Freitag, 18. Oktober 2019

# 216 - Der fremde Vater

Gewissheiten, die sich Stück für Stück auflösen,
und Menschen, die unverhofft in das eigene Leben treten: Davon handelt der neueste Roman Kieloben von Karin Nohr.

Ein bisschen passt dieses Buch zu meiner gerade mit Holocaust in Norwegen beendeten Norwegen-Reihe. Die Autorin Nohr ist zwar keine Norwegerin, hat aber zentrale Bestandteile ihres neuesten Werks in das Land verlegt.

Die im Mittelpunkt stehende deutsche Familie Niemann eignet sich nicht als Sinnbild für ein harmonisches Miteinander. Die Ehe zwischen den Eltern Irmela und dem schon verstorbenen Richard war kühl und distanziert, die Erziehung ihrer drei Kinder Matthias, Markus und Inga, die heute selbst erwachsene Kinder haben,  war ebenfalls nicht durch Herzlichkeit geprägt. 

Als die frisch verwitwete Inga allein auf einer norwegischen Schäreninsel Urlaub macht, bleibt sie mit ihren Brüdern per E-Mail in Kontakt. Jeder der Drei erzählt nach und nach, welche Erinnerungen er an die Eltern hat. Das Thema entpuppt sich als Minenfeld: War der Vater wirklich nach dem Krieg in der Psychiatrie gewesen? Warum hieß sein Segelboot 'Inga'? Sollte die Mutter wirklich eine Beziehung mit dem Pfarrer gehabt haben? Und warum hatte Inga überhaupt diesen Namen bekommen, obwohl ihre Brüder, einschließlich des früh gestorbenen Lukas, biblische Namen hatten?

Fragen, die Matthias dazu bewegen, Nachforschungen zu betreiben. Das, was er im Bundesarchiv herausfindet und ein Brief, den er aus Norwegen erhalten hat, erschüttert die Geschwister. Lange nach dem Tod des Vaters hebt sich ein Schleier, der über dessen Vergangenheit gelegen hat. Ein gutgehütetes Geheimnis, das ihnen den Weg nach Tromsø weist, den zunächst nur Inga gehen will.


Wie war's?

In Kieloben schildert Karin Nohr eine Familiengeschichte, die vom Deutschland während des 2. Weltkriegs bis in die deutsch-norwegische Gegenwart reicht. Sie berührt existenzielle Lebensfragen und lotet auch aus, wie weit der Mensch zur Vergebung und Versöhnung bereit ist und wie unterschiedlich der Blick in die Vergangenheit sein kann.

Karin Nohr ist studierte Literaturwissenschaftlerin und Psychologin und hat sich in klassischem Gesang fortgebildet. Sie hat mehrere Jahre als niedergelassene Psychoanalytikerin gearbeitet, ehe sie sich ganz dem Schreiben zuwandte. Dieser persönliche Hintergrund hat auf die Handlung einen prägenden und positiven Einfluss. Klare Leseempfehlung.

Kieloben ist im Juli 2019 im Größenwahn Verlag erschienen und kostet als Hardcover-Ausgabe 19,90 Euro sowie als E-Book 17,99 Euro.


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