Samstag, 8. Mai 2021

# 289 - Igor Levit: Nicht einfach "nur ein Pianist"

Wer sich für Musik interessiert, wird seinen Namen schon einmal gehört haben; wer sich insbesondere für klassische Klaviermusik interessiert, kommt an ihm praktisch nicht vorbei: Der Pianist Igor Levit hat sich in der Musikwelt längst einen Namen gemacht und lockt auf der ganzen Welt viele Menschen in seine Konzerte.

Der Journalist Florian Zinnecker hat Igor Levit ein Konzertjahr lang begleitet. Es gab persönliche Treffen, Telefonate und E-Mails. Hin und wieder habe ich in Feuilletons gelesen, bei dem so entstandenen Buch Hauskonzert handele es sich um eine Biografie. Man kann angesichts Levits Alter (34) und des relativ kurzen Zeitraums, in dem sich der Kontakt zwischen Levit und Zinnecker abgespielt hat (Dezember 20019 bis August 2020), durchaus anderer Meinung sein.

Was das Buch aber auf jeden Fall ist: ein Porträt, das sich nicht nur mit dem erfolgreichen Musiker Igor Levit beschäftigt, sondern auch mit dessen Persönlichkeit. Levit blickt zurück auf sein Leben, in dem sich seine Kindheit als große Leerstelle erweist: Wie er sich in seiner Geburtsstadt Gorki gefühlt hat, wie seine ersten Lebensjahre verlaufen sind - Levits Erinnerungen an viele Dinge sind nur verschwommen und werden von denen seiner Mutter Elena ergänzt.

Präsent sind hingegen die Gegenwart und die jüngere Vergangenheit. Freundschaften entstehen, verfestigen sich und werden beendet - durch den Tod oder weil die jeweiligen Wege auseinandergehen.

Levits künstlerischer Erfolg war alles andere als eine Selbstverständlichkeit. Viele Rückschläge markierten seinen sich über etliche Jahre hinziehenden Aufstieg in die Musikelite. Seine musikalische Ausbildung erhielt er überwiegend an der renommierten Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover, wo er seit 2019 auch eine Professur inne hat.

Die Musik nimmt ohne Frage einen großen Teil von Levits Leben ein. Der Pianist ist jedoch auch ein politischer Mensch, der sich immer wieder über seinen Twitter-Account zu Antisemitismus und Rassismus äußert. Das hat ihm nicht nur Freunde eingebracht, sondern auch reichlich Anfeindungen bis hin zu Morddrohungen.
Vielen Menschen wurde er erst durch seine Aktivitäten dort bekannt: Als mit dem Beginn der Pandemie sich im März 2020 auch die Türen der Konzertsäle auf unbestimmte Zeit schlossen, entschied sich Levit spontan zu seinen Hauskonzerten auf Twitter. Das erste fand am 12. März statt, er spielte die Waldsteinsonate von Beethoven. 80.000 Menschen haben live zugesehen. 52 Hauskonzerte waren es, das letzte gab es am 4. Mai 2020. Diese Konzerte, die mithilfe von Smartphones übertragen wurden, waren für Igor Levit wichtig, weil er auf diese Weise vor Publikum spielen konnte und einen Grund hatte, sich ans Klavier zu setzen.

Die Pandemie ist für Levit wie für jeden anderen Künstler eine große Katastrophe. Es geht nicht nur um fehlende Einkünfte, sondern auch um die große Leere, die sich auf die Psyche niederschlägt. Seine Rettung sind die Menschen, die ihm nahestehen, und die Musik, die er vor Publikum spielt.
Levit neigt zu spontanen Entschlüssen, und aus einer Laune heraus beschloss er, die Vexations des französischen Komponisten Erik Satie zu spielen: ein Thema und zwei Variationen, die sich 840 Mal wiederholen. Das Stück symbolisiert für Levit die Leere, die durch die Schließung der Konzertsäle und den gleichgültigen Umgang der verantwortlichen Politiker damit entstanden ist. Das Spielen dieses monotonen Stücks dauerte vierzehneinhalb Stunden und ist für den Pianisten wie eine Vertonung der Schmerzensschreie der Kunst.

In Hauskonzert kommt man Igor Levit sehr nah. Das gelingt noch besser, wenn man während des Lesens die Stücke hört, die ihm wichtig sind. 

Lesen?

Um sich für Igor Levit zu interessieren, muss man kein Fan von Klaviermusik sein. Das Buch gibt nicht nur Einblicke in seine Persönlichkeit, sondern auch in unsere Gesellschaft, in der es Menschen gibt, die andere wegen ihres Glaubens oder ihrer Herkunft angreifen und bedrohen. Levit musste sogar erleben, dass sich ein bekannter deutscher Musikkritiker mit antisemitischen Zwischentönen über die Art des Pianisten, Beethoven zu spielen, äußerte und sich dabei eines im Nationalsozialismus verbreiteten Narrativs bediente, wonach jüdische Künstler außerhalb der deutschen geschichtlichen Gemeinsamkeit aufgewachsen und deshalb nicht zu einer eigenen Schöpfung in der Lage sind, sondern die wahre Kunst nur nachahmen. Diese Äußerung stammt aus einem Aufsatz von Richard Wagner aus dem Jahr 1850. Levit wird (glücklicherweise) nicht müde, gegen diese Entwicklung Stellung zu beziehen. Leseempfehlung!

Hauskonzert  ist 2021 im Hanser Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 24 Euro sowie als E-Book 17,99 Euro.

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