Samstag, 28. September 2019

# 213 - 150 Jahre Kampf in Graphic Novels

Bücher über den Kampf der Frauen für mehr Rechte - insbesondere das Recht auf Freiheit, auf Bildung, Arbeit und ein eigenes Einkommen sowie das Wahlrecht und die sexuelle Selbstbestimmung - gibt es schon sehr viele. Muss da noch ein weiteres hinzukommen?

Ja, denn Rebellische Frauen - Women in Battle 
der Sachbuchautorin Marta Breen und der Illustratorin Jenny Jordahl hebt sich von allem ab, was man bislang zu diesem Thema gewohnt ist. Hier handelt es sich nicht um einen auf den Text fokussierten Titel, sondern um Graphic Novels, die auch diejenigen Leser, die sich noch nie mit der Geschichte der Frauenbewegung(en) beschäftigt haben, ansprechen.

Das zuerst in Norwegen erschienene Buch erzählt chronologisch, wann und warum die Frauenbewegung begann und welche Frauen sie vorantrieben. Nur wenige Namen wie z. B. die der Sozialistinnen Clara Zetkin und Rosa Luxemburg sind vielen Menschen bekannt. Die Mitte des 19. Jahrhunderts aktiven US-amerikanischen Frauenrechtlerinnen Elizabeth Cody Stanton und Lucretia Mott dürften den meisten eher unbekannt sein. Den beiden stieß bei einem 1840 in England stattfindenden Kongress gegen die Sklaverei sauer auf, dass sie und alle anderen mitgereisten Frauen wegen ihres Geschlechts zum Zuhören verdonnert wurden und nicht selbst etwas beitragen durften. Sie arbeiteten ein Manifest zur Gleichberechtigung aus, das 1848 auf einer Abolitionistenkonferenz in Seneca Falls (New York) verlesen und verabschiedet wurde. Diese Veranstaltung gilt als die erste Versammlung in der Geschichte der Frauenbewegung.

Breen und Jordahl erinnern u. a. auch an Harriet Tubman, eine entlaufene Sklavin, die für die Abschaffung der Sklaverei in den USA kämpfte. Sie half anderen Sklaven zu fliehen und wurde trotz eines hohen auf ihre Ergreifung ausgesetzten Kopfgeldes nie gefasst.

Da erging es der Französin Olympe de Gouges ganz anders: Da die nach der Französichen Revolution erarbeitete Verfassung nur die Menschen- und Bürgerrechte von Männern beinhaltete und die andere Hälfte der Bevökerung "vergessen" wurde, schrieb die streitbare Autorin und Feministin 1791 einen Gegenentwurf, der sich ausdrücklich mit den Rechten der Frauen befasste. Sie bezahlte ihren Einsatz mit ihrer Hinrichtung.

Das Buch kommt zu einem Resümee, das nicht überrascht: Frauen werden nach wie vor rund um den Globus unterdrückt, ausgegrenzt, misshandelt oder in anderer Weise Repressalien ausgesetzt. Aber den allermeisten geht es besser als vor 150 Jahren. Das soll auf keinen Fall bedeuten, dass sich Frauen mit dem bisher Erreichten zufrieden geben sollen. Darum lauten die letzten beiden Sätze:

"Langsam aber sicher geht es voran.
Wenn nur jemand vorgeht."

Rebellische Frauen - Women in Battle bietet einen schnellen, aber dennoch sehr guten Überblick über die Geschichte der Frauenbewegung. Klare Leseempfehlung.

Aus urheberrechtlichen Gründen ist es mir leider nicht möglich, an dieser Stelle beispielhaft Zeichnungen zu zeigen. Der Elisabeth Sandmann Verlag hat auf seiner Website jedoch einige von ihnen zur Ansicht bereitgestellt.

Rebellische Frauen - Women in Battle ist beim Elisabeth Sandmann Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 25 Euro. 

Die Bundeszentrale für politische Bildung hat das
Buch broschiert in ihrer Schriftenreihe herausgegeben. Dort ist es für 4,50 Euro erhältlich. 

Dieser Titel ist der vierte, den ich anlässlich der kommenden Frankfurter Buchmesse vorstelle, deren Gastland diesmal Norwegen ist. Dies waren die vorangegangenen Bücher norwegischer Autoren:

Freitag, 13. September 2019

# 212 - Von der Hauptstadt raus aufs Land

Die Journalistin Agnes Ravatn hat mit Ein kleines Buch vom Leben auf dem Land ein kleines, feines Buch darüber geschrieben, wie es ist, von der Hauptstadt Oslo mit ihrem pulsierenden Leben aufs Land zu ziehen, wo fast nur die Geräusche der Natur zu hören sind. Ihr und ihrem Mann hat in Oslo nichts gefehlt, im Gegenteil: Sie fühlten sich wohl in ihrer Dreizimmerwohnung, zwischen so unterschiedlichen Menschen, die sie auf der Straße, bei der Arbeit oder bei Veranstaltungen antrafen. Warum also dieser radikale Schritt?


Der Auslöser ist die Geburt des ersten Kindes. Die jungen Eltern wollen ausprobieren, wie es sich auf dem Land lebt und dafür die sechsmonatige Elternzeit nutzen. Die Familie von Ravatns Mann besitzt im westnorwegischen Valestrand ein leerstehendes Bauernhaus, das von den Verwandten sofort bezugsfertig renoviert wird. Hier leben auf einer Fläche von 59 km² etwas mehr als 1.200 Menschen. Bis nach Oslo sind es ungefähr 450 Kilometer. Dazwischen scheinen Welten zu liegen: So, wie es Ravatn schildert, sind der westnorwegische Humor und die Fähigkeit zur Ironie den ostnorwegischen Gewohnheiten so ähnlich wie  die zwischen Holstein und Bayern: Man spricht zwar dieselbe Sprache, aber immer hübsch aneinander vorbei.

Doch das ist nicht der einzige Unterschied, an den sich die kleine Familie gewöhnen muss: kein Internet, kein Fernsehen, keine kulturellen Veranstaltungen, keine Spontankäufe und gefühlt kein Tag ohne Regen. Dafür jede Menge Ruhe, Natur, das Wahrnehmen des Wechsels der Jahreszeiten und die Rückbesinnung auf grundsätzliche Dinge, die das Leben ausmachen.

Ein stetiger Lichtblick sind der in der Nähe wohnende Dichter und Essayist Einar Økland und seine Frau Liv Marit. Økland ist fast 40 Jahre älter als Ravatn und eine in Norwegen sehr bekannte Persönlichkeit. Er ist ein väterlicher Freund, der mit seinen liebenswerten Schrullen schon seit 40 Jahren in seinem Haus auf dem Land lebt. Als er sich entschloss, Oslo zu verlassen, war er also etwa so alt wie die Autorin es heute ist.

Wer schon einmal auf dem Land gelebt hat, weiß, dass man hier und da nicht besonders zimperlich sein sollte. Das ist in Norwegen nicht anders: Die Methoden, die Schnecken im Garten zu dezimieren oder den geangelten Fischen den Garaus zu machen, bevor sie an Ort und Stelle ausgenommen werden, ist nichts für sensible Gemüter.
Und noch etwas lernt Ravatn von Økland: wie man richtig gutes Knäckebrot backt und was wahres Glück ist.


Wie war's?


Ein kleines Buch vom Leben auf dem Land beschreibt die Sicht einer Städterin auf das Landleben. Ravatn und ihr Mann verlassen das gewohnte Umfeld und stürzen sich kopfüber in das neue Leben. Die Betrachtung des täglichen Lebens fällt in diesem Buch relativ oberflächlich aus, es geht mehr um die Beschreibung des sich nach und nach herausschälenden neuen Lebensgefühls. Interessant und sehr kurzweilig zu lesen, aber wer einen intensiven Blick auf die die Autorin umgebende Natur erwartet hat, ist mit diesem Titel weniger gut bedient.

Ein kleines Buch vom Leben auf dem Land ist 2019 in der deutschen Ausgabe bei btb erschienen und kostet als gebundenes Buch 15 Euro sowie als E-Book 11,99 Euro.

Diese Rezension ist Teil einer Reihe, die sich anlässlich der Frankfurter Buchmesse 2019 mit ihrem Ehrengast Norwegen mit norwegischen Schriftstellern beschäftigt.
In den letzten Wochen habe ich über diese Bücher geschrieben:


Freitag, 6. September 2019

# 211 - Der Vogel des Todes

Unter dem Pseudonym Samuel Bjørk veröffentlicht
der norwegische Schriftsteller Frode Sander Øien seine Krimis. Das gilt auch für die bislang dreiteilige Reihe um Kriminalkommissar Holger Munch. Federgrab ist das zweite Buch aus dieser Serie.

Die 17-jährige Camilla Green lebt seit zwei Jahren in der privaten Jugendhilfeeinrichtung 'Gärtnerei Hurumlandet' in der Nähe von Oslo. Sie gilt dort als eigenwillig, sodass sich am Tag ihres Verschwindens noch niemand Sorgen um sie macht. Doch dann wird sie von der Leiterin Helene Eriksen als vermisst gemeldet. Kurz darauf zieht sie die Vermisstenmeldung wieder zurück.

Drei Monate später wird Camilla auf einer Lichtung tot aufgefunden: nackt, umgeben von Eulenfedern und mit einer weißen Lilie zwischen den Lippen. Um sie herum ist ein Pentagramm aus Lichtern aufgebaut. Die Szenerie wirkt, als habe hier jemand ein Ritual zelebriert. Bei der Obduktion werden in ihrem Magen Tierfutter-Pellets gefunden. Die Rechtsmediziner finden außerdem Verletzungen an Knien und Handflächen. Die Ermittler gehen schnell davon aus, dass Camilla gefangen gehalten wurde.

Die Jugendeinrichtung, die bislang einen guten Ruf genießt, der insbesondere ihrer Leiterin zu verdanken ist, ist in einer nervös-angespannten Aufregung. Der Ort, an dem auch schwer traumatisierte Kinder und Jugendliche wieder zur Ruhe und einen Ort zur Regeneration fanden, sieht sich nun Verdächtigungen ausgesetzt.

Das Ermittlerteam der Osloer Mordkommission wirft sein Netz in alle Richtungen aus. Dem erfahrenen und allseits geachteten Munch ist es wichtig, wegen ihrer überragenden intuitiven Fähigkeiten die junge Ermittlerin Mia Krüger dabei zu haben. Mia wurde, nachdem sie im Dienst einen Mann erschossen hatte, vom Dienst suspendiert und muss sich einer Psychotherapie unterziehen. Doch sie flieht vor den Schatten aus ihrer Vergangenheit in eine Alkohol- und Tablettenabhängigkeit und ist nur begrenzt zurechnungsfähig. Munch schafft es, dass die Suspendierung ausgesetzt wird und stellt trotz aller deutlichen Zeichen von Mias Überforderung seine Bedenken zugunsten der Mordermittlung hintenan.

Die Arbeit der Polizisten kommt erst dann in Fahrt, als ein früherer Freund ihres Teamkollegen Gabriel Mørk, der Hacker Skunk, diesen aufsucht und ihm einen Film zeigt, den er zufällig im Darknet gefunden hat. Darauf ist die entkräftete Camilla zu sehen, die in einem überdimensionelen Hamsterrad, das sich in einem Kellerraum zu befinden scheint, auf Anweisung vorwärts krabbelt und zur "Belohnung" Pellets vom Boden aufklauben und essen muss. Der, der diese Anweisungen gibt, ist zwar nur undeutlich im Hintergrund zu erkennen, hat sich aber zweifellos als Vogel verkleidet. 

Wie war's?

 

Der Thriller Federgrab hätte das Potenzial gehabt, aus den einzelnen thematischen Versatzstücken mehr zu machen. Das Buch wirkt streckenweise jedoch so, als habe der Autor möglichst viele verschiedene gesellschaftliche Themen anschneiden wollen, um der Geschichte zu unerwarteten Wendungen zu verhelfen: Satanismus und Okkultismus gepaart mit den Schattenseiten des Internets und militanten Tierschützern ergeben eine Mischung, die haarscharf an der Grenze zur Unglaubwürdigkeit vorbeischrammt.

Die Figur des Holger Munch erinnert deutlich an die des Kurt Wallander des schwedischen Schriftstellers Henning Mankell: Er ist ebenfalls geschieden, hat eine erwachsene Tochter und neigt zu Grübeleien. Auch Munch hat eine jahrzehntelange Polizeikarriere hinter sich und ist in einem ähnlichen Alter wie Wallander zu Beginn der elfteiligen Krimiserie von Henning Mankell.

Mia Krüger hat Ähnlichkeit mit Lisbeth Salander aus der Millennium-Trilogie von Stieg Larsson - die Bände vier bis sechs empfinde ich als Fake, da sie nach Larssons Tod weitergeschrieben wurden. 
Beide Frauen versuchen, mit ihren Traumata fertig zu werden, sind introvertiert und haben (unterschiedliche) herausragende Fähigkeiten, die ihre Arbeit trotz ihrer charakterlichen Untiefen wertvoll machen.

Federgrab hat mich nicht überzeugt. Ich wurde den Eindruck nicht los, dass bei der Erstellung des Plots auch danach gegangen wurde, welche Charaktere und Handlungsstränge bereits bei anderen Titeln erfolgversprechend eingesetzt wurden. Trotzdem gehört es zu den Büchern, die sich zügig lesen lassen; man will schließlich die Frage aller Fragen beantwortet haben: Wer hat diese scheußliche Tat begangen?

Federgrab ist bei Goldmann erschienen und kostet broschiert 12,99 Euro und als E-Book 9,99 Euro.

Diese Rezension ist Teil einer Reihe, in der ich anlässlich der kommenden Frankfurter Buchmesse Bücher aus Norwegen, dem diesjährigen Ehrengast, vorstelle. Letzte Woche war es Doktor Proktors Pupspulver von Jo Nesbø, den wir in Deutschland eher als Krimiautor kennen und der mit diesem Titel sein erstes Kinderbuch vorgelegt hat.