Es ist Anfang Mai, die Menschen in der Kleinstadt Thalbach genießen die ersten warmen Tage. Der Ort ist so wie viele andere Kleinstädte: Es ist alles da, was man fürs tägliche Leben braucht, aber der Alltag der meisten Einwohner plätschert ereignisarm dahin.
Doch dann passiert endlich etwas: Eine junge Frau ist auf einem Dach. Die Vermutung, dass sie selbstmordgefährdet sein könnte, liegt nahe. Die Polizei rückt an, die Feuerwehr bläst das Sprungkissen auf und rasch versammelt sich eine neugierige und sensationslüsterne Menge vor dem Haus. Das Erwartbare tritt aber zunächst nicht ein: Die Frau, die man im Laufe des Tage als Manuela Kühne identifiziert, macht keine Anstalten, sich das Leben zu nehmen, sondern reagiert auf die Anfeindungen, die sie von unten erreichen, mit dem Werfen von Gegenständen. Auch vor den Dachziegeln macht sie nicht halt.
Simone Lappert drapiert in ihrem Roman eine Reihe von sehr unterschiedlichen Personen um Manu herum, die meisten scheinen auf den ersten Blick nichts mit der Frau auf dem Dach zu tun zu haben. Doch je mehr man über diese Menschen erfährt, umso deutlicher zeichnet sich ein Netz von Bekanntschaften ab. Da ist zum Beispiel die Halbschwester von Manuela, deren Traum, Bürgermeisterin zu werden, zum Greifen nah ist und die nun gegeneinander abwägt, ihrer vermeintlich durchgeknallten Schwester zu helfen oder höchstwahrscheinlich die Wahl zu verlieren, weil die Öffentlichkeit sie mit der "Irren" in Verbindung bringt. Auch die von der Tragödie profitierenden Einzelhändler spielen eine Rolle, ebenso wie zwei Obdachlose, ein Polizist, eine von allen gemobbte Schülerin oder ein italienischer Modezar.
Der ruhige Pol ist das Lokal von Roswitha. Es ist, als liefen hier alle Fäden zusammen. Sie hat den Überblick, sie ist der bei Weitem empathischste Mensch in diesem Buch. Die Redewendung 'In der Ruhe liegt die Kraft' könnte ihr Lebensmotto sein.
Und dann ist da noch Finn. Er sieht sich als Manus Freund, erkennt aber im Laufe der Ausnahmesituation, wie wenig er über sie weiß. Er steht vor der Entscheidung, zu der jungen Frau zu halten oder seine eigenen Träume zu verwirklichen.
Sehr vielen der skizzierten Figuren ist gemeinsam, dass sie mit Erinnerungen leben, die ihre Seelen stark belasten und einen Schatten auf ihre Schicksale werfen.
Wird am Ende alles gut? Jein.
Lesen?
Ja, denn Der Sprung ist sehr lebendig und feinfühlig geschrieben. "Hänger" gibt es keine.
Was mich allerdings störte, sind die vielen Zufälle, die sich in diesem Roman eng aneinander drängen. Dazu gehört auch der Grund, aus dem sich Manu auf dem Dach befindet. Es hätte für sie sicher andere Wege gegeben, die Situation zu einem guten Ende zu führen. Hier ließe sich eine andere Redewendung heranziehen: 'Weniger ist mehr.'
Der Sprung ist im Diogenes Verlag erschienen und kostet als gebundenes Buch 22 Euro sowie als E-Book 18,99 Euro.
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