T.C. Boyles neuester Roman Sprich mit mir spielt im Jahr 1978. Die junge Studentin Aimee Villard führt ein zurückgezogenes und unaufgeregtes Leben. Das ändert sich, als sie zufällig eine Fernseh-Gameshow einschaltet, in der der Wissenschaftler Guy Schermerhorn mit dem Schimpansen Sam auftritt.
Guy ist Professor an der UCSM in San Marcos, 100 Meilen südlich von L. A. Er behauptet, Schimpansen das Sprechen mittels Gebärden beibringen zu können und will das nun mit dem TV-Auftritt beweisen. Sam ist zu diesem Zeitpunkt zwei Jahre alt und wurde für den Auftritt wie ein Mensch eingekleidet.
In der Uni stößt Aimee zufällig auf einen Aushang, mit dem Guy nach studentischen Hilfskräften für sein Projekt sucht. Aimees Interesse ist geweckt. Bislang hatte sich Guys Frau mit engagiert, aber nachdem sie ihn verlassen hat, gibt es auf seiner Forschungsranch ein Personalproblem.
Sam muss ununterbrochen betreut werden, um ihn daran zu hindern, um sich herum ein Chaos anzurichten. Die Sorge, dass die zierliche Aimee mit dieser Aufgabe überfordert sein könnte, erweist sich schon bei ihrem Vorstellungstermin als unbegründet: Der Schimpanse ist sofort von ihr begeistert und sucht sie selbst aus.
In der folgenden Zeit intensiviert sich ihr Verhältnis: Sam verliebt sich in Aimee und beansprucht sie Tag und Nacht, die Studentin hingegen hat mit dem neuen Job ihren persönlichen Lebenssinn gefunden. Sams Fähigkeit, sich mit Gebärden zu artikulieren, ist bemerkenswert: Er ist in der Lage, Bedürfnisse zu formulieren, hat aber auch begriffen, dass gutes Benehmen zu Belohnungen führt. Seine Erkenntnisse setzt er gern ein, wenn es nötig ist.
Sam hat an seine Artgenossen praktisch keine Erinnerung. Er wurde seiner in Freiheit lebenden Mutter noch als Baby entrissen, nachdem man sie mit einem Betäubungspfeil handlungsunfähig gemacht hatte. Deshalb sieht sich der Schimpanse in der Gesellschaft von Aimee, Guy und anderen studentischen Hilfskräften als einer von ihnen. Seine Andersartigkeit ist ihm nicht bewusst.
Als das Forschungsprojekt in Schwierigkeiten gerät, verlangt Guys Vorgesetzter, Professor Moncrief, dessen Beendigung und Sams Rückgabe an ihn als seinen Eigentümer. Das Schicksal des Schimpansen scheint besiegelt zu sein: Er ist für den Laborkäfig mitten unter anderen Schimpansen vorgesehen und wird später an ein anderes Labor weiterverkauft werden. Die Zeit in der verdreckten Schimpansenanlage erlebt Sam als traumatisch, zumal er sich mit seinen Artgenossen nicht verständigen kann. Für ihn sind sie alle nur schwarze Käfer.
In dieser für Sam kritischen Situation offenbart sich die unterschiedliche Sichtweise von Guy und Aimee: Für den Professor dient das Projekt mit Sam in erster Linie dazu, die eigene fachliche Reputation zu vermehren, dafür nimmt er die Einschränkungen seines Privatlebens in Kauf. Aimee hat zu dem Schimpansen jedoch eine emotionale Beziehung aufgebaut, sodass sie sich für sein Wohlergehen und seinen Schutz verantwortlich fühlt. Deshalb ist ihr auch bewusst, von wessen Seite Sam die größte Gefahr droht: Moncrief betrachtet Sam als eine Sache, mit der er umgehen kann, wie er es für richtig hält. Aimee beschließt, Sam mit einer waghalsigen Aktion vor einem Schicksal als Labortier zu bewahren.
Lesen?
Boyle beschäftigt sich in seinem Buch mit mehreren Fragen: Wie vermessen ist es, ein Wesen nach den eigenen Vorstellungen zu formen und ihm seinen Willen aufzuzwingen? Und ist es vorstellbar, dass Sam nicht nur Erlerntes anwenden, sondern auch abstrahieren kann? Die Beschreibung des Schimpansen legt nahe, dass er dem Menschen ähnlicher ist als seinen Artgenossen. Sogar eine religiöse Komponente kommt ins Spiel, als es darum geht, ob Sam eine Seele nach unseren Vorstellungen haben und deshalb getauft werden könnte.
Man staunt beim Lesen über Sams Fähigkeiten, ärgert sich über Guys Egoismus und Moncriefs Brutalität und verfolgt fasziniert, wie Aimee versucht, Sam vor einem traurigen Schicksal zu bewahren. Man wünscht den beiden eine glückliche Fügung und hat gleichzeitig Zweifel, ob und wie Aimees Plan gelingen kann. Klare Leseempfehlung.
Sprich mit mir ist 2021 im Hanser Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 25 Euro, als E-Book 18,99 Euro sowie als Hörbuch 19,99 Euro (MP3-CD) bzw. 17,95 Euro (Download).
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