Freitag, 6. September 2019

# 211 - Der Vogel des Todes

Unter dem Pseudonym Samuel Bjørk veröffentlicht
der norwegische Schriftsteller Frode Sander Øien seine Krimis. Das gilt auch für die bislang dreiteilige Reihe um Kriminalkommissar Holger Munch. Federgrab ist das zweite Buch aus dieser Serie.

Die 17-jährige Camilla Green lebt seit zwei Jahren in der privaten Jugendhilfeeinrichtung 'Gärtnerei Hurumlandet' in der Nähe von Oslo. Sie gilt dort als eigenwillig, sodass sich am Tag ihres Verschwindens noch niemand Sorgen um sie macht. Doch dann wird sie von der Leiterin Helene Eriksen als vermisst gemeldet. Kurz darauf zieht sie die Vermisstenmeldung wieder zurück.

Drei Monate später wird Camilla auf einer Lichtung tot aufgefunden: nackt, umgeben von Eulenfedern und mit einer weißen Lilie zwischen den Lippen. Um sie herum ist ein Pentagramm aus Lichtern aufgebaut. Die Szenerie wirkt, als habe hier jemand ein Ritual zelebriert. Bei der Obduktion werden in ihrem Magen Tierfutter-Pellets gefunden. Die Rechtsmediziner finden außerdem Verletzungen an Knien und Handflächen. Die Ermittler gehen schnell davon aus, dass Camilla gefangen gehalten wurde.

Die Jugendeinrichtung, die bislang einen guten Ruf genießt, der insbesondere ihrer Leiterin zu verdanken ist, ist in einer nervös-angespannten Aufregung. Der Ort, an dem auch schwer traumatisierte Kinder und Jugendliche wieder zur Ruhe und einen Ort zur Regeneration fanden, sieht sich nun Verdächtigungen ausgesetzt.

Das Ermittlerteam der Osloer Mordkommission wirft sein Netz in alle Richtungen aus. Dem erfahrenen und allseits geachteten Munch ist es wichtig, wegen ihrer überragenden intuitiven Fähigkeiten die junge Ermittlerin Mia Krüger dabei zu haben. Mia wurde, nachdem sie im Dienst einen Mann erschossen hatte, vom Dienst suspendiert und muss sich einer Psychotherapie unterziehen. Doch sie flieht vor den Schatten aus ihrer Vergangenheit in eine Alkohol- und Tablettenabhängigkeit und ist nur begrenzt zurechnungsfähig. Munch schafft es, dass die Suspendierung ausgesetzt wird und stellt trotz aller deutlichen Zeichen von Mias Überforderung seine Bedenken zugunsten der Mordermittlung hintenan.

Die Arbeit der Polizisten kommt erst dann in Fahrt, als ein früherer Freund ihres Teamkollegen Gabriel Mørk, der Hacker Skunk, diesen aufsucht und ihm einen Film zeigt, den er zufällig im Darknet gefunden hat. Darauf ist die entkräftete Camilla zu sehen, die in einem überdimensionelen Hamsterrad, das sich in einem Kellerraum zu befinden scheint, auf Anweisung vorwärts krabbelt und zur "Belohnung" Pellets vom Boden aufklauben und essen muss. Der, der diese Anweisungen gibt, ist zwar nur undeutlich im Hintergrund zu erkennen, hat sich aber zweifellos als Vogel verkleidet. 

Wie war's?

 

Der Thriller Federgrab hätte das Potenzial gehabt, aus den einzelnen thematischen Versatzstücken mehr zu machen. Das Buch wirkt streckenweise jedoch so, als habe der Autor möglichst viele verschiedene gesellschaftliche Themen anschneiden wollen, um der Geschichte zu unerwarteten Wendungen zu verhelfen: Satanismus und Okkultismus gepaart mit den Schattenseiten des Internets und militanten Tierschützern ergeben eine Mischung, die haarscharf an der Grenze zur Unglaubwürdigkeit vorbeischrammt.

Die Figur des Holger Munch erinnert deutlich an die des Kurt Wallander des schwedischen Schriftstellers Henning Mankell: Er ist ebenfalls geschieden, hat eine erwachsene Tochter und neigt zu Grübeleien. Auch Munch hat eine jahrzehntelange Polizeikarriere hinter sich und ist in einem ähnlichen Alter wie Wallander zu Beginn der elfteiligen Krimiserie von Henning Mankell.

Mia Krüger hat Ähnlichkeit mit Lisbeth Salander aus der Millennium-Trilogie von Stieg Larsson - die Bände vier bis sechs empfinde ich als Fake, da sie nach Larssons Tod weitergeschrieben wurden. 
Beide Frauen versuchen, mit ihren Traumata fertig zu werden, sind introvertiert und haben (unterschiedliche) herausragende Fähigkeiten, die ihre Arbeit trotz ihrer charakterlichen Untiefen wertvoll machen.

Federgrab hat mich nicht überzeugt. Ich wurde den Eindruck nicht los, dass bei der Erstellung des Plots auch danach gegangen wurde, welche Charaktere und Handlungsstränge bereits bei anderen Titeln erfolgversprechend eingesetzt wurden. Trotzdem gehört es zu den Büchern, die sich zügig lesen lassen; man will schließlich die Frage aller Fragen beantwortet haben: Wer hat diese scheußliche Tat begangen?

Federgrab ist bei Goldmann erschienen und kostet broschiert 12,99 Euro und als E-Book 9,99 Euro.

Diese Rezension ist Teil einer Reihe, in der ich anlässlich der kommenden Frankfurter Buchmesse Bücher aus Norwegen, dem diesjährigen Ehrengast, vorstelle. Letzte Woche war es Doktor Proktors Pupspulver von Jo Nesbø, den wir in Deutschland eher als Krimiautor kennen und der mit diesem Titel sein erstes Kinderbuch vorgelegt hat.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen