Atlanta in den 1970ern: Rassismus, Fanatismus und Frauenhass
Auch in dieser Woche wird es um einen Thriller gehen, der Fans dieses Genres sicher gefallen wird: Mit Cop Town - Stadt der Angst von Karin Slaughter stelle ich euch ein Buch vor, mit dem man sich gern die Nächte um die Ohren schlägt.
Dreh dich nicht um, der Atlanta-Shooter geht um ...
1974 geht in Atlanta ein Serienkiller um, der bereits mehrere Cops erschossen hat. Jedes Mal sah die Szene, die die Kollegen vorfanden, wie nach einer Hinrichtung aus, und jede Tat folgte dem gleichen Muster: Jemand meldete einen Überfall, das diensthabende Team übernahm und wurde kurze Zeit später tot aufgefunden. Die Verurteilung eines Verdächtigen war ein Jahr zuvor vor allem daran gescheitert, dass offenbar etliche Beweisstücke von der Polizei fingiert worden waren.Im Atlanta Police Department treffen an einem Tag im November 1974 zwei sehr unterschiedliche Frauen aufeinander: Kate Murphy ist seit zwei Jahren verwitwet, ihr Mann fiel im Vietnamkrieg. Sie sieht ungewöhnlich gut aus, ist Jüdin und stammt aus einem wohlhabenden Elternhaus - über ihre Herkunft und ihren Glauben schweigt sie sich wohlweislich aus.
Um sich nach mehreren abgebrochenen Jobs selbst zu beweisen, dass sie auf eigenen Füßen stehen kann, hat sich Kate an der Polizeiakademie ausbilden lassen und just an dem Tag ihren Dienstantritt, als der in der Presse als Atlanta-Shooter bezeichnete Polizistenmörder erneut zuschlägt.
Maggie Lawson ist 23 Jahre alt und seit fünf Jahren einer der wenigen weiblichen Cops in Atlanta. Sie stammt aus einer desolaten Familie, in der zwei Männer die Frauen dominieren und terrorisieren: Ihr stockkonservativer und ständig besoffener Onkel Terry, der seine gewalttätige Ader als Sergeant auslebt, und ihr Bruder Jimmy, selbst ein Cop in Atlanta.
Jimmy wird um Haaresbreite selbst das nächste Opfer des Shooters, während seinem Partner Don Wesley das halbe Gesicht weggeschossen wird und er im Krankenhaus stirbt.
Kate wird an ihrem ersten Tag eigentlich Jimmy, der trotz dieses Mordes wieder im Dienst ist, als Partnerin zugeteilt, aber nach einem Konflikt ist der junge Mann froh, sie an seine Schwester Maggie abschieben zu können. Die beiden Kolleginnen können zunächst rein gar nichts miteinander anfangen. Maggie hält Kate für einen blöden Frischling und ist sicher, dass sie keine Woche durchhält. Kate hingegen hat Probleme mit der ungehobelten und feindseligen Art, die ihr nicht nur von Maggie entgegengebracht wird, somdern die so etwas wie das Grundrauschen des ganzen Reviers ist.
Kinder, Küche, Kirche - SO hat eine Frau zu leben
Cop Town - Stadt der Angst ist nicht einfach nur ein Thriller, sondern wird von Karin Slaughter auch dazu genutzt, den Menschen, unter denen sie selbst aufwuchs, einen Spiegel vorzuhalten. Atlanta: Das ist in den 1970er Jahren eine Stadt, die von Rassenhass, Homophobie, Kriminalität, Gewalt und tiefer Verachtung gegenüber Frauen geprägt ist. Die Stadtteile sind aufgeteilt: hier die Huren, Dealer und sonstiges "Volk", dort die reichen Einwohner, die in ihren Villen mit den gepflegten Vorgärten in ihrer eigenen Welt leben. Das Atlanta P. D. ist weit davon entfernt, so etwas wie eine neutrale und gerechte Instanz zu sein: Verdächtige, von denen man mutmaßt, dass sie ohne Strafe davonkommen könnten, bekommen von den Cops einen ganz individuellen "Denkzettel". Korruption und Vetternwirtschaft werden quasi als Teil einer gottgegebenen Ordnung begriffen, bei so manchem Cop hängt ein Umhang des Ku-Klux-Klan zu Hause ganz hinten im Kleiderschrank. Muss erwähnt werden, dass weibliche Cops lieber keine eigene Meinung haben sollten und von einer Polizeikarriere so weit entfernt sind wie die Erde vom Mars? Die wenigen schwarzen Polizisten werden selbstverständlich nicht zusammen mit weißen Kollegen eingeteilt und dürfen auch keine Weißen festnehmen.
Doch dann bricht über die alte Ordnung im Atlanta P. D. eine Zeitenwende herein: Der neu gewählte schwarze Bürgermeister setzt einen neuen Polizeichef ein. Ebenfalls schwarz, ohne eine Vergangenheit bei der "Truppe". Er beginnt, dem Strippenziehen und Begünstigen ein Ende zu machen und ist deshalb bei Cops wie Terry Lawson verhasst. In diese Phase fällt der Beginn der Mordserie, in deren Ermittlung Kate, Maggie und ihre erfahrene Kollegin Gail eingreifen. Auf eigene Faust, weil sie nach Ansicht ihrer männlichen Kollegen als Frau zu nichts anderem taugen als zum Streifendienst, und auch das mehr recht als schlecht.
Ermittlungen? Wer braucht schon ordentliche Polizeiarbeit?
Maggie fallen an Jimmys Darstellung des Überfalls auf ihn und seinen Kollegen mehrere Ungereimtheiten auf: Warum behauptet ihr Bruder, auf den Shooter geschossen zu haben, wenn seine Waffe offensichtlich nicht vor Kurzem benutzt wurde? Wieso hat er Knochensplitter des getöteten Don in seinen Koteletten? Und wo ist sein Funkgerät?
Doch diese Fragen stellt Maggie nur sich selbst. Onkel Terry, der auch ihr Vorgesetzter ist, hat ihr unter Androhung von Schlägen untersagt, darüber nachzudenken, weil Frauen so etwas sowieso nicht können. Statt dessen wird die in solchen Fällen übliche Treibjagd auf alle stadtbekannten Kriminellen angezettelt mit dem Ziel, wegen des durch die Polizei ausgeübten Drucks irgendjemanden zum "Singen" zu bewegen.
So unterschiedlich Maggie und Kate auch sind, raufen sie sich doch während ihrer Ermittlungen zusammen. Durch ein zufälliges Wiedersehen mit einem Jugendfreund bekommt Kate neue Erkenntnisse, die sie zunächst für sich behält: Philipp, der sie schon als 15-Jähriger angehimmelt hatte, ist jetzt Arzt in dem Krankenhaus, in das Jimmy einen Tag nach dem Überfall des Shooters mit einer Schusswunde eingeliefert wird. Er weist Kate auf Auffälligkeiten hin, die auf Jimmys Röntgenbild zu erkennen sind und den Cop in einem ganz anderen Licht erscheinen lassen. Doch dann verschwindet Jimmy plötzlich und hinterlässt einen Abschiedsbrief: "Ich bin der Atlanta-Shooter. Ich habe all die Männer umgebracht, weil ich mit ihnen dreckige Schwulensachen gemacht habe." Das ist für Terry das Startsignal, die Jagd auf seinen Neffen zu eröffnen. Nicht Jimmys Geständnis, Menschen ermordet zu haben, ist für den Sergeant das Schlimmste, sondern dass sein Neffe ein Schwuler ist. Abschaum.
Ende gut, alles gut?
Es ist kaum zu glauben, aber die Handlung von Cop Town - Stadt der Angst erstreckt sich nur über Kate Murphys erste vier Arbeitstage und den achten Tag. Die Vielzahl der Ereignisse hätte jedoch problemlos für mehrere Wochen Polizeiarbeit gereicht. Der Atlanta-Shooter wird gestellt, aber das erwartet man ja auch von einem solchen Buch. Doch erst kurz vor dem Showdown wird klar, wer hinter dem Shooter steckt und welche Motive ihn zu seiner Mordserie bewogen haben. Der Verlauf der Ermittlungen, die von Maggie und Kate ziemlich unkonventionell geführt werden, bringt ebenfals eine ganze Reihe unangenehmer Wahrheiten ans Licht.
Das Ekelpaket Terry Lawson befindet sich am Ende in einer Situation, die man seinem ärgsten Feins nicht wünschen würde.
Dieser Thriller gehört zu den spannendsten Büchern, die ich bisher gelesen habe, und ich finde ihn noch besser als "Zu richten die Lebenden" aus der letzten Woche.
Ich bedanke mich beim Bloggerportal, das mir dieses Buch zur Verfügung gestellt hat. Cop Town - Stadt der Angst kann beim Blanvalet Verlag bestellt und in jeder Buchhandlung zum Preis von 14,99 € gekauft werden (Klappenbroschur).
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen