Die amerikanische Autorin Chris Harding Thornton hat
ihren Debütroman in eine Kleinstadt inmitten der Sandhills von Nebraska verlegt und in den Sommer des Jahres 1978: Pickard County ist eine Gegend, in dem jeder jeden kennt und in dem zahllose Geschichten und Gerüchte die Runde machen.
Eine der Hauptfiguren ist Deputy Sheriff Harley Jensen. Er ist geschieden, hat kein nennenswertes Sozialleben und darum kein Problem damit, die Nachtschichten zu übernehmen. Sein Leben ist unaufgeregt: Manchmal kommt ein Notruf, auf den er reagieren muss, aber einen großen Teil seines Dienstes verbringt er mit der Kontrolle der vielen leerstehenden Farmhäuser. Jedes von ihnen hat eine Geschichte, auch das, in dem Harley aufgewachsen ist. Wegen eines traumatischen Erlebnisses in seiner Kindheit versucht er das Gebäude zu meiden.
Doch da ist diese Brandserie. Immer wieder treiben sich gelangweilte Jugendliche in den verlassenen Farmhäusern herum und zünden Teile davon an. Harley ist allerdings davon überzeugt, dass dahinter der jüngste Sohn der Reddick-Familie steckt, den er schon eine Weile beobachtet. Paul gehört zu den Leuten, die ihren Mitmenschen gehörig auf die Nerven gehen, die aber schlecht zu fassen sind. Er ist der örtlich bekannte Kleinkriminelle, der aus einer Familie stammt, die nach einem tragischen Ereignis achtzehn Jahre zuvor zerrüttet ist. Der älteste Sohn wurde im Alter von sieben Jahren erschlagen, der Mörder konnte jedoch nicht mehr sagen, wo er die Leiche abgelegt hatte: Bevor es zur Verhaftung kam, erschoss er sich. Breit angelegte Suchaktionen waren erfolglos, das tote Kind blieb verschwunden. Auch Harley Jensen war an der erfolglosen Suche beteiligt gewesen.
Die Mutter Viginia Reddick zog sich danach völlig zurück und versank in Alkohol und Zigarettenqualm. Ihre Söhne Rick und Paul wuchsen in einer durch das Familientrauma geschwängerten Atmosphäre auf.
Als junge Erwachsene arbeiten sie nun für ihren despotischen Vater, der alte und beschädigte Trailer aufkauft, sie von seinen Söhnen aufarbeiten lässt und weiterverkauft.
Während Paul halt- und emotionslos durch sein Leben schlingert, versucht Rick, seine kleine Familie über Wasser zu halten. Er lebt mit seiner Frau Pam und seiner kleinen Tochter Anna in einem Trailerpark, in dem sich Pam immer unwohler fühlt. Sie spürt genau, dass die Entscheidung, Mutter zu werden, für sie grundfalsch war und sie sich auch nicht als Ehe- und Hausfrau eignet. Ihr wird klar, dass sie das, was sie sich unter einem normalen Leben vorstellt, an Ricks Seite nie erreichen wird. Pam wird die einzige Person in diesem Krimi sein, die versucht, ihre Situation zu ändern.
Die Handlung nähert sich nur langsam ihrem Höhepunkt, was dem Buch aber nichts von seiner Spannung nimmt. Der Schluss wird von einem Showdown bestimmt, der nur darum entsteht, weil zu viele Personen die falschen Schlüsse gezogen haben und sich an den Falschen rächen wollen.
Lesen?
Chris Harding Thornton ist in siebter Generation in Nebraska ansässig. Das merkt man ihrem Buch deutlich an: Der Kriminalroman atmet gewissermaßen die besondere Atmosphäre, die eintönige und karge Landschaft, die verlassenen und verfallenden Farmen mit ihren teils dramatischen Geschichten sowie die Art und Weise, wie die Menschen dort miteinander umgehen.
Pickard County ist allerdings kein typischer Krimi, wie man ihn sonst gewohnt ist. Dem Buch liegt kein Mord zugrunde, der von einem cleveren Polizisten gelöst wird. Es geht vielmehr um die Abgründe im menschlichen Miteinander, um Hoffnungen, Träume, Enttäuschungen und Traumata. Alles zusammen ergibt eine so gute Mischung, dass das Buch von der ersten bis zur letzten Seite nicht langweilig wird.
Da Chris Harding Thornton mehrere Fragen unbeantwortet gelassen hat, kann man vermuten, dass es eine Fortsetzung von Pickard County geben wird.
Pickard County wurde 2022 auf Deutsch im Polar Verlag veröffentlicht und kostet als Taschenbuch 16 Euro sowie als E-Book 10,99 Euro.
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