Auf das heutige Buch bin ich auf Umwegen gestoßen.
Normalerweise hätte ich mich nicht dafür interessiert. Aber ich hatte zufällig eine Talkshow gesehen, in der die Gäste erzählten, wie sie selbst dem Bösen in sich begegnet sind. Unter ihnen war Wiebke Lorenz, deren Psyche als Folge jahrelanger Belastungen und Schicksalsschläge verrückt gespielt hatte, sodass sie sich selbst nicht mehr über den Weg traute.
Wiebke Lorenz wurde als Bestsellerautorin vorgestellt. Mir sagte der Name allerdings gar nichts. Wie konnte es sein, dass mir noch nie Titel von ihr aufgefallen waren, obwohl ich mich doch viel mit Büchern beschäftige? Es war davon die Rede, dass sie mehrere Millionen Titel verkauft hatte. Doch dann kam der entscheidende Hinweis: Sie ist Teil eines Autorenduos, deren andere Hälfte ihre Schwester Frauke Scheunemann ist. Zusammen sind die beiden 'Anne Hertz'. Blöd nur, dass mich das immer noch nicht schlauer machte.
Mithilfe einer Suchmaschine und eines Alles-was-für-dein-Leben-mutmaßlich-wichtig-ist-Versenders lichtete sich der Nebel: Unter dem Namen Anne Hertz wurden bereits viele Romane veröffentlicht, die ganz allgemein unter dem Label "Frauenliteratur" laufen. Kein Wunder, dass mir Anne Hertz nichts sagte, ich lese normalerweise keine Romane, die in diese Richtung gehen. Aber mich hat nun interessiert, wie und was die Schwestern genau schreiben. Bei der Onleihe fand ich zwar kein Buch von, aber wenigstens eines mit ihnen: Kerstin Gier hat 2011 eine Anthologie herausgegeben, in der sich neben einer von ihr verfassten Kurzgeschichte auch Beiträge von zwölf Autorinnen und zwei Autoren finden. Die Mütter-Mafia und Friends - Das Imperium schlägt zurück heißt sie. Auf dem Cover sind u. a. die Arme und Beine eines Babys in einem Kinderwagen zu sehen, das mit der einen Hand ein Laserschwert schwingt und seine Mutter auf Trab hält. An dieser Stelle war ich erstaunt, dass auch Männer in diesem Genre zu finden sind. Einer der Beiträge, eine Geschichte, die über das Stilmittel einer E-Mail-Unterhaltung geführt wird, stammt von Anne Hertz.
Also ran an das Buch. Knapp 270 Seiten sind schnell gelesen. Zwischen den einzelnen Geschichten hat Kerstin Gier Unterhaltungen auf der 'Homepage der Mütter-Society' eingeflochten, wo sich eine Handvoll Mütter mit gegenseitigen "Freundlichkeiten" oder auch gefühlsduseligen Anwandlungen beglückt und die jeweils letzte Story bewertet.
Um es ehrlich zu sagen: Ich habe das Buch mit sehr gemischten Gefühlen begonnen und in dieser Stimmung auch gelesen. Es werden reichlich Szenen aus dem Familienalltag von Frauen aufgegriffen, deren Kinder noch relativ jung sind und die sich mit ihren Männern, Schwiegermonstern und Institutionen herumplagen, die ihnen das Leben sauer machen. Ich kann mich in viele Dinge sehr gut hineinversetzen, weil ich sie so oder so ähnlich selbst erlebt habe. Die meisten der Kurzgeschichten habe ich in einem Rutsch durchgelesen und weiß schon jetzt, gut zwei Wochen nach dem Lesen der letzten Seite, nur noch ungefähr, was darin stand. Sucht euch aus, ob das ein Indikator für die Qualität des Buches oder mein schlechtes Gedächtnis ist.
Während der Lektüre habe ich mir allerdings ein paar Notizen gemacht und einige Stellen markiert. Daran arbeite ich mich jetzt entlang.
Ich schicke jetzt mal
voraus, dass ich mich immer ärgere, wenn Autoren Dinge schreiben, die
schlecht recherchiert sind. Nennt mich kleinlich, aber ich hasse das.
Birgit Fuchs beispielsweise schreibt in Mama la Bamba über die dreifache Mutter Christine Sperling, die mit einer egozentrischen Mutter gesegnet ist. Ausgerechnet an Christines Geburtstag droht der eigentlich austarierte Zeitplan zu Staub zu zerfallen. In Fuchs' Erzählung wurde Christine mit überhöhter Geschwindigkeit in einem Tunnel geblitzt. Nun klingelt ein Wachtmeister an ihrer Haustür, um zu prüfen, ob es sich bei der Frau auf dem Blitzerfoto tatsächlich um Christine handelt. Erstens: Es gibt seit knapp 40 Jahren bei der Polizei keine Wachtmeister mehr. Zweitens: Dass ein Polizist so etwas tut, ist, gelinde gesagt, äußerst unwahrscheinlich. Wer beim Rasen geblitzt und nicht unmittelbar danach von der Polizei gestoppt wird, bekommt per Post einen Anhörungsbogen. Aber diese kleine Episode ist für Fuchs nötig, damit sich der Wachtmeister und Christines verschrobene Mutter kennenlernen und verlieben können. Der Wachtmeister setzt sich dann auch noch mit Christines Mutter gemütlich zum Tee zusammen. Ja, sicher. Das Leben eines Polizisten wimmelt nur so von Mußestunden. Der Wachtmeister mutiert ein paar Seiten weiter zum Kommissar. Ist auch zu empfehlen; das Gehalt eines damaligen Wachtmeisters ist bedeutend schlechter als das eines Kommissars.
Christines erster Termin an ihrem Geburtstag führt sie in den Kindergarten. Beim Anblick der Erziehrin Frau Raps, die in der Gruppe von Christines Sohn, die passenderweise 'Bienchengruppe' heißt, tätig ist, rutscht ihr das Herz in die Hose. Warum? Sie tritt doch nicht nach einem beruflichen Schnitzer vor ihren Chef, von dem sie die Kündigung befürchtet! Da stimmt versöhnlich, dass sie Frau Raps und ihrer Kollegin dann doch noch die Meinung geigt.
Weiter geht's mit Anne Hertz und ihrer Story 'Mit freundlichen Grüßen'. Hier spielt sich die gesamte Handlung über den Austausch von E-Mails ab. Im Kern geht es darum, dass Eltern von der Klassenlehrerin verlangen, ihrer Tochter eine Empfehlung für den Besuch des Gymnasiums zu schreiben. Als die Situation eskaliert und einige unappetitliche Geheimnisse ans Licht kommen, appelliert der von den Eltern hinzugezogene Anwalt an die Dienstherreneigenschaft des Rektors, um die gewünschte Empfehlung zu erreichen. Dumm nur, dass ein Schulleiter keine Dienstherreneigenschaften hat. Ein Dienstherr ist eine sog. juristische Körperschaft des öffentlichen Rechts, die selbstständig Beamte einstellen darf. Also zum Beispiel das Land Sachsen-Anhalt oder die Stadt München. Ein Schulleiter kann selbst keine Beamten einstellen, ist aber der Dienstvorgesetzte der Lehrkräfte seiner Schule. Das zu wissen, hatte ich erwartet, weil eine der Schwestern von Anne Hertz Volljuristin ist. Aber die meisten Zeitungen vermitteln das ebenfalls falsch und bezeichnen beispielsweise einen Ministerpräsidenten oder den Bundespräsidenten als Dienstherrn.
Mehrere der Geschichten sind so unglaubwürdig, dass ich mich unwillkürlich frage, welches Bild die Autorinnen von ihren Leserinnen haben. Da sind Mütter, die zu Hause Struktur ins Familienchaos bringen, aber sich nicht trauen, in einem Hotel darum zu bitten, an einen anderen Tisch gesetzt zu werden, weil sie sich nicht mit einer fremden übergriffigen Schwiegermutter belasten wollen. Oder eine gestresste Mutter, die im Familienurlaub um eigene Zeit bittet und durch eine Verkettung saublöder selbst verschuldeter Umstände sich von einem blutjungen Kindermädchen dazu bringen lässt, die Ferienwohnung ihrer wohlhabenden Arbeitgeber auf Hochglanz zu bringen.
Die einzigen guten Geschichten sind die, die von den beiden Autoren Matthias Sachau ('Das Günther-Prinzip') und Maximilian Buddenbohm ('Das Schwein') stammen. Dort spielen Väter, die sich für ihr Versagen schämen und ungewollt zum Vorbild werden bzw. ihr Bestes für ihr Kind geben wollen, die Hauptrolle. Männer, schreibt mehr Frauenromane, dann lese auch ich sie. Bis auf Weiteres werde ich aber einen Bogen um alle Bücher machen, in denen Frauen als verhuscht und völlig verpeilt dargestellt werden. Und es wäre super, wenn Fakten eine größere Rolle spielen würden; das würde zeigen, dass die Leserinnen (und vielleicht auch Leser) ernst genommen und als denkende Wesen wahrgenommen werden.
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