Samstag, 27. August 2022

# 361 - Atomkraft - nein danke? Wie die deutsche Kernenergie zu dem wurde, was sie heute ist

Wir leben in einer Zeit, in der Energie knapp zu
werden droht. Die Preissteigerungen sind bereits unübersehbar. Hier und da beschwören Politiker, die sich für fachkundig halten, das Schlimmste abzuwenden, indem man die noch aktiven Atomkraftwerke nicht zum Jahresende 2022 abschaltet, sondern sie noch ein bisschen länger weiterlaufen lässt. Das sei eine kostengünstige Lösung, wird dann noch gern hinterher geschoben. Die, die noch einen draufsetzen wollen, schlagen sogar den Neubau von AKWs vor. Wie sinnvoll ist das tatsächlich?

Der Historiker Frank Uekötter hat genau hingesehen und in seinem Buch Atomare Demokratie - Eine Geschichte der Kernenergie in Deutschland nachvollzogen, wie es in den 1950-er und 1960-er Jahren zum dem Hype um Atomkraftwerke gekommen ist, wer ihren Bau maßgeblich vorangetrieben hat und inwieweit hinter dieser Entwicklung demokratische Entscheidungen gesteckt haben. Auch die Frage, ob es sich bei der Kernenergie wirklich um eine kostengünstige Möglichkeit der Stromerzeugung handelt, wird beantwortet.

Kernenergie galt einst als Zukunftstechnologie und passte zum Lebensgefühl der Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg: Wirtschaft und Konsum zogen an, es wurde immer mehr Energie benötigt. Wie viel genau, wusste niemand so recht. Die Chancen, die viele vor Jahrzehnten in der Technologie sahen, ähnelten dem heutigen Blick aufs Internet: Die Atomkraft sollte durch ihren endlos sprudelnden Energiestrom alles zum Besseren wenden. 

Deutschland war mit seiner Euphorie nicht allein. Rund um den Globus entbrannte der Ehrgeiz, möglichst schnell möglichst leistungsfähige Kernkraftwerke zu bauen. Welche der diskutierten Varianten die beste sein würde, sollte die Zeit zeigen. Aus heutiger Sicht mutet der Überschwang des Philosophen Ernst Bloch sehr befremdlich an, der Ende der 1940-er Jahre in der Kernenergie eine Grundlage der sozialistischen Zukunft sah: "Einige hundert Pfund Uranium und Thorium würden ausreichen, die Sahara und die Wüste Gobi verschwinden zu lassen, Sibirien und Nordkanada, Grönland und die Antarktis zur Riviera zu verwandeln.“

Schwamm drüber, die Realität hat solche Wunschträume längst rechts überholt. Im kollektiven Gedächtnis sind die Bilder des Anti-Atom-Protests tief verankert: Die rote lachende Sonne mit dem Slogan "Atomkraft? Nein danke" fand sich seit Mitte der 1970-er Jahre auf Demos, Pkw-Kofferraumdeckeln oder Taschen. Die Nachrichten berichteten über Demos, deren Teilnehmerinnen und Teilnehmer eine sehr unterschiedliche Herkunft hatten: Studenten, Wissenschaftler, Juristen, Landwirte und Bürger aus der sog. "Mitte der Gesellschaft" taten sich zu einer der beständigsten Protestbewegungen in der Geschichte der Bundesrepublik zusammen. Was diese Bewegung ausmachte, war nicht unbedingt die Zahl der beteiligten Menschen, sondern ihr jahrzehntelanges Durchhaltevermögen, das in vielen Familien von einer Generation an die nächste weitergegeben wurde.

Der Geschichte der Kernkraft in der DDR ist ein eigenes Kapitel gewidmet. Die dortige Technologie kam aus der UdSSR und stand in Konkurrenz zur Braunkohle. Ein Ost-West-Austausch fand allenfalls informell und nur sporadisch statt. Nach der Wende wanderten zahlreiche Fachkräfte aus dem Osten in den Westen ab, denn die ostdeutschen Kernkraftwerke waren 1990 nicht mehr in Betrieb. Da die westdeutschen AKW-Betreiber nicht über genügend Fachkräfte verfügten, kamen die neuen Mitarbeiter wie gerufen und haben mutmaßlich dazu beigetragen, dass die westdeutschen Kernkraftwerke bis heute betrieben werden konnten.

Lesen?

Atomare Demokratie - Eine Geschichte der Kernenergie in Deutschland ist ein hochinteressantes Buch, das die Geschichte der deutschen Kernkraft sehr anschaulich zusammenfasst. Frank Uekötter hat dabei einen besonderen Schwerpunkt auf die Frage gelegt, inwieweit die Politik, die Rechtsprechung sowie demokratische Prozesse auf diesen Bereich Einfluss genommen haben. Uekötter hat in einem Buchtrailer dieses positive Fazit gezogen:

"Man merkt, dass Demokratie in der Lage ist, Konflikte deeskalieren zu lassen und am Ende tatsächlich auch zu einer Lösung zu führen."

Das Buch wird durch eine ausführliche Chronologie, ein Quellenverzeichnis, eine Auflistung der erwähnten Kernkraftwerke sowie ein Register vervollständigt.

Atomare Demokratie - Eine Geschichte der Kernenergie in Deutschland ist 2022 im Franz Steiner Verlag erschienen und kostet sowohl als gebundenes Buch als auch als E-Book 29 Euro.

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