Dienstag, 23. September 2025

# 488 - Liebe und Kulturschock - eine anstrengende Mischung

T. C. Boyle verfolgt in seinem neuen Roman No Way
Home
die Spuren einer Liebe, die nicht nur für die beiden hauptsächlich Beteiligten, sondern auch für eine dritte Person anstrengend ist.

Terry ist 31 Jahre alt, Arzt in einem Krankenhaus in L. A. und arbeitet auf die Zulassung als Internist hin. Jeden Tag wird er in der Klinik mit den Folgen von Gewalt und Verwahrlosung konfrontiert. Eines Tages erfährt er, dass seine Mutter verstorben ist. Sie hinterlässt ihm ein Haus in der Wüstenstadt Boulder City und die Hündin Daisy. Terrys Mutter lebte seit einigen Jahren in der Kleinstadt in der Nähe von Las Vegas, Terry kennt den Ort nur von seinen seltenen Besuchen. Nun muss er sich jedoch dort um die Formalitäten kümmern und entscheiden, was aus Haus und Hund werden soll.

Terry lernt dort zufällig die gutaussehende Bethany kennen, die sich von ihrem Freund Jesse getrennt hat und aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen ist. Zwischen Terry und Bethany gibt es sofort eine Anziehung, die nach einer gemeinsamen Nacht darin mündet, dass die junge Frau hinter Terrys Rücken in das leerstehende Haus seiner Mutter einzieht. Terry schafft es nicht, Bethany vor die Tür zu setzen, denn das Arrangement hat auch für ihn Vorteile. Ab sofort pendelt er an den Wochenenden zwischen Los Angeles und Boulder City, eine Strecke von immerhin mehr als 450 Kilometern.

Was genau Bethany für den jungen Arzt empfindet, bleibt unklar. Für sie ist er auf jeden Fall "eine gute Partie" mit einer hoffnungsvollen Zukunft - in Boulder City, wenn es nach ihr geht. Aber Terry empfindet in der Wüstenstadt einen Kulturschock und erlebt ein Amerika, das ihm bislang fremd war: die Leute haben konservative Ansichten, reichlich Machos und Lebensentwürfe, in denen er sich nicht wiederfindet. Er erlebt, was mit dem Wort "Sozialkontrolle" gemeint ist.

Und dann ist da noch Jesse, Bethanys Ex-Freund. Der Lehrer entwickelt sich zum Stalker und verletzt Terry so schwer, dass dieser seine Facharztausbildung unterbrechen muss. Bethany kümmert sich um Terry, aber die Pflege, die Verantwortung für den Hund und die Erwartungen, die Terry an sie stellt, überfordern sie schnell. Zuverlässigkeit und Disziplin sind nicht unbedingt ihr Ding. Jesse ist charakterlich einfach gestrickt, für ihn zählen männlich-dominante Typen. Er hat seine Eifersucht immer weniger im Griff und verstößt sogar gegen richterliche Auflagen.

Letztlich bleibt wegen ihres ambivalenten Verhaltens unklar, zu wem sich Bethany tatsächlich hingezogen fühlt und ob das, was die beiden jungen Männer für Liebe halten nicht eher der Wunsch nach einer Inbesitznahme ist.

Lesen?

T. C. Boyle hat sich in vielen seiner Bücher mit Klima- und Umweltthemen beschäftigt. In No Way Home werden sie zwar nicht völlig vernachlässigt, aber nur am Rande benannt. Da ist beispielsweise vom stetig sinkenden Wasserspiegel des durch den Hoover-Damm aufgestauten Lake Mead die Rede sowie der Hoffnung, dass es in den Bergen einen schneereichen Winter gibt, damit das Schmelzwasser im Frühling den See speist. Doch der Lake Mead, an dessen Ufer sich Boulder City befindet, hat nicht nur mit dem Wasserverlust, sondern auch mit einer zu starken Wassererwärmung und dadurch übermäßigen Algenausbreitung zu kämpfen.
Etwas rätselhaft bleibt, warum Boyle an dieser Stelle den Tod eines Jungen erwähnt, der sich nach dem Baden in einem nicht benannten amerikanischen Gewässer mit der sog. hirnfressenden Amöbe Naegleria fowleri infiziert hatte. Dieser von Bethany erwähnte Fall bleibt ein loses Ende - ebenso wie der Schluss des Romans. Und es bleibt die Frage: Ist es besser, sich in einer problematischen Beziehung zu arrangieren oder allein zu sein? Um eine befriedigende Antwort zu geben, wurden die Hauptfiguren allerdings nicht klar genug herausgearbeitet.

No Way Home ist im September 2025 im Hanser Verlag erschienen. Die englische Originalausgabe wird im April 2026 veröffentlicht, ebenfalls im Hanser Verlag. Die deutsche Fassung kostet als gebundenes Buch 28 Euro sowie als E-Book 20,99 Euro.



Donnerstag, 4. September 2025

# 487 - Elefanten in Berlin lösen eine Regierungskrise aus

Gaea Schoeters greift in ihrem neuesten Roman Das
Geschenk
 eine politische Begebenheit aus den Jahren 2023 und 2024 auf: Mehrere europäische Staaten, darunter auch Deutschland, sprachen sich dafür aus, das EU-Recht hinsichtlich des Imports von Jagdtrophäen zu verschärfen. Die Einfuhr von beispielsweise Elfenbein sollte nach Ansicht des Bundesumweltministeriums „insgesamt reduziert und im Einzelfall ganz verboten“ werden. 
Botswanas Präsident 
Mokgweetsi Masisi war darüber verärgert, er und andere afrikanische Staatschefs werteten diesen Vorschlag als neokoloniale Einmischung. Im Scherz drohte Masisi, 20.000 Elefanten nach Deutschland zu schicken.

Schoeters hat den Faden weitergesponnen und in ihrem Buch tatsächlich den botswanischen Präsidenten Elefanten nach Berlin schicken lassen. Eines Tages werden einige von ihnen im Morgennebel am Spreeufer gesehen, nach und nach tauchen im ganzen Stadtgebiet immer mehr auf. Zum Schluss werden 20.000 Tiere gezählt. Sie trampeln nieder, was ihnen vor ihre Füße kommt, brauchen riesige Mengen Futter und hinterlassen wahre Kotberge. Außer, dass die riesigen Kotfladen stinken, haben sie noch eine andere Wirkung: In ihnen sind unverdaute Samen aus der afrikanischen Heimat der Elefanten, die die Pflanzenwelt der Hauptstadt verändern. Das bezieht auch hohe Gebäude ein, die schon nach bis dahin elf vergangenen Wochen in einen grünen Mantel eingewoben sind. Geht das wirklich so schnell? Die Antwort: nein.

Die Elefanten-Armada hat aber nicht nur eine ökologische Dimension, sondern wirft auch finanziell, sicherheitstechnisch und politisch reichlich Probleme auf. Bundeskanzler Hans Christian Winkler wird von der Gesamtsituation kalt erwischt. Er muss diese Krise unbedingt bewältigen, denn die nächsten Wahlen stehen an und er will sein Amt gegen den Rechtsaußen-Politiker Holger Fuchs verteidigen. Während ein Krisenstab eingerichtet wird und man Zuständigkeiten hin und her schiebt, verschärft sich die Situation.

Die Elefanten werden von der Bevölkerung zu Beginn ihres Auftauchens als Ereignis angesehen, aber hundert Tage später lehnen sich ganze Berufsgruppen von den Landwirten bis zu den Müllwerkern gegen ihre Anwesenheit auf. Der Kanzler steht als Versager da, sein Kontrahent Fuchs gewinnt in Wählerumfragen an Boden. Der Satz "Wir schaffen das!", fällt auch hier, damit auch die und der Letzte die Parallelen sieht. Wer kann da helfen? Winkler wendet sich an Ex-Kanzlerin Erika Fuchs, die einen Rat parat hat.

Doch kaum, dass sich eine Lösung anbahnt, ergeben sich neue Probleme: Wie kann verhindert werden, dass sich die Elefantenpopulation vergrößert?

Das Ende des Romans erinnert stark an Vorschläge, was mit illegal eingereisten Menschen, die nicht in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden können, passieren sollte. 

Lesen?

Vor etwa einem Jahr habe ich hier Trophäe vorgestellt, das erste Buch von Gaea Schoeters, das auf Deutsch übersetzt wurde. Nicht nur ich war von diesem Roman begeistert, der inhaltlich und sprachlich überzeugte. Inhaltlich knüpft Das Geschenk daran an, wenn auch weniger überzeugend.

Die amüsante Grundidee, dass sich ein afrikanischer Regierungschef mit dem Verschicken von Wildtieren für eine politische Entscheidung rächen könnte, wird schon ab dem Zeitpunkt unglaubwürdig, in dem völlig unklar ist, wie die Tiere nach Berlin gekommen sind. Doch offensichtlich geht es Schoeters nicht um Elefanten und Artenschutz. Im Verlauf der Handlung wird immer klarer, dass die Elefanten metaphorisch für illegal eingereiste Flüchtlinge stehen, die nun insbesondere von Holger Fuchs für politische Propaganda herhalten müssen: "Und so muss der durchschnittliche, hart arbeitende Deutsche für den Schaden geradestehen, für den invasive afrikanische Arten als Folge irgendeines woken Gesetzes verantwortlich sind." Die Situation ist "der perfekte Nährboden für eine Partei, die nur Phrasen drischt und von der Unzufriedenheit der Bürger lebt. Dass ihre Lösung [...] nicht umsetzbar ist, ist egal; sie können das einfach rausposaunen, ohne es je umsetzen zu müssen."

Die Handlung des Romans erstreckt sich über 435 Tage, wobei Schoeters in großen Zeitsprüngen erzählt. Auf weniger als 150 Seiten reißt sie Themen wie Natur- und Artenschutz, Landwirtschaft, Integration, Klimakrise, Postkolonialismus, die Fallstricke des Politikbetriebs, Wirtschaft, ... - habe ich etwas vergessen? - an, vertieft jedoch nichts davon. Am Ende des Buches bleibt die Frage: Wollte Gaea Schoeters ihre Leserinnen und Leser amüsant unterhalten oder sie zum Nachdenken bringen? 
Von den Geschlechterklischees habe ich da noch gar nicht angefangen. 

Das Geschenk ist 2025 im Zsolnay Verlag erschienen (Übersetzung: Lisa Mensing) und kostet als gebundenes Buch 22 Euro sowie als E-Book 16,99 Euro.