Samstag, 29. Januar 2022

# 334 - Willkommen im Jahr 2030

Der Wirtschaftswissenschaftler und Soziologe Mauro F. Guillén ist Dekan der Cambridge Judge Business School und widmet sich als Experte für globale Markttrends schwerpunktmäßig den Themen Globalisierung sowie dem Aufstieg der multinationalen Unternehmen in Schwellenländern. Mit seinem aktuellen Buch 2030: Die Welt von morgen wirft er einen Blick in eine Zukunft, die nicht mehr weit entfernt ist.

Wovon hängt die globale Entwicklung im Wesentlichen ab? Guillén stützt seinen Blick nach vorn auf Daten zur Bevölkerungsentwicklung (Wo wird die Zahl der Geburten voraussichtlich zurückgehen und wo wird sie ansteigen?), macht sich über die Bevölkerungsgruppe mit der größten Kaufkraft Gedanken und beobachtet, wie sich die Mittelschicht - und damit die Verbraucherkaufkraft - global sehr unterschiedlich entwickelt.

Der Wissenschaftler geht außerdem davon aus, dass es 2030 eine bisher nie dagewesene Situation geben wird: Mehr als die Hälfte des weltweiten Vermögens wird sich in der Hand von Frauen befinden. Guillén rechnet deswegen damit, dass mehr Geld in die Gesundheitsvorsorge, die Bildung und in Versicherungen fließen wird, weil dies die Bereiche sind, die von Frauen traditionell am ehesten finanziell unterstützt werden. Auch auf die Finanzmärkte wird sich diese Verlagerung auswirken, weil die meisten Frauen nicht zu riskanten Investitionen neigen. Auf Frauen wartet eine weitere gute Nachricht: Durch den demographischen Wandel stehen immer weniger qualifizierte Arbeitskräfte zur Verfügung, sodass die Wirtschaft immer stärker auf entsprechend ausgebildete Frauen angewiesen ist. In Japan lässt sich dieser Trend bereits beobachten.

Auch der Klimawandel treibt Mauro Guillén um. Auf Städte entfallen 75 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs und 80 Prozent der globalen Kohlendioxid-Emissionen. Außerdem heizen sie sich wegen ihrer starken Bodenversiegelung schnell auf und befeuern so die Erderwärmung. Der Wissenschaftler schlägt Wege vor, die das Leben in Städten umweltfreundlicher und nachhaltiger werden lassen. Ein Umdenken und Verhaltensänderungen sind dringend nötig: 80 Prozent der Menschen werden von steigenden Meeresspiegeln bedroht sein. Wohlgemerkt: 2030.

Mauro Guillén spinnt den Faden weiter und beschreibt den künftigen Umgang mit Konsum ("Sharing Economy"), den technischen Fortschritt (effiziente WC-Lösungen und die Ausweitung des 3D-Drucks) sowie den Umgang mit Kryptowährungen.

Lesen?

Mauro F. Guillén benennt in seinen Prognosen die zentralen Probleme, die die Weltgemeinschaft beschäftigen. Was ihn von zahlreichen anderen Wirtschaftswissenschaftlern unterscheidet, ist seine Betrachtung von Wechselwirkungen: Themenfelder werden nicht isoliert betrachtet, sondern miteinander in Verbindung gebracht. Leseempfehlung!

2030: Die Welt von morgen ist 2021 im Verlag Hoffmann & Campe erschienen und kostet als gebundenes Buch 24 Euro sowie als E-Book 14,99 Euro.

Freitag, 21. Januar 2022

# 333 - Wachsen in Deutschland lebensuntüchtige Kinder heran?

Der Psychologe und Generationenforscher Rüdiger
Maas hat sich in seinem neuen Buch Generation lebensunfähig der Frage gewidmet, was da gerade mit der sog. Generation Alpha (
α) passiert. Damit ist die Generation der zwischen 2010 und 2025 geborenen Kinder gemeint.

Das von Maas vor vier Jahren gegründete Institut für Generationenforschung hat im September 2021 die "Generation Alpha Studie" veröffentlicht, die die Grundlage für Maas' Buch ist. Dafür wurden ein Jahr lang mehr als 1.200 Pädagoginnen und Pädagogen nach ihren Einschätzungen hinsichtlich der von ihnen betreuten Kinder zwischen 0 und zehn Jahren befragt. Deren Bewertungen umfassten 22.500 Kinder. Außerdem wurden mehr als 650 Eltern zu ihrem Erziehungsverhalten interviewt.
Die Schwerpunkte der Befragung lagen auf der Motorik, der Sprache, dem Sozialverhalten und dem Medienkonsum dieser Altersgruppe.

Die Studienergebnisse arbeitet Maas in seinem Buch für eine breite Leserschaft auf, indem er beispielhaft zwei fiktive Familien entwirft und deren Alltag nachvollzieht. Anhand dieser Schilderung wird deutlich, worum es ihm vor allem geht: Der sich bereits bei kleinen Kindern zeigende Medienkonsum mithilfe von Smartphones oder Tablets hat schädliche Folgen für deren Entwicklung, die bis ins Erwachsenenalter reichen und sowohl die Familien als auch die Gesellschaft belasten werden. Sein Fazit: Jedes vierte Kind ist unglücklich.

Lesen?

Das, was Rüdiger Maas an mehreren Stellen beschreibt - die Diskrepanz zwischen der Überbehütung der Kinder und der Ablenkung sowohl der Eltern als auch ihrer Kinder durch Smartphone & Co. - lässt sich im Alltag ständig beobachten. Da werden zum Beispiel kerngesunde Kinder mit dem Auto bis vor das Tor der Grundschule gebracht, aber wenn Eltern mittags ihre Kinder abholen und mit ihnen zum Pkw gehen, sehen sie ständig auf ihr Handy. 

Maas' Buch hat jedoch einen so durchgehend alarmierenden Unterton, dass ich mich frage, ob das wirklich nötig ist. Fachleute haben Teile des Studiendesigns kritisiert und man kann sich durchaus daran stören, dass es um eine Generation geht, die zum Teil erst noch geboren wird. Generation lebensunfähig macht jedoch deutlich darauf aufmerksam, was in der Kindheit der Generation Alpha schiefläuft und was getan werden kann (und sollte), damit die Kinder dieser Generation zu lebenstüchtigen Erwachsenen werden.

Generation lebensunfähig ist 2021 im Yes Verlag erschienen und kostet als gebundenes Buch 19,99 Euro sowie als Taschenbuch 16,99 Euro.



Freitag, 14. Januar 2022

# 322 - Geht es "nur" um Geld?

Wir sind im Jahr 2022. 60 Prozent der Frauen
überlassen Geldangelegenheiten ihren Männern, drei Viertel von ihnen bereuen es später - wenn ihr Mann verstirbt oder sich scheiden lassen will. Das ist die Realität: Zu viele Frauen begeben sich ohne Not in eine finanzielle Abhängigkeit, obwohl die Zeiten, in denen sie nur mit der Erlaubnis ihres Gatten Geldgeschäfte tätigen durften, seit 1958 vorbei sind. 

Das neueste Buch der Volkswirtin und Finanzjournalistin Birgit Wetjen Just Money ist als Aufruf insbesondere an junge Frauen zu verstehen, sich selbst um ihre Finanzen zu kümmern und die Verantwortung für ihren Vermögensaufbau und ihre Altersvorsorge aktiv in die Hand zu nehmen.

Bigit Wetjen ist etwa so alt wie ich (Mitte 50), und beim Lesen ihres Buches habe ich oft bestätigend genickt, wenn sie schilderte, wie sie in ihrer Jugend den Umgang der damaligen Frauen mit Geld erlebt hat. Der Mann war der Verdiener, viele Frauen bekamen Haushaltsgeld zugeteilt und mussten um Geld bitten, wenn sie etwas nur für sich kaufen wollten. Frauen aus der Generation unserer Eltern hatten die in der NS-Zeit beschworene Rollenteilung in den Familien nahtlos in die Nachkriegszeit hinübergerettet und vertraten reflexhaft die Meinung, dass Männer der kompetentere Teil der Menschheit sind - ohne allerdings entsprechende Erfahrungen gemacht zu haben.

Wetjens Buch kann dazu beitragen, solche Automatismen, die es trotz der Fortschritte bei der Gleichberechtigung immer noch gibt, zu durchbrechen. In fünf Kapiteln beschreibt die Autorin, in welche Fallen Frauen (immer noch) laufen; ganz vorn ist die "Romantikfalle", die häufig bei der Hochzeit, aber spätestens mit der Geburt des ersten Kindes zuschnappt. Die Finanzexpertin hält ihren Leserinnen den Spiegel vor und gibt sinnvolle Tipps, wie Frau ihr Leben selbst in die Hand nimmt. Da geht es um das Erkennen und Auflösen von Glaubenssätzen, das Vertreten des eigenen Standpunkts, die Planung der eigenen beruflichen Laufbahn, ohne das eigene Licht unter den Scheffel zu stellen und den Abschied von der "Rabenmutter" - einem Begriff, den es laut Wetjen nur in der deutschen Sprache gibt.

Zu vielen Inhalten bietet Just Money Checklisten oder Übersichten an. Das Buch eignet sich auch für Leserinnen, die sich bislang nicht um ihre eigenen Finanzen gekümmert haben und zeigt, dass der Aufbau eines soliden Vermögens keine Raketenwissenschaft ist, sondern schlicht und einfach nötig - damit man nicht zu den Frauen gehört, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind, um irgendwie über die Runden zu kommen. Es wird sehr deutlich, dass finanzielle Sicherheit gleichbedeutend mit Unabhängigkeit ist. Darauf sollte keine Frau verzichten.

Die Zielgruppe des Buches sind wie schon erwähnt junge Frauen, die am Beginn ihrer Berufstätigkeit stehen und/oder eine Familie gründen wollen. Von vielem, worüber Wetjen schreibt, profitieren jedoch auch Frauen, die ihren Beruf schon eine Weile ausüben. Darum: Leseempfehlung für die meisten Frauen!

Just Money ist 2021 im Goldegg Verlag erschienen und kostet als Klappenbroschur 18 Euro.


Nachtrag: Hier könnt ihr Birgit Wetjen in einem Interview für das Börsenmagazin Der Aktionär aus dem Jahr 2019 sehen. Frauen und Finanzen beschäftigen sie schon länger.

Freitag, 7. Januar 2022

# 321 - Wo die Politik mauert und die Gesellschaft zu leise ist

In ihrem Buch Femizide - Frauenmorde in
Deutschland
beschäftigen sich die Journalistinnen Julia Cruschwitz und Carolin Haentjes mit einem Thema, das bei uns nur langsam mehr Aufmerksamkeit erhält.

Es geht um Femizide, also Morde an Frauen, die vor dem Hintergrund eines patriarchalischen Weltbilds von Männern begangen werden, die Frauen innerhalb einer partnerschaftlichen Beziehung als ihr Eigentum betrachten. 

Der Mord an einer jungen Frau im Leipziger Auwald ist der Einstieg in das Buch und der Anstoß für die beiden Autorinnen, umfangreiche Recherchen zu beginnen. Im Frühling 2020 wurde eine junge Mutter von ihrem Ex-Partner mit einem Hammer erschlagen, als sie mit ihrem drei Monate alten Baby spazieren ging. In der Presse wurde die Tat als Beziehungstat bezeichnet und zum Teil auch rassistisch ausgeschlachtet. Nur an wenigen Stellen wurde die Ermordung der jungen Mutter als das bezeichnet, was sie war: ein Femizid.

Cruschwitz und Haentjes haben sich mit Expertinnen und Experten unterhalten, die sich beruflich mit der Thematik befassen. In Interviews kommen auch Frauen zu Wort, die einen solchen Angriff ihres (Ex-)Partners überlebt haben und mit den Folgen zurechtkommen müssen. An diesem Punkt machen die Autorinnen deutlich, dass es in Deutschland ein allenfalls lückenhaftes Unterstützungssystem gibt, das sich nicht nur von einem Bundesland zum anderen, sondern sogar innerhalb der verschiedenen Landkreise unterscheiden kann. Wie gut die Hilfe nach einem solchen Übergriff ausfällt, ist oft reine Glückssache.

Wer vor der Lektüre von Femizide - Frauenmorde in Deutschland davon ausging, dass es so etwas wie ein Schutzsystem für gefährdete Frauen gibt, wird eines Besseren belehrt: Die Polizeiverwaltungen der Länder befinden sich mehrheitlich noch in der "Findungsphase" und überlegen, welche Strategien sie ihren Beamten an die Hand geben könnten, wenn es um die Anzeichen eines sich anbahnenden Femizids oder das Verhalten am Tatort geht.

Cruschwitz und Haentjes belassen es jedoch nicht dabei, sich nur die Situation der Opfer und Täter anzusehen. Da in zahlreichen Fällen eines (versuchten oder vollendeten) Femizids auch Kinder zu den Betroffenen gehören, die zum Beispiel Augenzeugen der Ermordung ihrer Mutter werden oder plötzlich ihr Zuhause verlieren, wird auch untersucht, wie gut sie von staatlichen Stellen sowie der Rechtsprechung geschützt und unterstützt werden. Auch hier sollte man sich keinen Illusionen hingeben.

Fazit: Der erste wichtige Schritt, um Femiziden vorzubeugen ist, sie klar zu benennen. Die dpa hat im November 2019 angekündigt, Begriffe wie "Familientragödie" oder "Beziehungsdrama" nicht mehr zu verwenden, wenn es um Gewaltverbrechen in Familien oder partnerschaftlichen Beziehungen geht.

Femizide - Frauenmorde in Deutschland ist 2021 im Hirzel Verlag erschienen und kostet 18 Euro.


Nachtrag: In der Bücherkiste habe ich im Oktober 2021 über das Buch Alle drei Tage geschrieben. Es geht dort ebenfalls um Femizide, sodass es zu inhaltlichen Überschneidungen der beiden Titel kommt. Wer sich allerdings umfassend informieren möchte, sollte beide Bücher lesen. Ich kann nicht sagen, dass ich eines der Bücher dem anderen vorziehen würde.