Montag, 27. Mai 2024

# 438 - 16 Bundesländer, 16 Berge: ein Radiomoderator auf Wanderschaft

Der gebürtige Bayer Achim Bogdahn moderiert seit
mehr als 30 Jahren beim Bayerischen Rundfunk verschiedene Radiosendungen und ist wahrscheinlich einer der größten Fans von TSV 1860 München. Diese drei Merkmale - Herkunft, Fußballfan und die Art der "Schreibe" - durchziehen sein Buch Unter den Wolken - Meine Deutschlandreise auf die höchsten Berge aller 16 Bundesländer wie ein Roter Faden.

Eine Zeitungsmeldung gab für Bogdahn den Ausschlag für sein Projekt: 2016 las er, dass der unter dem Spitznamen "Brocken-Benno" bekannt gewordene Benno Schmidt seit dem 3. Dezember 1989, dem Tag der Öffnung der Brockenmauer, zum 8000. Mal den höchsten Berg Sachsen-Anhalts besteigen wollte. Und das am geschichtsträchtigen 3. Oktober. Der Plan, nicht nur den Brocken, sondern alle höchsten Berge der Bundesländer zu erwandern, war geboren.

Bis zur Umsetzung dauerte es jedoch etwas. Bogdahn hatte nämlich nicht vor, allein unterwegs zu sein. Außerdem wollte er möglichst klimafreundlich reisen und plante, sich Übernachtungsmöglichkeiten per Couchsurfing, also für lau, zu organisieren.
Hinter dem Anspruch des klimafreundlichen Reisens konnte er mit dem Kauf einer BahnCard 100 einen Haken machen.
Bei den Begleiterinnen und Begleitern sollte es sich nicht um Krethi und Plethi, sondern bekannte Persönlichkeiten, die ihr Bundesland repräsentierten, handeln. Das ist Bogdahn gelungen: In Niedersachsen wanderte beispielsweise die frühere Bischöfin Margot Käßmann mit ihm auf den Wurmberg, für die Erklimmung des namenlosen Bergleins in Bremen (32,50 Meter Höhe) konnte er den früheren Bürgermeister Henning Scherf gewinnen, für die Bezwingung des Langenberges in NRW (843,50 Meter) bekam er die Unterstützung des langjährigen Geschäftsführers des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund, Hans-Joachim Watzke.

Die neunte Wanderung auf den Wurmberg Anfang Februar 2020 fand noch unter normalen Bedingungen statt. Im fernen China gab es irgendein geheimnisvolles "Corona-Virus", aber keine Anzeichen für die Probleme, die auf die Welt in den nächsten Jahren zukommen sollten.
Wanderung Nummer 10 im Mai 2020 führte Bogdahn auf den Brandenburger Kutschenberg. Er wurde von der Bundestagsabgeordneten Anke Domscheit-Berg begleitet, die beiden nutzten die Zeit der Lockerungen nach der ersten Corona-Welle. Planung und Durchführung aller Wanderungen wurden nun jedoch grundsätzlich durch die Pandemie erschwert. 

Lesen?

Unter den Wolken ist vor allem eines: entspannte Unterhaltung. Um die eigentlichen Erhebungen geht es zwar auch, aber sie sind nur ein Vehikel, um Kontakt zu bekannten Personen herzustellen und rund um die Wanderungen Geschichten zu erzählen, die damit rein gar nichts zu tun haben. Da bricht dann Bogdahns langes Berufsleben als Radiomoderator durch, das ihm einen lockeren Sprachstil und ein für sein Anliegen hilfreiches Netzwerk beschert hat.

Viel Raum nehmen neben seinen persönlichen Anekdoten die Schilderungen des Wanderwetters sowie der meistens sehr langen Bahnfahrten ein. München liegt nun mal in Deutschland sehr dezentral, sodass sich so manche Fahrt wie eine Reise ans Ende der Welt anfühlt. Dieser Eindruck wird noch durch die bekannte "Zuverlässigkeit" der Deutschen Bahn unterfüttert und den Umstand, dass zahlreiche Orte aus Kostengründen vom Bahnnetz abgehängt und oft sogar mit anderen öffentlichen Verkehrsmitteln schlecht oder gar nicht erreicht werden können. 

Erst die letzte Wanderung führt Bogdahn dann im Juli 2021 gemeinsam mit Felix Neureuther auf den bayerischen Hausberg, die Zugspitze. Auf den ersten dreieinhalb Seiten lässt er als Bayer Bayern hochleben. Danach wird die Bedeutung der Zugspitze für Bayern erläutert: Man lernt, dass sich das Zugspitzmassiv zu zwei Dritteln auf österreichischem Gebiet befindet und darum nur vom höchsten Gipfel (!), nicht aber höchstem Berg (!) Deutschlands gesprochen werden kann.
Dann wird Felix Neureuther sehr ausführlich vorgestellt und seine Beliebtheit und Bekanntheit beschrieben. Wie in jedem der vorangegangenen Kapitel geht es dann eine ganze Weile um die Erlebnisse und Beobachtungen während der Anreise mit Bahn und Bus. Zum eigentlichen Wandern kommt es nur kurz: Den "Aufstieg" bewältigen die beiden Männer mit der Seilbahn. Erst die letzten Meter bis zum Gipfelkreuz, die man mithilfe einiger Eisensprossen und entlang eines gesicherten Grats überwinden muss, sind die Herausforderung des Tages. Ähnlich kurz kommen auch die anderen jeweils höchsten Erhebungen weg. 

Mir hatte die Idee gefallen, alle höchsten Berge in den 16 Bundesländern zu besuchen, ich habe aber offenbar eine andere Erwartung gehabt, wie ein Buch darüber aussehen könnte: mehr Inhaltliches von der Umgebung der Erhebungen, ein paar Anekdoten vielleicht, mehr über ihre Bedeutungen für die Menschen, die Landschaft, die Gegend,...
Wahrgenommen habe ich, dass die Berge Mittel zum Zweck waren, eine Projektionsfläche für den Autor. 
Mir ist auch unverständlich, warum man ohne einen dringenden Grund während einer Pandemie in öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Republik reisen und bei fremden Menschen übernachten muss. Während der Zugfahrt ins sächsische Fichtelgebirge im Oktober 2020 beobachtet Bogdahn im Zug eine Mitreisende: "Eine rothaarige Frau um die vierzig hustete Stakkato und machte alle nervös." Es hat eben jeder andere Prioritäten.

Unter den Wolken - Meine Deutschlandreise auf die höchsten Berge aller 16 Bundesländer ist 2022 im Heyne Verlag erschienen und kostet gebunden 22 Euro, als Taschenbuch 14 Euro sowie als E-Book 12,99 Euro.

Samstag, 18. Mai 2024

# 437 - Das, was am Ende von uns übrig bleibt - Kodokushi in Japan

Der Roman Oben Erde, unten Himmel der österreichischen Schriftstellerin Milena Michiko Flašar ist eines der sensibelsten Bücher, das mir in der letzten Zeit untergekommen ist. Flašar stellt ein gesellschaftliches Phänomen in den Mittelpunkt, das nicht nur in Japan, wo die Handlung angesiedelt ist, sondern auch in vielen anderen Industrienationen thematisiert, aber oft nicht ernst genug genommen wird: die Einsamkeit.

Aber ist es nicht ganz einfach, der Einsamkeit zu entfliehen, wenn man in Vereine eintritt, sich gesellschaftlich engagiert oder auf andere Weise mit Menschen in Kontakt kommt? Wenn es so banal wäre, gäbe es keine einsamen Menschen mehr. 

Milena Michiko Flašar hat sich in ihrem Buch einer besonderen Form der Einsamkeit gewidmet, für die es in Japan seit den 1980-er Jahren einen eigenen Begriff gibt: Kodokushi, den einsamen Tod. In Japan versteht man darunter das Versterben von Menschen, die über Wochen oder sogar Jahre von niemandem vermisst werden. 

Die 25-jährige Suzu ist grundsätzlich eine heiße Kodokushi-Kandidatin. Sie ist introvertiert und in einem Maße sozial inkompetent, dass sie ihren Aushilfsjob in einem typischen japanischen Familienrestaurant verliert.
Gleich zu Beginn charakterisiert sie sich treffend selbst: "Ich bin gerne allein. Und eigentlich hat sich daran auch nichts geändert. Nach wie vor bin ich kein Mensch, der viel Gesellschaft um sich braucht. Anders als früher brauche ich jedoch welche, und die Erkenntnis, dass dem so ist, hat meinem Leben eine neue Richtung gegeben." 

Auf einen Schlag hat sie nun kein Einkommen mehr. Ihre Eltern, die auf dem Land leben, um Hilfe zu bitten, kommt nicht infrage: Suzu war für ein Studium, das sie nach kurzer Zeit abgebrochen hatte, in die Großstadt gezogen. Das und die Tatsache, noch immer keinen heiratswilligen Partner zu haben, sind genug Enttäuschungen, die sie ihnen zugemutet hat. Eine weitere will Suzu nicht hinzufügen.

Wenn es nicht ihren Hamster Punsuke gäbe, der auf ihre Fürsorge angewiesen ist, wäre jetzt wohl der Zeitpunkt gekommen, an dem sich Suzu aufgegeben und womöglich einen einsamen Tod gestorben wäre. Aber die Verantwortung bringt sie dazu, sich nach einer neuen Stelle umzusehen. Das erste (und einzige) Vorstellungsgespräch bringt sie in die Reinigungsfirma von Herrn Sakai. Suzu begreift erst nach und nach, worauf sich dessen Unternehmen  spezialisiert hat: Der Chef reinigt mit seinem Team die Wohnungen von Verstorbenen, die erst nach langer Zeit entdeckt wurden. Wenn der Trupp kommt und seine Arbeit beginnt, sind die Leichen nicht mehr da, wohl aber die Spuren, die sie hinterlassen haben. Für diese Arbeit braucht man einen starken Magen und ein dickes Fell.

Für Suzu ist klar, dass sie diesen Job nur so lange machen wird, bis sie etwas Besseres gefunden hat. Doch sie fragt sich, wer sie wohl vermissen würde, wenn sie stürbe. Wann würde ihr Tod bemerkt werden?
Die Monate gehen dahin, und sie merkt, dass sie nicht nur wegen des Geldes zur Arbeit geht, sondern dort Teil einer Gemeinschaft geworden ist. Das ist vor allem Herrn Sakai zu verdanken, der seine Firma nicht nur ökonomisch, sondern auch hinsichtlich des sozialen Miteinanders zusammenhält. 

Die neuen Kontakte zu anderen Menschen führen bei Suzu zu ihr völlig neuen Einsichten. Angespornt von einem gleichaltrigen Kollegen steigt sie auf das Flachdach ihres Mehrfamilienhauses, von dem aus sich ihr das Panorama auf ihre Nachbarschaft offenbart: nicht einfach nur eine Ansammlung von Fassaden und Dächern, sondern Szenen aus den Leben der Menschen um sie herum. Bis zu diesem Tag kannte sie in diesem Haus nur den Weg von der Haustür bis zu ihrer Wohnung.
Aber dann gibt es in Herrn Sakais Firma eine Nachricht, die Suzu aus der Bahn werfen könnte. 

Lesen?

Ich habe die Antwort darauf gleich zu Beginn vorweggenommen. Oben Erde, unten Himmel ist ein durch und durch empathisches Buch, das von großer Kenntnis der japanischen Kultur zeugt. Das ist kein Wunder, denn Flašars Mutter ist Japanerin. Die Autorin hat in ihrer Kindheit mehrere Sommer in Japan verbracht und reist jedes Jahr für einige Wochen in das Land. 

Oben Erde, unten Himmel gehört zu den Büchern, die so berühren, dass man sie nach der letzten Seite nicht einfach beenden und das nächste Buch beginnen kann.

Oben Erde, unten Himmel ist 2023 im Verlag Klaus Wagenbach erschienen und kostet gebunden 26 Euro sowie als E-Book 22,99 Euro.

Nachtrag: Die Japanerin Miyu Kojima hat selbst als Reinigungskraft in einer Firma, die sich um die Wohnungen einsam Verstorbener kümmerte, gearbeitet. Irgendwann kam ihr die Idee, deren Wohnungen so, wie sie vorgefunden worden waren, im Kleinformat nachzubilden. Wer mehr darüber wissen will: hier entlang.

Freitag, 10. Mai 2024

# 436 - Die Krise und der Schatz

Quelle Foto: Verlagsbuchhandlung Liebeskind 
Die Welt ist voller Krisen, die sich geradezu zu stapeln
scheinen. Zahlreiche Menschen empfinden diese Entwicklung als Bedrohung, und viele von denen, die es sich leisten können, lassen sich in ihre Eigenheime private komfortable Bunker für den Ernstfall einbauen - wie immer der am Tag X aussehen mag. Doch was ist mit den Leuten, die ebenfalls Angst, aber weniger Geld haben?

Segismundo García II. ist der Erzähler in dem Roman Ein sicherer Ort des spanischen Schriftstellers Isaac Rosa und hat für sie die Geschäftsidee: Er bietet ihnen den Einbau eines "Sicheren Ortes" an. Dafür eignen sich mehr Gebäudeteile als man ahnt: Segismundo empfiehlt hierfür nicht nur mit Gerümpel vollgestellte Kellerabteile oder Garagen, sondern auch winzige, mit einer Holzklappe abgedeckte Erdlöcher. Wo ein Wille ist, sollte auch ein Weg sein.
Die Nachfrage ist da, aber um seine Idee erfolgreich umzusetzen, braucht Segismundo vor allem Geld. Geld, das er nicht hat und ihm die Bank nicht geben wird. Denn: Sein Vater, Segismundo "der Große", hatte sich mit Billig-Zahnkliniken einst von ganz unten nach ganz oben gearbeitet, die Firmendaten etwas aus dem Blick verloren und war wegen Betrugs zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden. Ein sozialer Absturz, von dem er sich nicht mehr erholen sollte und der auch das Leben seiner Frau und seines Sohnes aus der Bahn warf. Wer also "Segismundo García" in eine Suchmaschine eingibt, findet zunächst Artikel über die kriminellen Machenschaften des alten Mannes. Der Name ist verbrannt.

Vor seinem Haftantritt hatte Segismundo I. allerdings vorgesorgt und einen Teil des ergaunerten Geldes versteckt. Mittlerweile wurde er zwar entlassen und lebt in einer Wohnung in Madrid, aber seine Demenz hat ihn seine Vergangenheit vergessen lassen. Er wird von einer Pflegerin rund um die Uhr betreut und ist als alter Mann so freundlich, wie er es früher nie war. Hoffnung geben dem Sohn jedoch die spontanen Gänge des Vaters durch die Straßen der Hauptstadt: Segismundo II. hofft, dass sein Vater sich irgendwann an das Geldversteck erinnert und damit unwissentlich die Geldprobleme seines Sohnes und Enkels löst. Ein Peilsender am Handgelenk des Seniors verrät, welche Route er nimmt.

Segismundo III. ist noch Schüler und ebenso schlitzohrig wie Vater und Großvater. Als noch genug Geld da war, hat man ihn auf eine Privatschule geschickt, um ihm die Chance auf ein gutes und erfolgreiches Leben zu geben. Doch Segis, wie er von seinem Vater genannt wird, investiert seine Zeit lieber in Sportwetten und sammelt von seinen reichen Mitschülern Wetteinsätze ein. Aktuell befindet er sich jedoch wie sein Vater in Schwierigkeiten und braucht wie er dringend Geld.

Lesen?

Isaac Rosa greift sehr gekonnt die Ängste auf, die Teile der Gesellschaft umtreiben: Der Wunsch nach dem sozialen Aufstieg geht Hand in Hand mit der Angst vor dem Abstieg; die allgemeine Panikmache befördert die Sorge, es könnte zu Ereignissen kommen, die die Menschheit ins Elend stürzen oder gar auslöschen. Rette sich, wer kann.

Diesen Ängsten wird in diesem Roman entweder mit dem egoistischen Einbunkern oder mit dem Gegenteil, einer auf Zusammenhalt und Kooperation basierenden Gesellschaft, die Segismundo II. spöttisch als "Tonkrügler" bezeichnet, begegnet. Er erzählt seinem dementen Vater in der seltenen "Du-Form" seine Sicht auf dessen Leben und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund. Am Ende schimmert so etwas wie Versöhnlichkeit gegenüber dem alten Vater durch - oder ist es Resignation?

Ein sicherer Ort ist 2022 in der Originalausgabe unter dem Titel Lugar Seguro erschienen und wurde in der deutschen Übersetzung von Luis Ruby 2024 von der Verlagsbuchhandlung Liebeskind herausgebracht.
Der Roman kostet als gebundenes Buch 24 Euro und als E-Book 18,99 Euro.


Freitag, 3. Mai 2024

# 435 - Über die Vergänglichkeit

Die Romane von Maria Borrély sind die Wiederentdeckung in der französischen Literatur. Nach Mistral wurde nun auch der 1931 erschienene Roman La dernier feu für die deutschsprachige Leserschaft übersetzt und unter dem Titel Das letzte Feuer veröffentlicht.

Wie schon in Mistral hat Borrély auch dieses Buch in der Haute-Provence angesiedelt - einer idyllischen Berggegend, in der sie selbst lange bis zu ihrem Tod lebte. 

Das kleine Dorf Orpierre-d'Asse liegt oberhalb des Flusses Asse. Das Leben dort ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts beschwerlich: Die Böden sind so karg, dass die Menschen gerade so über die Runden kommen. Der Weg dorthin ist für Fuhrwerke sehr gefährlich; der Fuhrmann hat bei jeder Lieferung Angst, sein Karren könnte hinab ins Tal stürzen.
Die Sommer sind heiß und trocken, Teile des Ackerlandes werden immer wieder vom Riou-Sec weggespült. Die Dorfbewohner leiden so sehr, dass sie von den Nachbardörfern den Spitznamen "die Schmalhänse" bekommen haben. 
Die Kinder erben Steine anstatt Äcker und Weinberge.
Die Alten in Orpierre-d'Asse, die keine Kraft mehr für die Feldarbeit haben, leben fast alle vom Schnorren oder geben "geliehene" Lebensmittel nicht zurück.

Nur die alte Pélagie Arnaud tut das nicht. Auch ihr Leben ist von Entbehrungen geprägt, aber sie zieht sogar noch ihre Enkelin Berthe groß, nachdem deren Mutter gestorben ist. Pélagie ist seit langer Zeit verwitwet und nutzt alles, was die Natur, die Ziege und der dürftige Anbau hergeben, um zu überleben.

Das Leben der Menschen von Orpierre-d'Asse ändert sich drastisch, als die Asse eingedeicht wird. Sie wollen das neu entstandene fruchtbare Land nutzen und ziehen nach und nach ins Tal. Es entsteht ein neues Dorf. Nur Pélagie weigert sich, ihr Haus zu verlassen. Sie misstraut trotz der Eindeichung der rauschenden Asse und befürchtet, der Fluss könnte über seine Ufer treten und alles, was sich ihm in den Weg stellt, mit sich reißen. Als ihre Enkelin heiratet und ebenfalls in das neue Dorf zieht, lebt Pélagie allein zwischen verfallenen Gebäuden und den Erinnerungen an die Toten. In ihrem Haus brennt das letzte Feuer.

Lesen?

Maria Borrély hat einen besonderen Schreibstil, der die Schlichtheit und Kargheit des dörflichen Lebens in der entlegenen Gegend der Haute-Provence greifbar macht. Die Hoffnung der Bewohnerinnen und Bewohner auf ein besseres Leben ist so plastisch beschrieben, dass Pélagies Warnungen wie die einer ewig Gestrigen wirken. Der Roman steuert langsam auf ein nicht überraschendes Ende zu und erfüllt den letzten Herzenswunsch der alten Frau. Das letzte Feuer überzeugt durch seine berührende Schlichtheit.

Das Dorf Orpierre-d'Asse gibt es unter einem anderen Namen: In Bras d'Asse wurden Steindeiche gebaut, um die Bedrohung durch die Asse zu besiegen. 1913 wurde das alte Dorf vollständig aufgegeben. Zwanzig Familien gründeten 1979 eine private Initiative mit dem Zweck, das Vieux Bras d'Asse wieder aufzubauen. Vom heutigen Bras d'Asse führt ein Wanderweg hinauf ins alte Dorf.
(Quellen: 
Agence de Développement des Alpes de Haute Provence und Randomania.fr)

Das letzte Feuer ist 2024 im Kanon Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 20 Euro sowie als E-Book 17,99 Euro. Der Roman wurde übersetzt von Amelie Thoma.