Samstag, 9. Februar 2019

# 183 - Vom Fliehen und Ankommen

1945 verschlägt es die Gräfin Hildegard von Kamcke und
ihre fünfjährige Tochter Vera auf ihrer Flucht aus Ostpreußen ins Alte Land, das Obstanbaugebiet vor den Toren Hamburgs. Sie kommen bei Ida Eckhoff unter, die zusammen mit ihrem im Krieg als Soldat verwundeten Sohn Karl auf einem Altländer Hof wohnt. Die Botschaft der plattdeutschen Inschrift am Giebel des Wohnhauses wird sich durch das ganze Buch ziehen:

Dit Huus is mien un doch nich mien,
de no mi kummt, nennt't ook noch sien.

Ida Eckhoff hat für das "Polackenpack" nichts übrig und lässt das die Neuankömmlinge deutlich spüren: "Von mi gift dat nix!", ist ihre Antwort auf Hildegards Bitte um etwas Essen für ihre Tochter. Doch sie kann nicht verhindern, dass sich die stolze Hildegard und der durch den Krieg körperlich und seelisch schwer angeschlagene Karl einander annähern und schließlich heiraten. Dieser Schritt lässt Ida in ihrer neuen Rolle als Schwiegermutter schwere Geschütze auffahren. Doch die beiden Frauen sind einander ebenbürtig und schenken sich nichts.

Aber der Tag kommt, an dem Hildegard ihre Sachen packt und das Haus für immer verlässt. Allein. Vera bleibt bei Karl zurück, gefragt wurde sie nicht. Ida ist da schon nicht mehr am Leben, Hildegard von einem Architekten schwanger. Hildegard lässt sich von Karl scheiden und heiratet ein zweites Mal. Sie bekommt eine Tochter, die später selbst zwei Kinder - eine Tochter und einen Sohn - haben wird. Der Kontakt zwischen Vera und ihrer Halbschwester Marlene ist eher sporadisch, die Jüngere weiß nur wenig von der Flüchtlingsvergangenheit der Mutter.
Vera wird Zahnärztin und bleibt ihr Leben lang in dem Haus, das einmal Ida Eckhoff gehört hat. Es ist nicht so, dass sie eine bewusste Entscheidung getroffen hätte, weil sie Land und Leute ins Herz geschlossen hat; sie ist auf irgendeine Weise hier hängengeblieben, wie ein Blatt, dass sich in einem murmelnden Bach an einem kantigen Stein verfangen hat. Sie lebt ihr ziemlich einsames Leben, passt sich nicht an das an, was andere für "normal" halten und lässt Haus und Hof langsam verrotten.

Sechzig Jahre nach Veras Ankunft treffen wieder "Flüchtlinge" auf dem Altländer Hof ein: Veras Nichte Anne und ihr kleiner Sohn Leon. Anne hat bis jetzt mit ihrem Sohn und ihrem Freund in Hamburg-Ottensen gewohnt, einem Stadtteil, der vor hippen Menschen und modernen Eltern überquillt und wo sich Anne nie wirklich wohl gefühlt hat. Nachdem herausgekommen ist, dass ihr Freund sie betrogen hat, hat Anne kurzentschlossen ihre Sachen gepackt, Leon ins Auto gesetzt und ist zu ihrer Tante gefahren. Die beiden unterschiedlichen Frauen müssen sich nun aneinander gewöhnen und die Eigenheiten der jeweils anderen akzeptieren lernen.


Lesen?

 

Altes Land erzählt sehr empathisch davon wie es sich anfühlt, sein Zuhause zu verlieren und woanders, wo man nicht willkommen ist, neu anzufangen. Der Roman stellt das Leben der Altländer jedoch auch dem der Zugezogenen gegenüber: Erstere wollen sich entweder nicht daran gewöhnen, dass sich die Zeiten ändern und man sich Neuem öffnen muss oder sie werden von ihren Nachbarn belächelt, wenn sie ihre Obsthöfe um touristische Attraktionen erweitern; die neuen Bewohner, vorwiegend gutsituierte Hamburger auf Sinnsuche, haben eine romantische Vorstellung vom Leben auf dem Land, wie sie Leute pflegen, die regelmäßig in diesen Lifestyle-Magazinen blättern, in denen Bauernhöfe aufgeräumt und keimfrei und Landwirte mindestens so glücklich wie ihre Kühe sind. Für manche dieser Menschen sind die Alteingesessenen tumbe Bauern, denen es gehörig an Bildung fehlt. Man kann vermuten, dass Dörte Hansen, die selbst auf dem Land lebt, das so oder so ähnlich schon oft erlebt hat. 
Klare Leseempfehlung.

Altes Land  kostet als gebundenes Buch 19,99 Euro, als Taschenbuch 10 Euro, als epub- oder Kindle-Version 9,99 Euro sowie als Audio-CD 7,99 Euro. 

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