Freitag, 10. Mai 2024

# 436 - Die Krise und der Schatz

Quelle Foto: Verlagsbuchhandlung Liebeskind 
Die Welt ist voller Krisen, die sich geradezu zu stapeln
scheinen. Zahlreiche Menschen empfinden diese Entwicklung als Bedrohung, und viele von denen, die es sich leisten können, lassen sich in ihre Eigenheime private komfortable Bunker für den Ernstfall einbauen - wie immer der am Tag X aussehen mag. Doch was ist mit den Leuten, die ebenfalls Angst, aber weniger Geld haben?

Segismundo García II. ist der Erzähler in dem Roman Ein sicherer Ort des spanischen Schriftstellers Isaac Rosa und hat für sie die Geschäftsidee: Er bietet ihnen den Einbau eines "Sicheren Ortes" an. Dafür eignen sich mehr Gebäudeteile als man ahnt: Segismundo empfiehlt hierfür nicht nur mit Gerümpel vollgestellte Kellerabteile oder Garagen, sondern auch winzige, mit einer Holzklappe abgedeckte Erdlöcher. Wo ein Wille ist, sollte auch ein Weg sein.
Die Nachfrage ist da, aber um seine Idee erfolgreich umzusetzen, braucht Segismundo vor allem Geld. Geld, das er nicht hat und ihm die Bank nicht geben wird. Denn: Sein Vater, Segismundo "der Große", hatte sich mit Billig-Zahnkliniken einst von ganz unten nach ganz oben gearbeitet, die Firmendaten etwas aus dem Blick verloren und war wegen Betrugs zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Ein sozialer Absturz, von dem er sich nicht mehr erholen sollte und der auch das Leben seiner Frau und seines Sohnes aus der Bahn warf. Wer also "Segismundo García" in eine Suchmaschine eingibt, findet zunächst Artikel über die kriminellen Machenschaften des alten Mannes. Der Name ist verbrannt.

Vor seinem Haftantritt hatte Segismundo I. allerdings vorgesorgt und einen Teil des ergaunerten Geldes versteckt. Mittlerweile wurde er zwar entlassen und lebt in einer Wohnung in Madrid, aber seine Demenz hat ihn seine Vergangenheit vergessen lassen. Er wird von einer Pflegerin rund um die Uhr betreut und ist als alter Mann so freundlich, wie er es früher nie war. Hoffnung geben dem Sohn jedoch die spontanen Gänge des Vaters durch die Straßen der Hauptstadt: Segismundo II. hofft, dass sein Vater sich irgendwann an das Geldversteck erinnert und damit unwissentlich die Geldprobleme seines Sohnes und Enkels löst. Ein Peilsender am Handgelenk des Seniors verrät, welche Route er nimmt.

Segismundo III. ist noch Schüler und ebenso schlitzohrig wie Vater und Großvater. Als noch genug Geld da war, hat man ihn auf eine Privatschule geschickt, um ihm die Chance auf ein gutes und erfolgreiches Leben zu geben. Doch Segis, wie er von seinem Vater genannt wird, investiert seine Zeit lieber in Sportwetten und sammelt von seinen reichen Mitschülern Wetteinsätze ein. Aktuell befindet er sich jedoch wie sein Vater in Schwierigkeiten und braucht wie er dringend Geld.

Lesen?

Isaac Rosa greift sehr gekonnt die Ängste auf, die Teile der Gesellschaft umtreiben: Der Wunsch nach dem sozialen Aufstieg geht Hand in Hand mit der Angst vor dem Abstieg; die allgemeine Panikmache befördert die Sorge, es könnte zu Ereignissen kommen, die die Menschheit ins Elend stürzen oder gar auslöschen. Rette sich, wer kann.

Diesen Ängsten wird in diesem Roman entweder mit dem egoistischen Einbunkern oder mit dem Gegenteil, einer auf Zusammenhalt und Kooperation basierenden Gesellschaft, die Segismundo II. spöttisch als "Tonkrügler" bezeichnet, begegnet. Er erzählt seinem dementen Vater in der seltenen "Du-Form" seine Sicht auf dessen Leben und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Am Ende schimmert so etwas wie Versöhnlichkeit gegenüber dem alten Vater durch - oder ist es Resignation?

Ein sicherer Ort ist 2022 in der Originalausgabe unter dem Titel Lugar Seguro erschienen und wurde in der deutschen Übersetzung von Luis Ruby 2024 von der Verlagsbuchhandlung Liebeskind herausgebracht.
Der Roman kostet als gebundenes Buch 24 Euro und als E-Book 18,99 Euro.


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