Freitag, 1. Juli 2022

# 354 - Inside BND: ein Roman aus dem Zentrum des deutschen Nachrichtendienstes

Der Name Carl Maria Ehrlicher ist ein Pseudonym. Der
Autor des Romans Das Tor der Tränen möchte aus einem nachvollziehbaren Grund unerkannt bleiben. Er kennt die Behörde, über die er schreibt, sehr genau: Etliche Jahre war er ein Agent des Bundesnachrichtendienstes (BND) im Außeneinsatz. Ehrlichers Dienstzeit war vor dessen Teil-Umzug von Pullach bei München nach Berlin im Jahr 2019.

Karl Häusler verkörpert (mutmaßlich) den damaligen Agenten Ehrlicher. Häusler rutscht Ende der 1960-er Jahre in den neuen Job beim BND hinein, ist zuerst neugierig, wird aber immer frustrierter, je länger seine Tätigkeit dauert. Seine Motivation, sich nach einer neuen Stelle in einer anderen Behörde oder einem Unternehmen umzusehen, ist dennoch bei null angekommen: Er ist der Überzeugung, im Grunde zu nichts anderem mehr als zur Spionage zu taugen.

Ehrlicher beschreibt sehr genau, wie der normale Agenten-Alltag aussieht. Spoiler: Von James Bond ist er himmelweit entfernt. Es geht um Dienstreiseanträge, Spesenabrechnungen, die kleinen Fluchten während der Dienstzeit und natürlich Vorgesetzte, die nicht unbedingt aufgrund ihrer großartigen Leistungen eine Leitungsfunktion bekommen haben. Das ist alles keine Überraschung, aber atmet den Geist der Zeit, in dem der Roman spielt.

Ehrlicher hat die Handlung zwischen Dezember 1978 und Oktober 1980 angesiedelt. Damals war Helmut Schmidt Bundeskanzler, Hans-Dietrich Genscher Außenminister und sein Parteifreund Klaus Kinkel BND-Präsident.
Aus einer hingeworfenen Bemerkung in der letzten Sitzung des außen- und sicherheitspolitischen Ausschusses vor der Weihnachtspause 1978, "was der Geheimdienst denn eigentlich zum Jemen wüsste", entsteht eine sich nach und nach aufbauschende Operation, deren zentrale Figur Agent Häusler ist. Die Informationen, die sein jemenitischer Kontakt mit dem Tarnnamen "Kalif" ihm bringt, werden von der BND-Aufklärung allerdings aktiv ignoriert. Erst als sich herausstellt, dass der Iran wie von "Kalif" vermutet Seeminen in den Hafen von Aden transportiert, die dann mit LKWs zu einem weiteren Ziel an der Küste gebracht werden, wird Häusler nachdenklich. Tatsächlich sind die Seeminen dazu bestimmt, die Schiffspassagen durch die Meeresstraße Babd al-Mandab (deutsch: Tor der Tränen) zu unterbinden, durch die vor allem Rohöl transportiert wird.

"Kalif" und Häusler treffen sich zum Informationsaustausch in verschiedenen Ländern. Der Informant ahnt erst allmählich, dass er vom jemenitischen Geheimdienst überwacht wird. Die Überwachung wächst sich zu einer ernsthaften Bedrohung aus. 
Häusler steht ganz anderen Problemen gegenüber: Während einer Dienstreise nach Stockholm, die wegen eines Treffens mit "Kalif" stattfindet, lernt er eine Schwedin kennen. Beide verlieben sich Hals über Kopf ineinander. Die Probleme, die sein Beruf und die immer intensiver werdende Beziehung mit sich bringen, werden von Häusler zunächst ignoriert, verdichten sich jedoch schnell immer mehr.
Die Handlung läuft sowohl für ihn als auch seinen Informanten auf eine Katastrophe zu.

Lesen?

Das Tor der Tränen lässt bedeutsame Ereignisse der Zeit um 1980 wieder aufleben: die Flucht des letzten iranischen Schahs Mohammad Reza Pahlavi ins US-Exil, die Rückkehr des schiitischen Führers Ruhollah Musawi Chomeini und die Geiselnahme von 52 Angehörigen der US-Botschaft in Teheran durch iranische Studenten werden wieder in Erinnerung gerufen. Auch die Rolle des damaligen US-Präsidenten Jimmy Carter wird in den Fokus gerückt. Der Roman ist ein interessanter weltpolitischer Rückblick und macht deutlich, wie der "alte" BND mit Krisen umgegangen ist. Wenn man den Schilderungen von Carl Maria Ehrlicher folgt, wurden viele von ihnen zu spät erkannt, weil man den Vorzeichen keine Bedeutung zugemessen hat. Daran waren oft Eitelkeiten und Ignoranz schuld.

Helmut Schmidt hat übrigens darauf verzichtet, sich Berichte des BND vorlegen zu lassen. Er war der Meinung, diese seien zu sehr von der politischen Ausrichtung des Berichterstatters gefärbt und hielt sich lieber an die Artikel der Neuen Zürcher Zeitung.

Das Tor der Tränen ist 2022 im Salon Literaturverlag erschienen und kostet als Hardcover-Ausgabe 21,50 Euro.

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