Viel Geld verdirbt den Charakter
Lauter Leichen - so heißt der Debütroman der Hamburgerin
Zara Philips. Ein sehr treffender Titel für einen Krimi, bei dem die Zahl der
Toten irgendwann größer ist als die der (noch) Lebenden. Die Autorin fackelt
nicht lange und wirft ihre Leser schon auf der ersten Seite an einen Tatort:
Die Malerin Elenor Gint findet in der Villa ihrer Mutter Martha in Hamburg-Rissen
zwei Männer: Der eine ist Elenors gerade-mal-nicht-Freund Peter, der nun im
Begriff ist, nach einem Schusswechsel sein Leben auszuhauchen; das Leben des
anderen Mannes, mutmaßlich ein Osteuropäer, war schon einige Minuten vor Peters
zu Ende, nachdem Elenor auf ihn geschossen hatte. Ihn entsorgt Elenor mithilfe
einer Sackkarre im Seerosenteich der Nachbarn. Das ist der Einstieg für einen
Roman, dessen Handlung 2015 ihren Höhepunkt findet, aber bereits 1882 in der
Nähe von Lübeck mit der Geburt eines Jungen beginnt, der es später weit bringen
wird und nach seinem Tod ein riesiges Vermögen vererbt. Wenn es um
viel Geld geht, finden sich immer Menschen, die ein Stück vom Kuchen abhaben
wollen. Egal, um welchen Preis.
Cleverer Ermittler trifft auf Schwarze Witwen
Kriminalhauptkommissar Hiob Watkowski vom LKA Hamburg nimmt
sich dieses Mordfalls an. Da Martha Gint zum Tatzeitpunkt in Florida war,
scheidet sie als Verdächtige aus. Damit richtet sich die Aufmerksamkeit des
Polizisten ganz auf Elenor. Doch die ganze Sache ist komplizierter, als sie
zunächst erscheint: Bei der Durchsuchung von Marthas Villa finden die Beamten
in der Tiefkühltruhe im Keller einen weiteren Toten. Die Obduktion ergibt, dass
es sich dabei um Marthas vor Jahren verschwundenen Liebhaber Helmut handelt.
Doch Martha hat buchstäblich noch mehr Leichen im Keller: In einem
verschraubbaren Weinfass findet sich eine junge tote Frau - durch den Alkohol
wurde sie ziemlich gut konserviert, wobei ihr Körper allerdings eine
geleeartige Konsistenz angenommen hat. Doch damit sind es noch nicht genug
Gemeuchelte: Auf dem Grundstück der Villa befinden sich in einem privaten
Luftschutzbunker noch mehr Menschen, die bereits vor Jahrzehnten unfreiwillig
ihr Leben lassen mussten. Doch von ihnen weiß nur Marthas Mutter Frieda. Einer
von ihnen ist so problematisch, dass Frieda sämtliche Enkelkinder dazu anstiftet,
ihr in einer Nacht-und-Nebel-Aktion bei dessen Beseitigung zu helfen.
Wer stört, wird aus dem Weg geräumt
Hauptkommissar Watkowski gehört zu den fähigsten Ermittlern
des LKA Hamburg, aber das ist nicht der einzige Grund, warum er sich so sehr
für diesen Fall interessiert: 1997 hatte bereits sein Adoptivvater, der seinerzeit
als berühmt-berüchtigt geltende Ermittler Josef Watkowski, Untersuchungen gegen
eine Person angestrengt, die auch jetzt wieder im Fokus der Polizeiarbeit
steht. Damals wie heute vermutet Hiob Watkowski hinter dem plötzlichen Tod
seines Vaters keinen Unfall, sondern einen Mord. Jetzt soll sich ihm die
Möglichkeit bieten, quasi mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: die
Aufklärung des Todes seines Vaters und der weiteren Menschen, die irgendwie mit
den Mordfällen in Martha Gints Haus zusammenhängen. Im selben Jahr wie sein
Vater kam auch Marthas Mann ums Leben – er wurde damals erschossen in der Villa
aufgefunden, sein Mörder wurde nicht gefunden. Doch so intelligent Hiob auch
vorgeht, die Verwandtschaft von Elenor und Martha und ihr unfreiwilliger
Kontakt zur serbischen Mafia geben dem Geschehen ständig neue Wendungen. Im
Zuge der Ermittlungen wird das Grundprinzip, nachdem insbesondere zwei
Hamburger Familien handeln, deutlich: Wer stört, wird entsorgt. Je geräuschloser, desto besser.
Wie war’s?
Lauter Leichen geht von einem interessanten Plot aus: Zwei
Tote im Haus einer gutsituierten Frau, von denen einer der Ex-Freund der Tochter
ist, die zufällig auf die beiden Männer trifft, als sie während des Urlaubs
ihrer Mutter dort nach dem Rechten sehen will. Doch schon in dieser ersten
Szene gibt es Zweifel, ob Elenor nur für den Tod des einen Mannes
verantwortlich ist. Im weiteren Verlauf der Handlung wird unklar, ob das Buch
eher spannend oder doch lieber amüsant werden sollte. Das Karussell der
Verwicklungen dreht sich immer schneller, die ganze nähere Verwandtschaft nimmt
es mit der kriminellen serbischen Bande rund um deren Boss Novakov auf. Der
hält sich zu Hause ein Lama namens Frühstück, das ihm Elenors Neffen und ihre
Nichte entführen, um von ihm bestimmte Informationen zu erpressen. Navakovs Vater
befindet sich da schon eine Weile in der Gefangenschaft von Friedas Nachbarin
Else, die ihn mit einem Würgehalsband aus dem Sexshop ausstaffiert hat – was dem
alten Mann zu gefallen scheint.
Der Roman hält etliche auch für die Protagonisten
überraschende Erkenntnisse bereit, die bis hin zum Entdecken von neuen
Verwandtschafts- und damit auch Erbbeziehungen führen. Die Lösung des
komplizierten Falles ist in weiten Teilen zwar der Kombinationsgabe Watkowskis
zu verdanken, die Handlung wird allerdings so oft von Zufällen bestimmt, dass
dem Buch insgesamt eine Menge Glaubwürdigkeit verloren geht. Dass der plötzlich
ums Leben gekommene Josef Watkowski, der in der Mordangelegenheit um Marthas
Mann ermittelte, auf dem Weg zu einer der Hauptpersonen des Romans, der ihn mit
der Ankündigung eines Geständnisses auf eine einsame Straße gelockt hatte, dort
in eine Falle lief, kann man sich noch gut vorstellen. Dass er jedoch im
Kofferraum seines Autos sämtliche Fallakten hatte, aus denen von seinen Mördern
die sie belastenden Seiten entfernt wurden und die Ermittlungen danach zu Fall
kamen, ist schwer zu glauben. Josef Watkowski wird mehrmals als kriminalistische
Berühmtheit geschildert und hat sogar noch 18 Jahre nach seinem gewaltsamen Tod
eine Fangemeinde. Solch ein grober Schnitzer passt nicht zu einem Vollprofi.
Auch die Verwandtschaft rund um Elenor Gint wirkt dauerhaft
exzentrisch und überdreht, schafft es aber, Navakovs beste Männer zu
übertölpeln. Die serbische Mafia agiert tatsächlich auf dem Gebiet des Drogen-
und Waffenhandels und ist hochkriminell, wird aber sicher nicht von einem
Haufen Idioten angeführt.
Lauter Leichen ist trotz dieser Kritik eine flott
geschriebene Unterhaltungslektüre, zu der am besten die Kategorie des
Cosy-Krimis passt: Es gibt zwar reichlich Tote, aber das Entsetzen bleibt beim
Lesen aus.
Lauter Leichen ist bei epubli erschienen und kostet als
Taschenbuch 14,99 € sowie als Epub- oder Kindle-Ausgabe 2,99 €.
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