Freitag, 12. August 2022

# 359 - Daniela Dröscher wirft einen kritischen Blick auf ihre Kindheit

Dieses Buch hätte ich beim Lesen mehrmals aus dem
Fenster werfen können. Nicht, weil es schlecht ist (im Gegenteil), sondern weil mich die Erinnerungen von Daniela Dröscher in ihrem Buch Lügen über meine Mutter so aufgeregt haben.

Dröscher schreibt darüber, was sie in ihrer Kindheit in den 1980-er Jahren über das, was gern verklärend als "Familienleben" bezeichnet wird, wahrgenommen hat. Im Mittelpunkt steht die Mutter. Egal, welche Krisen und Herausforderungen auf die kleine Familie mit zwei Töchtern zukommen, versucht sie immer, für jedes Problem eine Lösung zu finden.

Aber ihr wird es sehr schwer gemacht: Sie lebt mit ihrer Familie in einer Wohnung im Haus ihrer Schwiegereltern im Hunsrück. Die berufstätige Mutter hatte dem Einzug zähneknirschend zugestimmt, weil ihre Schwiegermutter ihr die Betreuung von Daniela versprochen hatte. Doch diese Zusage wird sich als löchriges Erpressungspotenzial erweisen. 
Die Herkunft der Mutter passt den Schwiegereltern ebenfalls nicht: Einerseits sehen sie auf sie herab, weil sie das Kind schlesischer Flüchtlinge ist; andererseits ist ihnen das Vermögen, das die Eltern ihrer Schwiegertochter erarbeitet haben, suspekt.

Das würde bereits reichen, um das Leben schwer zu machen. Aber da ist noch Dröschers Vater: Er lässt kein gutes Haar an seiner Frau, im Zentrum seiner Kritik steht ihre Figur. Bei jeder Mahlzeit wird die Mutter von ihrem Mann beäugt, er kauft sogar eine Personenwaage, mit der sie unter seiner Aufsicht ihr Gewicht kontrollieren soll. Die Erniedrigungen, denen Dröschers Mutter tagtäglich ausgesetzt ist, nehmen kein Ende. Ihrem Übergewicht wird von ihrem Mann so viel Bedeutung beigemessen, dass es für alles, was ihm in seinem Leben nicht gelingt, verantwortlich gemacht wird. Doch die Situation ändert sich, als sie von ihren Eltern viel Geld erbt. Wird sich ihr Leben nun verbessern?

Lesen?

Lügen über meine Mutter beschreibt das Leben der Familie aus der Sicht des Kindes Daniela. Nach jedem Kapitel wechselt die Autorin die Perspektive und bewertet die Ereignisse aus ihrer heutigen Sicht als Erwachsene neu. Dabei fließt auch der Blick darauf ein, was damals als normal und üblich galt.

Hat sich in den vierzig Jahren, die seitdem vergangen sind, etwas geändert? Wenn man ehrlich ist: zu wenig. Frauen werden immer noch zu oft auf ihr Äußeres reduziert und verdienen nach wie vor im Durchschnitt weniger als Männer. Die Organisation des Haushalts und die Sorge um die Kinder bleiben nach wie vor mehrheitlich an ihnen hängen. Aber die Bereitschaft, sich dagegen aufzulehnen, ist stärker geworden. 

Deshalb kann Daniela Dröschers Roman als Aufruf verstanden werden, nicht nachzulassen, wenn es eine gesellschaftliche Veränderung zugunsten der Frauen geben soll.

Lügen über meine Mutter erscheint am 18. August bei Kiepenheuer & Witsch und kostet als gebundene Ausgabe 24 Euro sowie als E-Book 19,99 Euro.
Der Roman steht auf der Longlist des Deutschen Buchpreises 2022.

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