Ein Reporter wird ermordet
Der Krimi Libreville von Janis Otsiemi ist der erste Roman eines Schriftstellers aus Gabun, der je ins Deutsche übersetzt wurde. Die Gelegenheit, auf diesem Weg einen Blick auf das westafrikanische Land zu werfen, wollte genutzt werden.
Korruption und Skrupellosigkeit sind an der Tagesordnung
An einem Montag des Jahres 2008 wird morgens um drei Uhr in der gabunischen Hauptstadt Libreville ein Toter in der Nähe des Präsidentenpalastes ins Meer geworfen. Einen Tag später wird er von Spaziergängern gefunden: Es handelt sich um den Investigativjournalisten Robert Missange, der der stellvertretende Chefredakteur des Échos du sud ist und sich durch seine Reportagen etliche Feinde gemacht hat. Er starb durch einen Schuss in den Hals, von seiner Schreibhand wurden ihm zwei Finger abgetrennt. Die Vermutung, dass es einen Zusammenhang zwischen seinem Tod, den Folterspuren und seinen regierungskritischen Artikeln gibt, liegt nahe: In einem Jahr sollen die nächsten Wahlen stattfinden, der Sohn des derzeitigen Machthabers ist dazu vorgesehen, das Amt seines Vaters zu "erben". Da ist eine zügige Aufklärung nötig, mit der natürlich aufgrund der politischen Brisanz nicht einfache Polizisten, sondern Beamte der Police Judiciaire (PJ) beauftragt werden.
Bei der Leiche wird eine Patronenhülse gefunden, die darauf hindeutet, dass Missange mit einer Maschinenpistole aus tschechoslowakischer Herstellung ermordet wurde. In Gabun benutzen nur die Leibwächter des Verteidigungsministers Waffen dieses Typs. Mit der Tatwaffe wurde jedoch schon einmal ein Mord begangen: Fünf Jahre zuvor wurde der Sicherheitschef des Verteidigungsministers mit dieser Pistole getötet. Aber die Ermittler haben den Verdacht, dass die Spuren absichtlich so gelegt wurden, dass sie von den wahren Tätern ablenken sollen.
Die Polizeiarbeit findet unter Verhältnissen statt, für die das Attribut "veraltet" noch geschmeichelt ist: Die technische Ausstattung der PJ besteht aus einer Schreibmaschine aus den 1960er Jahren, und es läuft viel über Informanten, das Verprügeln der Verdächtigen im sog. Purgatorium und Bauchgefühl.Kein klassischer Krimi
Libreville entspricht nicht dem, was sich europäische oder US-amerikanische Leser unter einem Kriminalroman vorstellen. Wer also gut ausgearbeitete Charaktere und jede Menge Spannung erwartet, sollte um dieses Buch einen Bogen machen. Janis Otsiemi stellt den Mord an Robert Missange zwar an den Anfang der Handlung und weist ihm so die größte Wichtigkeit zu, die Kriminalbeamten bearbeiten jedoch auch noch weitere Fälle: Da gibt es eine Fahrerflucht mit Todesfolge, einen pädophilen Pornoproduzenten und einen Ex-Minister, dem in einem Moment der Unachtsamkeit sein Scheckheft gestohlen und anschließend von den Dieben ausgiebig genutzt wird. Diese Fälle nehmen ebenso viel Raum ein wie der eigentliche Hauptfall und dienen wie dieser dazu, das Land und seine Strukturen zu beschreiben: Korruption ist so normal, dass man sich dort wohl fragen könnte, wie man ohne sie auskommt, die Verkommenheit nimmt mit jeder Stufe in der Polizeihierarchie zu und wie selbstverständlich "hält" sich jeder der Kriminalbeamten eine Art Zweitfrau, die er für ihre Dienste bezahlt, indem er die Kosten für Miete und Lebensführung übernimmt. Die Organisation dieses Nebenhaushalts und dessen Geheimhaltung finden während der Dienstzeit statt, da muss die Ermittlungsarbeit schon mal warten.
Der Autor hat derart viele Informationen über die Geschichte und aktuelle Situation Gabuns in den Text hineingearbeitet, dass sich unweigerlich die Frage stellt, für wen er dieses Buch eigentlich geschrieben hat. Für den Leser, der vor der Lektüre Gabun gerade mal buchstabieren und in Afrika verorten konnte, reichen die neuen Kenntnisse allemal für ein Kurzreferat. Aber: Ist es das, was ein Krimi haben sollte? Erwarte ich ein verkürztes Geschichtsbuch, wenn ich einen Kriminalroman kaufe?
Für dieses Buch spricht, dass es sich in seiner Erzählweise deutlich von typischen Krimis unterscheidet: Otsiemi fängt sehr gut die Stimmung ein, in der die Menschen leben und bedient sich Redewendungen, die eine Situation auf den Punkt bringen. Wenn eine Äußerung wie "Ein Mann so lang wie ein Tag ohne Brot" fällt, ist alles gesagt.
Wer also damit leben kann, dass Libreville nicht in das gewohnte Krimi-Muster passt, sondern sich etwas ganz Anderem öffnen will, sollte dieses Buch lesen.
Libreville ist im Polar Verlag erschienen und kostet als Taschenbuch 14 Euro sowie als epub- oder Kindle-Ausgabe 10,99 Euro.
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