Sonntag, 12. November 2023

# 417 - Männer töten

Absicht oder Zufall? Je nachdem, ob man im Titel von Eva Reisingers Debütroman Männer töten das erste oder zweite Wort betont, ergibt sich ein völlig entgegengesetzter Sinn. Grund genug, sich dieses Buch genauer anzusehen.

Anna Maria ist 30 Jahre alt, Österreicherin und lebt in Berlin. Sie arbeitet seit drei Jahren für ein Praktikantinnen-Salär in einer Agentur für Online-Marketing und hat in der Hoffnung, dort beruflich aufsteigen zu können, ihr Studium geschmissen. Sie hat in Berlin zwei enge Freundinnen, fühlt sich dort aber immer unwohler. Die On-Off-Beziehung mit dem selbstbezogenen Friedrich ist eine Belastung. Anna Marias Leben fühlt sich an, als sei es in einer Sackgasse. 

In dieser Situation lernt sie in einem Club Hannes kennen. Er ist ebenfalls Österreicher und hat in dem abgelegenen oberösterreichischen Dorf Engelhartskirchen den Hof der Eltern übernommen. Kurz, nachdem die beiden einen One-Night-Stand haben, hat Anna Maria einen Fahrradunfall. Der einzige, der ihr auf die Frage des Krankenhausarztes: "Wer kann sie abholen?" einfällt, ist Hannes.

Anna Marias neues Leben beginnt in Engelhartskirchen an Hannes' Seite. Insbesondere die Frauen des Dorfes nehmen sie in ihrer Mitte auf. Gleich zu Beginn wird sie zum Junggesellinnenabschied von Sabine und Josepha eingeladen, dessen wichtigstes Merkmal der maßlose Alkoholkonsum ist. Anna Maria registriert zunächst alles, was ein österreichisches Dorf klischeehaft ausmacht: die idyllische Landschaft, die Kühe auf den Weiden, die Kirche. Doch dann wundert sie sich über die ihr fremden Gepflogenheiten wie die Arbeit der selbsternannte Pastorin, aber nach und nach begreift sie, was diesen Ort von allen anderen im Land unterscheidet: Hier wird das Matriarchat gelebt, und zwar bis zur letzten Konsequenz. Im Kampf gegen die Unterdrückung von Frauen hält die weibliche Dorfgemeinschaft eisern zusammen: die mit Verächtlichmachung gepaarte Homophobie des Hausarztes, Friedrichs in einer Vergewaltigung mündendes Stalking, ein der Frauengemeinschaft gefährlich werdender Journalist... Sie alle geben Anlässe, sich gegen Männer zu wehren. 

Lesen?

Es ist nicht schwer zu erkennen, welchen roten Faden Eva Reisinger in ihrem Roman verfolgt. In Engelhartskirchen wird die Umkehrung des andernorts vorherrschenden Patriarchats gelebt. Eines Patriarchats, das in Österreich zu durchschnittlich einem Femizid alle zwei Wochen und jährlich 50 Mordversuchen an Frauen führt. In Deutschland verliert im Durchschnitt alle drei Tage eine Frau durch einen Femizid ihr Leben.

Im Unterschied zu den Männern, die einen (versuchten) Femizid begehen, weil sie Frauen nicht als gleichwertig ansehen, verachten die Frauen von Engelhartskirchen die Männer jedoch nicht grundsätzlich. Sie haben allerdings kollektiv beschlossen, sich nicht mehr kleinmachen zu lassen. Und wenn das doch passiert...

Männer töten ist ein gedankliches Experiment, das nicht zur Selbstjustiz aufrufen will. Der Roman dient eher dazu, der Gesellschaft - insbesondere dem männlichen Teil - den Spiegel vorzuhalten. Das hat das Buch sehr gut geschafft. Das schien auch die Jury des Österreichischen Buchpreises so zu sehen, das den Titel auf die Shortlist des Debütpreises 2023 setzte.

Männer töten ist 2023 im Leykam Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 24 Euro sowie als E-Book 18,99 Euro.

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