Donnerstag, 18. August 2022

# 360 - Eine fast vergessene Autorin, deren Buch zuerst von Toni Morrison gelesen wurde

Heute ist die deutsche Übersetzung des Romans
Corregidora erschienen, der in den USA bereits 1975 herausgegeben wurde und dort ein großer Erfolg war. Die Schriftstellerin Toni Morrison war vor fast fünfzig Jahren Lektorin im Verlag Penguin House und hat das Potenzial des Buches erkannt: "Gayl Jones hat die schwarze Literatur für immer verändert. Nach Corregidora kann kein Roman über eine schwarze Frau mehr sein wie vorher", urteilte sie damals.

Im Mittelpunkt steht die afroamerikanische Blues-Sängerin Ursa Corregidora, die in den 1940-er Jahren in Kentucky lebt und ihre Lieder in Bars singt. Ursa ist mit Mutt verheiratet, der ihren Gesang vor fremden Männern grundlos eifersüchtig beobachtet. Er begreift nicht, dass seine Frau nicht nur singt, um Geld zu verdienen, sondern in erster Linie, um das Trauma zu verarbeiten, das insbesondere die Frauen ihrer Familie seit Generationen mit sich herumtragen.

Ihre Mutter und ihre Großmutter haben als Sklavinnen unter dem brasilianischen Farmer Corregidora gelitten, von dem beide abstammen. Ihre Urgroßmutter wurde von ihm missbraucht. Der Sklavenhalter ist damit sowohl Ursas Großvater als auch ihr Urgroßvater. Insbesondere seine Sklavinnen hatten unter ihm ein furchtbares Leben: Tagsüber schufteten sie auf den Feldern, abends wurden sie gezwungen, sich zu prostituieren, um ihrem "Herrn" weitere Einnahmen zu verschaffen - und dessen sexuelle Befriedigung.

Mutt ahnt von dieser Tragik nichts, denn viel miteinander gesprochen wird in diesem Roman nicht. Es sind überwiegend kurze, harte und hin und wieder kryptische Sätze, die die Protagonisten miteinander wechseln. Manchmal muss auch ein hingeworfenes Wort reichen. Und so deutet Mutt den hingebungsvollen Gesang seiner Frau falsch und greift sie im Streit tätlich an. Die Folgen sind gravierend: Ursa wird nach dem durch ihren Mann ausgelösten Sturz unfruchtbar und verliert das Kind, mit dem sie schwanger war.

Das für sie ohnehin furchtbare Erlebnis führt zum Ende ihrer Ehe und zu einer weiteren Belastung: Sowohl Mutter als auch Großmutter hatten Ursa ihr ganzes Leben lang eingeschärft, sie müsse viele Kinder bekommen, ihnen ihre Familiengeschichte erzählen und so die Erinnerung an die schreckliche Zeit der Sklavenhaltung aufrecht erhalten. Diese Aufgabe hatten die beiden Frauen Ursa gegenüber wie ein Mantra immer wiederholt, doch nun kann sie diesen Auftrag nicht mehr erfüllen. Nur singend kann sie die Geschichte weitergeben.

Ursa findet zunächst Trost und Zuflucht bei Tadpole, dem das Lokal gehört, in dem sie singt. Sie schlittert in eine weitere Ehe und erlebt wieder ein Desaster. Der Schatten der Vergangenheit und ihre Unfruchtbarkeit verändern ihre Persönlichkeit. Mutt bleibt jedoch ein Teil ihres Lebens.

Lesen?

Corregidora ist ein Buch, bei dem man beim Lesen immer wieder tief durchatmen muss. Gayl Jones' Sprache ist direkt, schnörkellos und oft brutal. Da ist kaum etwas Weiches oder Gefälliges. Man spürt auf jeder Seite, wie die Geschichte der Versklavung ihrer Vorfahren sich wie ein roter Faden durch Ursas Leben zieht. Wer mit einer manchmal belastenden Atmosphäre umgehen kann, sollte dieses Buch lesen.

Corregidora ist im Kanon Verlag erschienen und kostet als gebundenes Buch 23 Euro, als E-Book 17,99 Euro sowie als Audio-Buch 23 Euro.

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