Ein Justizirrtum der besonderen Art
Das heutige Buch ist tatsächlich so verworren, wie es der Titel des Posts vermuten lässt. Mit Cliffhanger ist dem Autor Tim Binding ein Verwirrspiel gelungen, bei dem der Leser oft glaubt, den Mörder zu kennen, aber dann ist doch wieder alles ganz anders.
Es ist gar nicht so eifach, seine Frau um die Ecke zu bringen
Der selbstständige Taxifahrer Al Greenwood hat seine Frau Audrey so richtig satt - ihre schwabbeligen Arme, ihren Geruch, ihre Art, eben einfach alles an ihr. An einem Tag, an dem es aus Kannen regnet, provoziert Al einen Streit mit Audrey. Völlig außer sich wirft sie sich ihren gelben Regenmantel, ein Allerwelts-Kleidungsstück, über und rennt aus dem Haus. Das ist die Gelegenheit, auf die Al gewartet hat: Er lässt Audrey einen Vorsprung und folgt ihr. Er ist nicht darauf angewiesen, sie zu sehen, da er sowieso weiß, wohin sie in einer solchen Situation gehen wird: zu ihrem Lieblingsplatz ans steil abfallende Kliff.
Und tatsächlich kann er von seinem Versteck in den Ginsterbüschen sehen, wie sie da steht, seine Audrey: mit dem Rücken zu ihm, ganz dicht am Abgrund und verzweifelt weinend. Es reichen ein Sprung nach vorn und ein heftiger Stoß, dass Audrey in die Tiefe fällt und ihre letzte Reise antritt. Stumm, nur mit den Armen wedelnd.
Al geht euphorisch nach Hause und freut sich auf sein neues Leben: auf die Ruhe, auf seine geliebten Karpfen, die im Gartenteich ihre Bahnen ziehen, seine Autos und seine endlose Freiheit.
Sein Glück zerplatzt wie eine Seifenblase, als er sein Haus betritt: Da sitzt Audrey leicht bekleidet vor dem geheizten Kamin, neben sich eine Flasche Champagner im Eiskübel und beginnt sofort damit, ihn zu verführen.
Al ist ein Rätsel, wen er da über die Klippen geschubst hat.
Eine verschlafene Kleinstadt voller Seltsamkeiten
Noch am selben Tag wird bekannt, dass eine junge Frau, Miranda, verschwunden ist. Es ist ein Geheimnis zwischen Al und Mirandas Mutter Iris, dass Miranda höchstwahrscheinlich Als Tochter ist und gezeugt wurde, als beide ihre jeweiligen Partner betrogen hatten. Sollte Al tatsächlich sein eigenes Fleisch und Blut ermordet haben? Er ist verzweifelt, aber sein Selbsterhaltungstrieb behält die Oberhand. Er versucht, so gut wie möglich die Fassade aufrecht zu erhalten und lebt sein Leben weiter, als sei nichts gewesen. Ihm fällt allerdings auf, dass seine Frau offensichtlich ein Geheimnis vor ihm hat: Sie will ihm nicht sagen, wohin sie an diesem verregneten Tag gegangen ist, wenn schon nicht zum Kliff. Doch nicht nur sie benimmt sich seltsam: Da gibt es die neugierige Nachbarin Alice, die sich ihr Alter mit Joints und Alkohol "versüßt" und im höchsten Haus des Ortes wohnt, weil man von dort aus die nächste Umgebung so schön im Blick hat. Oder den untreuen Zahnarzt, der unter seinem Behandlungsstuhl eine Schrotflinte aufbewahrt. Man kann ja nie wissen...
Als die örtlichen Polizisten an praktisch jeder Tür klingeln, um Hinweise auf Mirandas Verschwinden zu sammeln, behaupten Al und Audrey, an dem fraglichen Tag nicht aus dem Haus gegangen zu sein. Einer der Polizisten ist nicht ganz bei der Sache: Er war am selben Tag, an dem Miranda als vermisst gemeldet worden war, von seiner Frau verlassen worden. Er hatte nur einen Brief vorgefunden, in dem sie sich über seine übertriebene Liebe zu seinen Karpfen beklagt hatte, und sie war seitdem nicht mehr gesehen worden. Vermutlich war sie längst in ihre alte Heimat nach Kanada zurückgegangen. Oder...?
Al verstrickt sich immer mehr in einem Netz aus Widersprüchen und von seiner Frau angezettelten Intrigen gegen einen verfeindeten Taxiunternehmer. Er merkt erst viel zu spät, dass sich die Schlinge um seinen Hals immer weiter zuzieht. Genau genommen durchschaut er es erst, als er verhaftet und in den Streifenwagen geschoben wird.
Mieses Karma?
Al ist eigentlich ein Typ, den man normalerweise ziemlich unsympathisch findet: Er hat Audrey schon seit dem Beginn ihrer Ehe ständig betrogen, er ist unfreundlich zu seinen Mitmenschen und gönnt einigen von ihnen nicht mal das Schwarze unter den Fingernägeln. Aber er schlittert im Verlauf der Handlung von einer Ungeschicklichkeit in die nächste, sodass der Leser unwillkürlich Mitleid mit ihm bekommt. Bei jedem neuen Versuch, von sich abzulenken oder Zeugen auszuschalten, die ihn an dem fraglichen Tag draußen gesehen haben, möchte man ihm zurufen "Lass es sein!", aber Al setzt seine unfreiwillige Selbstzerstörung unbeirrt fort.
Er landet (natürlich) im Knast, wenn auch für den falschen Mord. Er wird dort 25 Jahre bleiben, und außer Audrey profitieren noch etliche andere von seinem Schicksal.
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