Samstag, 7. Mai 2022

# 346 - Psychothriller, der mit den Ängsten vor der Digitalisierung spielt

Jo Ferguson ist 33, freie Journalistin, geschieden und
pleite. Zum Glück hilft ihr ihre wohlhabende beste Freundin Tabitha aus der Patsche und lässt sie umsonst in ihrer Wohnung im angesagten Londoner Viertel Camden wohnen. Tabitha ist sehr viel beruflich unterwegs, sodass sich die beiden Frauen nicht stören. Wegen ihrer häufigen Abwesenheit hat Tabitha ihr Zuhause mit reichlich digitaler Technik ausgestattet, um ungebetenen Besuchern keine Chance zu geben. Das Smart-Home-System entspricht dem aktuellen Stand der Technik, lässt sich selbstverständlich aus der Ferne steuern und ist so lernfähig, dass der Assistent "Electra" sich schnell auf die Menschen, die regelmäßig mit ihm kommunizieren, einstellen kann. Ein Traum?

In seinem Psychothriller Die Stimme zeigt der britische Bestsellerautor S. K. Tremayne, wie sich die Bestandteile eines digitalen Haushalts praktisch verselbständigen. Jo, die so gut wie immer allein in der Wohnung ist, wird von Electra unvermittelt auf ein Ereignis angesprochen, das etliche Jahre zurückliegt: "Ich weiß, was du getan hast. Ich kenne dein Geheimnis. Ich weiß, was du mit dem Jungen gemacht hast. Wie seine Augen weggerutscht sind. Ich weiß alles." Jos Erinnerung an diesen Tag, den sie mit Tabitha auf einem Festival verbracht hat, sind furchtbar. So furchtbar, dass die beiden Freundinnen sich damals versprachen, niemandem von den Ereignissen zu erzählen. Woher also weiß Electra davon?

Schon bald merkt Jo, dass dies erst der Anfang einer Entwicklung ist, in deren Verlauf sich ihre Existenz in ihre Einzelteile auflöst. Wenn sie bislang dachte, am Tiefpunkt ihres Lebens angekommen zu sein, wird sie nun eines Besseren belehrt. Nicht nur das Smart-Home-System scheint sich gegen sie verschworen zu haben, sondern sogar Jos Social-Media-Account führt ein Eigenleben und beleidigt und erniedrigt ausgerechnet die Menschen, die ihr am wichtigsten sind. Auch von ihrem Mail-Konto werden Nachrichten verschickt, die darauf abzielen, ihren Angehörigen und Freunden zu schaden und Jo als ein Mensch mit einer Persönlichkeitsstörung aussehen zu lassen. Doch sie kann sich nicht erinnern, all diese Posts und Mails geschrieben und abgesendet zu haben.
Um sie herum wird es immer einsamer.

Jo fühlt, dass sie immer öfter nicht weiß, was ihrer Fantasie entspringt und was real ist. Wird sie verrückt wie ihr Vater, der sich am Ende das Leben genommen hat? Wäre der Tod nicht auch für sie der Weg, diesem Wahnsinn zu entkommen? Oder gibt es einen Menschen, der sie so sehr hasst, dass er sie auf diese perfide Weise vernichten will?

Lesen?

Die Stimme ist ein spannend inszenierter Thriller, der Fans der häuslichen Digitalisierung nachdenklich machen kann. Die Möglichkeiten, sein Leben auf diese Weise unterstützen zu lassen, bergen Gefahren, die viele Nutzer gern ausblenden - weil die Vorteile den Alltag so bequem machen. 

Das Buch ist spannend bis zum Schluss, und Jo erfährt Dinge über einen geliebten Menschen, die sie vielleicht lieber nicht gewusst hätte.

Die Stimme ist 2020 bei Droemer Knaur erschienen und kostet als Paperback 16,99 Euro sowie als E-Book 14,99 Euro.

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