Sonntag, 13. September 2020

# 256 - Der Blick ins Oval Office aus der ersten Reihe

Je näher die US-Wahl am 3. November 2020 rückt, umso mehr Menschen, die dem amtierenden Präsidenten auf die eine oder andere Weise nahe stehen oder standen, veröffentlichen ein Buch mit ihrer Sicht auf ihn. Nicht immer ist klar, was die Autorinnen und Autoren dazu bewogen hat, doch bei John Bolton gibt es hinsichtlich seiner Motivation keinen Zweifel. 

Bolton hat sich aus "kleinen" Verhältnissen hochgearbeitet und ist sein Leben lang für die Republikanische Partei eingetreten. Schon im Alter von 16 Jahren engagierte er sich für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Barry Goldwater, während der Amtszeiten von Ronald Reagan und Bush sen. und jun. hatte er mehrere verantwortugsvolle Positionen in der US-Administration inne. Als er im April 2018 als Nationaler Sicherheitsberater in Trumps Dienst eintrat, war er im 70. Lebensjahr und damit in einem Alter, in dem andere ihr Leben genießen. Das kam für ihn jedoch nicht infrage: Er wollte noch mitmischen und hat auch Trump gegenüber immer wieder betont, dass er nur an zwei Positionen Interesse hat: der des Außenministers und der des Nationalen Sicherheitsberaters.

Zum Zeitpunkt seiner Amtsübernahme hat Bolton sicher nicht damit gerechnet, was ihn in den nächsten Monaten erwarten würde. Er beschreibt mit beinahe buchhalterischer Genauigkeit, was sich während seiner 519 Amtstage in der Welt an politisch Bedeutsamem zugetragen hat und wie seiner Ansicht nach damit hätte umgegangen werden müssen, aber nicht wurde. Während Bolton sich zu Beginn noch über das administrative Chaos um den Präsidenten herum wundert, seine Grundhaltung diesem gegenüber aber grundsätzlich positiv ist, beginnt die Stimmung irgendwann zu kippen. Bolton registriert, dass Trumps Entscheidungen, wie die USA mit den globalen Krisenherden umgehen sollten, nicht auf Fakten und Erfahrungen beruhen, sondern fast durchgehend einem Impuls entspringen: Was heute gilt, kann schon morgen überholt sein. Die wichtigste Richtschnur bei der Entscheidungsfindung ist nicht das Wohl des amerikanischen Volkes, sondern der Nutzen für die eigene Wiederwahl.

Dass Donald Trump nicht über nennenswerte geographische oder historische Kenntnisse verfügt, ist nichts Neues. Auch seine Zuneigung zu Autokraten wie Putin oder Kim Jong-Un sowie sein ambivalentes Verhältnis zum chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping ist schon häufig in den Medien geschildert worden. Aus Boltons Sicht, der diese Zuneigung nicht teilt, hat sich der US-Präsident von ihnen immer am Nasenring herumführen lassen, ohne deren wahre Absichten zu verstehen. Bolton schildert Ereignisse, die belegen, wie gleichgültig Trump demokratische Prozesse und der diplomatische und - als letztes Mittel - militärische Umgang mit Krisen sind. Seine Denkweise ist von Dogmen geprägt, die sich gebetsmühlenartig wiederholen: "Warum sind wir da?", wenn er registriert, dass sich US-Truppen im Ausland befinden, oder "die EU ist schlimmer als China, nur kleiner", was sich immer anbietet, wenn es warum auch immer um einen EU-Mitgliedsstaat geht oder den Staatenbund als Ganzes. Ebenfalls bekannt ist sein gestörtes Verhältnis zu Frauen in Machtpositionen.

Bolton muss sich wie Don Quijote beim Kampf gegen die Windmühlenflügel vorgekommen sein, wenn  immer dann, wenn sich ein für die USA günstiger Regierungswechsel im Ausland abzeichnete (Iran, Venezuela, Syrien), seine Vorschläge für eine militärische Intervention ignoriert wurden. Der Grund für Trumps Ablehnung lag jedoch nicht darin, die amerikanischen Soldaten schützen oder einen Krieg verhindern zu wollen; er wurde stets von einem isolationistischen Leuchtturmdenken geleitet, dem die Erkenntnis, dass kein Land auf der Welt für sich allein steht, völlig fremd ist.
Bolton litt zusehends auch unter dem Chaos, das der Präsident ständig verursachte, und war befremdet von dessen Rachsucht, die auch diejenigen Menschen einschloss, die ihm nicht mehr schaden konnten.

Bolton zeichnet in Der Raum, in dem alles geschah ein Bild des amtierenden US-Präsidenten, das niemanden überraschen dürfte, der das Weltgeschehen in den letzten Jahren ein bisschen verfolgt hat. Mutmaßlich unfreiwillig gibt er seinen Lesern jedoch auch Einblick in seine eigene Persönlichkeit. Die Welt hatte, als Bolton zum Nationalen Sicherheitsberater ernannt wurde, bereits seit über einem Jahr dem erratischen und egomanischen Treiben Trumps zusehen müssen. Da wirkt Boltons Wunsch, in dieser Regierung etwas bewirken zu können, sehr naiv. Die Erkenntnis, dass Trump nicht auf seine besten Berater hört, sondern auf die Person, mit der er zuletzt gesprochen hat, ist Bolton relativ früh gekommen. Er muss sich im Rückblick selbst fragen, warum er fast eineinhalb Jahre trotzdem in der Rolle des Zuträgers geblieben ist. Nicht zuletzt wirkt auch seine Weigerung, vor dem Untersuchungsausschuss auszusagen, der im Rahmen des Amtsenthebungsverfahrens gegen Trump eingerichtet wurde, unglaubwürdig. Wäre es nicht die Gelegenheit gewesen, sich dieses unfähigen Präsidenten zu entledigen? Oder spielten dabei eigene wirtschaftliche Überlegungen hinsichtlich der Buchveröffentlichung eine Rolle?

Sehr unangenehm wirkt auch das Schwarz-Weiß-Denken, in dem sich Trump und Bolton gar nicht so unähnlich sind. Es ist überall üblich, dass sich politische Gegner in der Öffentlichkeit nicht das Schwarze unter den Fingernägeln gönnen. Das Ausmaß der Verachtung, das Bolton jedoch sämtlichen demokratischen Politikern entgegenbringt, ist symptomatisch für die derzeitige politische Situation in den USA: Da wird nicht mehr debattiert, sondern der Gegner in die Nähe von Kriminellen gerückt und regelrecht verteufelt. Die fragwürdige Politik unter republikanischen Präsidenten, an der Bolton maßgeblich beteiligt war, wird nicht angesprochen. Ein derart vergiftetes Klima schadet jedem Land.

Verärgert beschreibt Bolton viele Male, wie sich Trump von Beratern beeinflussen ließ und vergisst dabei, dass er das ebenso versucht hat - wenn auch immer öfter vergeblich. Der Bürokratie bringt der Ex-Sicherheitsberater viel Verachtung entgegen: Die Bedenken des damaligen Finanzministers sind ihm zu kleinlich, der Wunsch des Außenministers nach Verhandlungen ist lästig. In vielen Situationen wirkt er persönlich beleidigt.
Die Presse kommt bei Bolton sehr schlecht weg: Wo immer Reporter auftauchen, bezeichnet er sie als "Pressemeute" oder "Pressemob"; als Teil einer demokratischen  Kultur sieht er die Medien nicht. 

Bolton schreibt in seinem Buch sinngemäß, das erste Jahr als Nationaler Sicherheitsberater sei ihm wie zehn Jahre vorgekommen. Man glaubt das unbesehen.

Der Raum, in dem alles geschah ist 2020 bei Das Neue Berlin erschienen und kostet als gebundenes Buch 28 Euro sowie als E-Book 18 Euro.

Zu diesem Buch hatte die Agentur Literaturtest eine Blogtour veranstaltet, die mit diesem Beitrag begann.

Anmerkung: Wer mehr über das Sterben der Demokratie vor allem in den USA erfahren möchte, kann hier weiterlesen.


 

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