Freitag, 5. Dezember 2025

# 492 - Was tun, wenn der Ernstfall eintritt?

Ferdinand Gehringer und Johannes Steger sind
Sicherheitsexperten mit unterschiedlichen Schwerpunkten: Gehringer ist sicherheitspolitischer Berater bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, Steger leitet beim "Tagesspiegel" die Redaktion des Background Cybersecurity. Der Titel ihres gemeinsamen Buches Deutschland im Ernstfall scheint sich in die lange Reihe der Sachbücher einzureihen, die seit der sich verschärfenden geopolitischen Lage auf den Markt gekommen sind. Bei vielen von ihnen möchte man sich instinktiv die Decke über den Kopf ziehen und denken: Macht euren Sch... doch allein. Aber diese Haltung bringt selbstverständlich niemanden weiter.

Solch eine fatalistische Stimmung vermittelt dieses Sachbuch nicht. Wie viele andere Politik- und Sicherheitsexperten gehen auch Gehringer und Steger nicht davon aus, dass sich der Ernstfall in Deutschland in erster Linie dadurch bemerkbar macht, dass uns Bomben auf die Häuser fallen. Sie legen ihren Fokus auf die sog. hybride Kriegsführung, die durch gezielte Sabotageakte darauf abzielt, unseren Alltag zu untergraben und die öffentliche Ordnung auszuhöhlen.

Die Autoren erläutern, welche Bedrohungen vor allem im Fokus der Bundeswehr und Sicherheitsbehörden sind und ständig beobachtet werden. Dazu gehören sowohl Desinformation als auch Cyberangriffe, das Ausspähen von kritischer Infrastruktur und Schlüsselindustrien sowie Sabotageakte. Der Fantasie sind hier fast keine Grenzen gesetzt. Die aktuellen Nachrichten legen nahe, dass das meiste davon längst stattfindet.

Aber sind Deutschland und Europa auf diese Bedrohungen eingerichtet? Dieser Frage gehen Ferdinand Gehringer und Johannes Steger nach, und was sie herausfinden, ist ambivalent. Der Gesetzgeber hat es in einigen Fällen bislang versäumt, bestehende Regelungen aus der Zeit des Kalten Krieges an die heutige Zeit anzupassen: Die Privatisierung der früheren Sondervermögen Bundespost und Bundesbahn, die Digitalisierung oder die hybriden Bedrohungen sind juristisch nicht oder nicht ausreichend umgesetzt worden. Viele der alten Gesetze gingen außerdem von der Annahme aus, dass Deutschland wegen der deutsch-deutschen Teilung ein Frontstaat ist und entsprechend verteidigt werden muss. 

Anhand von Szenarien erläutern Steger und Gehringer, was hinter den Begriffen "Spannungsfall",  "Verteidigungsfall", "Zustimmungsfall" und "Bündnisfall" steckt und welche Maßnahmen ergriffen werden, wenn einer von ihnen ausgerufen wird. Als Bürgerin und Bürger hat man eine eher nebulöse Vorstellung davon, was in so einer Situation passiert. Der Staat hat besondere Handlungsbefugnisse und greift auf Gesetze zurück, die bislang keine Rolle gespielt haben - und dann? 

Man erfährt, welche konkreten Gesetze zum Tragen kommen und welche Möglichkeiten das Parlament hat, das Land auf eine kritische Situation vorzubereiten.

Der Begriff, der sich durch das ganze Buch zieht, ist: Resilienz. Dabei geht es um den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt, der sich zum Beispiel in einem starken ehrenamtlichen Engagement ausdrückt. Zitat: "Denn eine widerstandsfähige Demokratie lebt von einer informierten und handlungsfähigen Gesellschaft. Im Ernstfall entscheidet sich die Resilienz eines Landes nicht nur in den politischen und militärischen Lagezentren, sondern im Alltag seiner Bürgerinnen und Bürger: in der Funktionsfähigkeit von Zivilschutz und Notfallversorgung, im Zugang zu verlässlichen Informationen, im Vertrauen in staatliches Handeln - und in der psychologischen Widerstandskraft der Menschen."

Lesen?

Deutschland im Ernstfall stellt die Fragen, denen die Politik zu oft ausweicht: Wie würde sich der Ernstfall auf staatliches Handeln auswirken? Wie auf die Demokratie? Wie auf unseren Alltag? Die Antworten darauf sind zum Teil unpopulär, geeignete vorbeugende Maßnahmen kosten viel Geld. Beides lädt politische Entscheider nicht unbedingt zur Offenheit ein - obwohl das nötig wäre.

Deutschland im Ernstfall ist keine Panikmache und keine Anleitung für Prepper. Mit dem Buch möchten die Autoren darüber aufklären, was im Ernstfall passiert und wie wir selbst etwas beitragen können, um die Situation so gut wie möglich zu bewältigen. Das ist ihnen gelungen. 

Deutschland im Ernstfall ist 2025 bei Hoffmann & Campe erschienen. Das Buch kostet als Paperback 18 Euro sowie als E-Book 14,99 Euro.