Sonntag, 5. September 2021

# 306 - Der Freund auf vier Pfoten

2020 ist dieses Buch auf Deutsch erschienen, nachdem die Autorin Sigrid Nunez 2018 für Der Freund mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde.

Ausgangspunkt ist der Tod des besten Freundes der Ich-Erzählerin. Er war vor Jahrzehnten an der Hochschule ihr Lehrer, und abgesehen von einem winzigen Anflug von Begehren vor langer Zeit war ihre Freundschaft platonisch. Dieser Freund hat sich kürzlich umgebracht. Warum, wird nicht näher erläutert. Die erzählende Freundin fühlt sich zurückgelassen und empfindet einen tiefen Schmerz über diesen Verlust. Doch dann erfährt sie von der dritten Frau ihres Freundes, dass dieser ihr seinen Hund vermacht hat.

Apollo heißt das Tier, und es handelt sich um eine nicht mehr ganz junge Harlekindogge. In der kleinen New Yorker Wohnung der Erzählerin sind Hunde verboten, doch eine Dogge mit einem Stockmaß von 85 cm und einem Gewicht von 80 kg kann man nicht einfach unter das Sofa schieben, wenn mal der Hausmeister vorbeischaut. Aber dann, entgegen aller Vernunft und obwohl ihr Katzen viel lieber sind, folgt sie dem Wunsch ihres Freundes und nimmt Apollo bei sich auf.

Was nun folgt ist die Geschichte einer Annäherung zwischen der trauernden Frau und dem ebenfalls um sein Herrchen trauernden Hund. Beide lernen sich immer besser kennen und die Frau findet nach und nach immer mehr Gefallen an Apollo, der immer in sich ruht, aber außerhalb der Wohnung alle Blicke auf sich zieht.

Aber es geht nicht nur um diesen Prozess der gegenseitigen Gewöhnung, aus der dann doch noch eine Freundschaft wird. Die Trauernde erinnert sich an den Freund als einen Mann, der, obwohl er verheiratet war, ständig Liebschaften mit Studentinnen einging und sich in der jüngsten Vergangenheit darüber wunderte, dass das, was doch sein ganzes Berufsleben lang so gut funktioniert hatte, plötzlich am Protest der Studentinnen scheiterte. #MeToo lässt grüßen.

Die Erzählerin ist ebenso wie der Verstorbene Schriftstellerin und Literaturdozentin und denkt über die Veränderungen nach, die sich im Laufe der vergangenen Jahre in dieser Szene entwickelt haben: Im Zusammenhang mit der Nennung einiger Schriftsteller wie z. B. Rainer Maria Rilke beschäftigt sie sich mit der Frage, welche Literatur heute noch geschrieben werden kann. Doch es geht in ihren Überlegungen auch darum, dass sich Schriftsteller gegenseitig nicht das Schwarze unter den Fingernägeln gönnen oder die Hoffnung von Nachwuchsautoren, mit dem Schreiben von Büchern zu Ruhm zu kommen.

Im elften und vorletzten Teil des Romans stellt sich Nunez vor, wie die Geschichte enden könnte. Da ist der Freund noch am Leben, aber schwer von seinem Suizidversuch gezeichnet. Die Erzählerin hat sich während seines Aufenthalts in einer psychotherapeutischen Klinik um dessen Dackel Jip gekümmert. Sie erzählt ihrem Freund von ihren Recherchen, die sie über Gewalt gegen Frauen angestellt hat und ihre Unfähigkeit, darüber zu schreiben. Ihr steht die Person des Autors zu sehr im Vordergrund, was sie als problematisch empfindet.

Lesen?

Der Freund wurde in den Feuilletons der Print- und Online-Medien rauf und runter gefeiert. Ich habe mich allerdings mühsam durch das Buch gearbeitet, weil mir das, was bezahlte Literaturkritiker als "zwei Erzählstränge" bezeichnet haben, schlicht zu weitschweifig war. Nunez Roman mäandert hin und her zwischen dem Hund, dem Leben des toten Freundes und Überlegungen, die irgendwie mit der Literatur und dem Literaturbetrieb zu tun haben. Der ausschweifende Exkurs darüber, wie es sein könnte, wenn der Freund überlebt hätte, hat mich schließlich so irritiert, dass ich das Buch fast an dieser Stelle abgebrochen hätte: Warum ist da plötzlich anstelle der riesigen Dogge Apollo der als 'winzig' beschriebene Dackel Jip? Und ist es nicht ziemlich unglaubwürdig, dass man sich mit seinem besten Freund, der knapp dem Tod von der Schippe gesprungen ist, beim ersten Besuch sachlich und gemessen über die Rolle des Autors unterhält und es dabei unter anderem um "die Agenda des weißen imperialistischen Patriarchats" geht? Meine Begeisterung für das Buch hat sich leider in Grenzen gehalten.

Der Freund ist 2020 beim Aufbau Verlag erschienen und kostet als Taschenbuch 12 Euro, als E-Book 8,99 Euro sowie als Hörbuch 14,99 Euro.


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