Freitag, 19. Mai 2023

# 393 - Tödliche Irrwege

Charlotte Ford und Danielle Reeves waren mal dicke
Freundinnen, als beide noch in Houston aufs College gingen. Jede machte schon damals ihr eigenes Ding: Charlotte, weil ihre schmerzgeplagte Mutter bis zu ihrem Tod wegen der vielen Medikamente nicht in der Lage war, sich um irgendetwas zu kümmern, schon gar nicht um ihre Tochter; Danielle, die bei ihrer reichen Mutter lebte, diese jedoch so viel arbeitete, dass sie glaubte, Liebe mit Geld ausgleichen zu können. Melissa Ginsburg hat in ihrem ersten Krimi Sunset City komplexe Beziehungsstrukturen zu einer feinen Handlung verwoben.

Als Charlottes Mutter gestorben war, trudelten noch eine ganze Weile deren Medikamente ein. Die beiden Teenager testeten die Medikamente an sich selbst, was sie nicht nahmen, vertickten sie. Das Leben war locker und leicht - wenn man es verstand, sich etwas vorzumachen.

Im Gegensatz zu Charlotte schaffte Danielle den Absprung nicht und rutschte tief in die Sucht hinein. Sie wurde heroinsüchtig und musste für eine längere Zeit ins Gefängnis. Der Kontakt zwischen ihnen riss ab.

Doch dann treffen sich die beiden nach Jahren wieder. Während sich in Charlottes Leben nicht viel getan hat - nach wie vor lebt sie in der Wohnung der Mutter und arbeitet als Barista -, hört sich das, was Danielle zu erzählen hat, spannender an: Die junge Frau verdient ihr Geld mit Pornos und hat einen Freundeskreis, der aus Leuten besteht, die ebenfalls in der Branche arbeiten.

Zwei Tage nach dem Wiedersehen steht Detective Ash vom Houston Police Department vor Charlottes Tür und teilt ihr mit, dass Danielle ermordet wurde. Vielleicht wäre abgeschlachtet das bessere Wort. Doch wer hat die Freundin so sehr gehasst? Wer konnte der immer gut gelaunten und hübschen Frau das antun? Charlotte versinkt so sehr in ihrer Trauer um die Freundin und die Zeit, die sie noch zusammen hätten haben können, dass sie wissen will, wie Danielle gelebt hat. Sie taucht ein in die Welt der Pornodarsteller, Süchtigen und Dealer und ist dabei, die Kontrolle über ihr Leben zu verlieren. Charlotte gleitet von einem Drogenrausch zum nächsten und rutscht in Sexabenteuer, die sie sich vorher nicht hätte ausmalen können. Aber in ihren lichten Momenten registriert sie, wie das, was ihr Danielles "Freunde" erzählen, zu dem passt, was sie selbst wahrnimmt - oder eben nicht. Sie zieht ihre Schlüsse, doch Detective Ash verfolgt eine andere Spur. Dann droht die Situation zu kippen.

Lesen?

Sunset City wird von zahlreichen Szenen im Sonnenuntergang getragen, der jedoch keine Romantik erzeugt, sondern eher zu einer diffusen Atmosphäre beiträgt. Diese passt genau zu dem Leben, das die Hauptpersonen führen: immer nur eine handbreit vom nächsten Joint oder den nächsten Pillen entfernt, die die eigenen Probleme für eine Weile in den Hintergrund treten lassen. Das Leben ist zerbrechlich, der Tod lauert in Houstons dunklen Ecken. Melissa Ginsburg lässt daran von der ersten Seite an keinen Zweifel. Wer mal etwas anderes lesen will als einen Krimi, in dessen Mittelpunkt die Polizei steht, aber trotzdem nicht auf Spannung verzichten möchte, dem kann dieses Buch empfohlen werden.

Sunset City ist in der deutschen Übersetzung von Kathrin Bielfeldt 2023 im Polar Verlag erschienen und kostet als Klappenbroschur 17 Euro.

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