Sonntag, 14. Juni 2020

# 244 - Und wieder mal Corona...

Man sollte meinen, dass es in den letzten Monaten genug Veröffentlichungen und Äußerungen im Zusammenhang mit Covid-19 gegeben hat. Ich finde das übrigens auch und hatte eigentlich nicht vor, noch mehr als die tagesaktuellen Meldungen darüber zu lesen. Aber der Zufall spülte mir beim Durchsehen des Angebots der Onleihe die Anthologie Corona und wir auf den Bildschirm. Da war meine Neugier, was die 32 Autorinnen und Autoren der geneigten Leserschaft zum Thema zu sagen haben, dann doch geweckt.

Es gibt grundsätzlich Einigkeit darüber, dass die uns bekannte Welt sich "nach Corona" anders präsentieren wird. Wie genau, darüber gehen die Meinungen allerdings weit auseinander. Die Äußerungen der Experten aus den verschiedensten Disziplinen könnte man vielleicht so zusammenfassen, wie es schon Sokrates vor mehr als 2.400 Jahren getan hat: "Ich weiß, dass ich nicht weiß." Ein Grund, dieses Buch zur Hand zu nehmen, um sich ein bisschen mehr Orientierung und Überblick zu verschaffen.

Corona und wir ist nicht einseitig ausgerichtet; es kommen Fachleute zu Wort, die die aktuelle und (mutmaßliche) künftige Situation aus verschiedenen Blickwinkeln einschätzen und zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen. 

Da ist zum Beispiel die Journalistin und Historikerin Anne Applebaum, die die drastischen Beschränkungen anlässlich der Pandemie sehr kritisch betrachtet und insbesondere die Grenzschließungen nicht befürwortet: Sie kritisiert die aktionistische Art und Weise der nationalen Abschottungen, hinter der keine Planung steckte. Sie weiß um die Popularität dieser Handlungsweise, die jedoch die Verbreitung des Virus' nicht aufhalten konnte. Viele Menschen können sich für hartes staatliches Durchgreifen begeistern und beugen sich, wenn sie vor etwas Angst haben.

Mit dieser Haltung ist Applebaum nicht allein. Aber die MIT-Professorin Esther Duflo und und der ebenfalls am MIT lehrende Professor Abhijit V. Banerjee weisen auch auf die Notwendigkeit eines Staates hin, der funktioniert: "Damit in Notzeiten ein gut regierter Staat für uns da ist, müssen wir in normalen Zeiten einen solchen Staat fördern und auch erwarten."

Doch auch Schriftsteller wie Luca D'Andrea kommen zu Wort. Er macht sich über den Unterschied zwischen Angst und Panik Gedanken, sein Leben vor und nach Covid-19 und die Verbreitung der Krankheit in seiner Heimat Italien.

Ich will an dieser Stelle nicht auf jede/n Einzelne/n in diesem Buch eingehen. Aber den Hinweis des Psychologen Gerd Gigerenzer möchte ich noch aufgreifen: Er hält unsere Risikokompetenz für nicht ausreichend. Die Gesellschaft muss lernen, mit Ungewissheiten zu leben und darf sich nicht von ihnen in Geiselhaft nehmen lassen. Er erläutert, warum ausgerechnet Covid-19 sowie in den vergangenen Jahren die Vogel- oder die Schweinegrippe der Bevölkerung Angst gemacht haben, nicht aber in diesem Ausmaß die Bedrohung durch beispielsweise Krankenhauskeime, mit denen sich jährlich in Deutschland bis zu 600.000 Menschen infizieren und an denen 10.000 bis 20.000 Menschen versterben - ebenfalls Jahr für Jahr.

Lesen?

 

Corona und wir habe ich zunächst skeptisch zur Hand genommen. Wie das so ist mit unterschiedlichen Ansichten, haben mich einige Texte nicht überzeugt, weil mir die Argumente nicht schlüssig erschienen. Aber das ist ein normaler Prozess, wenn man sich verschiedenen Positionen nähert. Ich empfehle das Buch, weil es dazu beiträgt, die eigenen Ansichten zu hinterfragen und möglicherweise neu auszurichten.

Die Erlöse aus dem Verkauf der Anthologie gehen an das Sozialwerk des deutschen Buchhandels. Mit ihnen werden unverschuldet in Not geratene Buchhändler unterstützt und die berufliche Aus- und Weiterbildung bedürftiger junger Buchhändler gefördert.

Corona und wir ist im Penguin Verlag erschienen und wurde nur als E-Book herausgegeben. Es kostet 9,99 Euro.

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