Freitag, 29. November 2019

# 220 - Grenzerfahrungen

Brian Carey, ein Polizist der Garda Síochána na
hÉireann, der 'Hüter des Friedens von Irland', also der  Nationalpolizei der Republik Irland, wird an einem nebligen Tag leblos im Lough Neagh gefunden. Der nordirische Inspector Celsius Daly wird zu der Leiche gerufen. Dem ersten Anschein nach scheint es sich hier um einen Selbstmord zu handeln. Doch Daly, der nach einer Scheidung, der Ermordung seiner Mutter und dem Tod seines Vaters einsam ist und hinter jedem Strauch einen Verbrecher vermutet, hat daran Zweifel und stürzt sich in den Fall. Es muss einen Grund dafür geben, dass der irische Polizist in einem nordirischen See gefunden wurde. 

Der irische Schriftsteller Anthony J. Quinn greift in seinem Krimi Gestrandet den sich seit Jahrzehnten hinziehenden und heute unter dem Deckel köchelnden Nordirlandkonflikt auf.

Die IRA lebt weiter

Dalys Vermutung, dass Carey nicht freiwillig aus dem Leben geschieden ist, verdichtet sich. Er findet heraus, dass sein irischer Kollege an Ermittlungen gegen Tom Morgan, einem früheren IRA-Mitglied, gearbeitet hat. Morgan hat einen äußerst erfolgreichen Schmugglerring aufgebaut, in den zahlreiche Personen wie in ein Spinnennetz verwoben sind. Korruption, brüchige Loyalitäten und rücksichtslose Gewalt sind an der Tagesordnung. An diesem kaum zu entwirrenden System sind nicht nur Morgan und seine Helfer, sondern auch Polizisten, Politiker und einfache Bürger beteiligt. Doch je mehr sich Daly bei seinen Nachforschungen der Wahrheit zu nähern scheint, umso verworrener und undurchdringlicher erscheinen ihm seine Erkenntnisse zu sein - gerade wie in einem dichten Nebel, dem Eingangsmotiv von Quinns Buch.

Inspector Daly verkörpert die Figur des einsamen Wolfes, der nicht nur privat, sondern auch beruflich isoliert ist, seitdem er gegen einen Vorgesetzten ermittelt hatte. Dieser hatte sich umgebracht, und im Laufe der Handlung holt Daly die längst vergessen geglaubte Geschichte wieder ein.

Aktueller Bezug mit bedrückenden Zukunftsausichten

Anthony J. Quinn greift in Gestrandet nicht nur den (vermeintlich) abgeschlossenen Nordirlandkonflikt wieder auf, sondern weist auch auf Zustände hin, die einer breiten Öffentlichkeit bislang eher unbekannt sind: Die Figur des Tom Morgan steht stellvertretend für den intensiven und lukrativen Schmuggel mit Benzin und Heizöl im irischen Grenzgebiet. Kriminelle wie er, die sich und den Fortbestand ihrer illegalen Geschäfte mit allen Mitteln verteidigen, haben den sich nähernden Brexit längst fest im Blick. 

Quinn ist sich offenbar mit Fachleuten einig: Der Brexit wird die Situation an der irisch-nordirischen Grenze verschärfen. Der nordirische Polizeichef Hamilton spricht hinsichtlich des Schmuggels sogar davon, dass "die Lebensader der Kriminalität und des Terrorismus" sprunghaft ansteigen könne.

Lesen?

Ja. Vor allem, wenn man von einem Krimi mehr erwartet als eine Ansammlung von Leichen, literweise Blut, das durch Rinnsteine und Badewannenabflüsse entschwindet und einen verschrobenen Kriminalisten, der wieder Ordnung ins große Ganze bringt. In Gestrandet zeichnet Anthony J. Quinn einen spannenden Kriminalfall mit einem hochaktuellen Bezug.

Gestrandet ist im Polar Verlag erschienen und kostet 20 Euro. 

 

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