Freitag, 5. März 2021

# 280 - Es ist alles so optimal hier

Theresa Hannig hat mit ihrem Debütroman Die Optimierer einen Blick in unsere Zukunft geworfen. 

Wir sind im Jahr 2052 und Deutschland ist kaum noch wiederzuerkennen: Die Europäische Union gibt es seit 2031 nicht mehr, Deutschland ist nun Mitglied der BEU, der 'Bundesrepublik Europa'. Zur BEU gehören außerdem Norwegen, Polen, Dänemark, Östereich, Frankreich, die Benelux-Länder sowie die Schweiz. Um die BEU wurde ein Grenzzaun gezogen, um die Flüchtlingsströme - insbesondere aus dem armen Italien - draußen zu halten. Das neu eingeführte Gesellschaftssystem wird als 'Optimalwohlökonomie' bezeichnet, und mit technischen Neuerungen, die angeblich zum Wohl und der Bequemlichkeit der Menschen eingeführt wurden, werden die Bürger nicht nur überwacht, sondern bis in den Schlaf hinein manipuliert. Dagegen ist 1984 von Aldous Huxley Kinderkram.

Im Mittelpunkt steht Samson Freitag. Er ist Anfang dreißig, lebt mit seiner Freundin in München und ist erfolgreicher Lebensberater. Seine Arbeit besteht darin, Bürger aufzusuchen und anhand eines standardisierten Kriterienkatalogs herauszufinden, für welche Tätigkeit an welchem Arbeitsplatz sie sich am besten eignen. Wer sich von ihm beraten lässt, muss seiner Empfehlung für mindestens zehn Jahre Folge leisten, bevor ein erneuter Termin bei der Lebensberatung möglich ist. Die übliche Grußformel "Jeder an seinem Platz!" passt da genau zum System.

Freitag ist ein Vorzeigebürger, der alles richtig machen will und die neue Gesellschaftsordnung voll und ganz unterstützt. Auf seine Eltern, die der Optimalwohlökonomie sehr skeptisch gegenüberstehen und sich immer wieder ihre kleinen Schlupflöcher suchen, blickt er mit einer Mischung aus Unverständnis und Sorge. Warum wollen sie nicht verstehen, dass die Regierung das Beste für alle will?

Neben weit verzweigten Überwachungsstrukturen zeichnet sich das Leben durch eine Reihe von Vorgaben aus. Der Verzehr von echtem Fleisch ist streng verboten; der Internetzugang ist zensiert; ein Privatauto ist nur wenigen verdienten Bürgern - darunter auch Freitag - vorbehalten, alle anderen nutzen Bahnen, Segways, Fahrräder oder sog. Kommunalautos, die sich selbst steuern; immer mehr humanoide Roboter, die kaum noch von echten Menschen zu unterscheiden sind, übernehmen im öffentlichen und privaten Bereich Aufgaben; die Partnersuche wird mithilfe der Volksdatenbank abgewickelt; klassische Schreibutensilien wie Notizbücher oder Füllfederhalter sind nostalgische Relikte aus einer fernen Vergangenheit. 

Freitags ausgeprägtes bürokratisches Pflichtgefühl hat dazu geführt, dass er fast 1.000 Sozialpunkte auf seinem persönlichen Bürgerkonto hat. Er hat sie sich durch Wohltaten und das obsessive Schreiben von Korrekturvermerken verdient. Sobald er die 1.000-Punkte-Marke erreicht hat, kann er mit einer Beförderung rechnen und auf weitere Privilegien hoffen. Freitag sieht eine glänzende Zukunft vor sich.

Aber dann kommt der Tag, an dem sich sein Leben von Grund auf ändern soll. Freitag beendet die Lebensberatung einer jungen Frau damit, dass er sie zur Kontemplation vorsieht. Damit bekommt sie bis zum nächsten Beratungstermin ein bedingungsloses Grundeinkommen, darf aber keinem Beruf nachgehen. Freitag hält sich bei seiner Entscheidung strikt an die Vorgaben und ist felsenfest davon überzeugt, auch hier richtig gehandelt zu haben. Doch schon zwei Tage später ist die Frau tot: Aus Verzweiflung über ihr Schicksal hat sie sich das Leben genommen. Für seine Vorgesetzten bei der Lebensberatung ist klar, dass Freitags Beratung fehlerhaft war und er für den Suizid verantwortlich ist. Er wird vom Dienst suspendiert. 

Der Verlust des angesehenen Berufs ist der Beginn einer unheilvollen Entwicklung. Freitags Freundin trennt sich von ihm, bei einem Besuch bei seinen Eltern servieren ihm diese einen echten Braten, um ihm eine Freude zu machen, und als ob das nicht schon reichen würde, schreibt Freitag einen Korrekturvermerk, in dem er einen bekannten Politiker eines Betrugs beschuldigt. Seine Sozialpunkte schmelzen zusammen wie Schnee im Sonnenlicht und binnen drei Tagen nach der Beratung der jungen Frau hat er den Status eines sog. Piretisten - eines Menschen, der in der sozialen Hierarchie auf der untersten Stufe steht und dem einige Bürgerrechte aberkannt wurden.

Lesen?

Die Optimierer zeichnet eine Welt, die von Technik dominiert wird und die Bürger in vorgegebene Handlungs- und Zukunftsschablonen zwängt. Absolut angepasstes Wohlverhalten wird belohnt, Fehler oder mangelnder Einsatz werden sanktioniert - dieses Prinzip gilt bereits heute in China. Das Land kann jedoch hinsichtlich der technischen Überwachungsmöglichkeiten bei Theresa Hannig Nachhilfe nehmen, die beschreibt, was hier tatsächlich denkbar und möglich wäre. 

Warum ein solches System, in dem individuelle Freiheiten nichts mehr gelten, von den meisten Menschen hingenommen wird, erklärt Hannig damit, dass diese mit einer bescheidenen Karriere, einem schönen Urlaub und ein bisschen Wohlstand zufrieden sind, das Wohl des Staates ihnen aber gleichgültig ist.

Hannig greift Themen auf, die seit Jahren diskutiert werden, und spinnt den Faden weiter: Klimawandel, Flüchtlinge, Wohlstand und Wirtschaftswachstum hängen miteinander zusammen. Sind politische Systeme wie die Optimalwohlökonomie Möglichkeiten, diese Probleme zu überwinden? Und führt eine vollständige Video- und Audioüberwachung der Bevölkerung zu mehr Sicherheit?

Samson Freitags Weg als sozialer Aussätziger nimmt einen Verlauf, den er sich wenige Tage zuvor nicht hätte vorstellen könnte. Das Ende des Romans ist konsequent, aber bis kurz vor dem Schluss dennoch überraschend. Die Optimierer ist ein spannend geschriebenes Buch, das uns nachdenklich machen sollte.

Die Optimierer ist 2017 im Bastei Lübbe Verlag erschienen und kostet als Taschenbuch 10 Euro sowie als E-Book 6,99 Euro.

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