Ferdinand von Schirach zurückgehen, hat auch hier der Schauspieler Burghart Klaußner gelesen. Obwohl ich kein Fan von Hörbüchern bin, kann ich mich diesmal nicht entscheiden, welcher Variante ich den Vorzug geben sollte. 

Der Fall Collini ist 2011 als gebundene Ausgabe erschienen. Sie gibt es nur noch antiquarisch. Bei btb ist der Roman 2017 als Taschenbuch herausgegeben worden und kostet 10 Euro.

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