Donnerstag, 23. Juni 2022

# 353 - Vom ersten bis zum letzten Atemzug: Rechtsfragen, die das ganze Leben betreffen

Christian Solmecke ist vielen aus dem Internet bekannt: Bei YouTube erklärt der Rechtsanwalt seit fast zwölf Jahren in seinem Kanal Kanzlei WBS Rechtliches aus dem Alltag oder der aktuellen öffentlichen Diskussion.

Nun hat sich Solmecke entschlossen, die wichtigsten juristischen Fragen, die sich vielen von uns stellen, in einem Buch zusammenzustellen: Der Taschenanwalt. In 16 Kapiteln erklärt der Anwalt, ob unser Gefühl dafür, was richtig und gerecht ist, auch dem geltenden Recht entspricht. Ob es um die Geburt, die Familiengründung, den Urlaub, das Berufsleben, die Freizeit und nicht zuletzt auch den Tod geht: Alles wird so erklärt, dass es auch Menschen, die mit der Juristerei nichts am Hut haben, verstehen. Auch das Verhalten im Internet wird beleuchtet - ich glaube, so mancher ist sich nicht bewusst, dass er hier oft haarscharf an der Illegalität vorbeischrammt.

Jedes Kapitel wird von einer Einführung und einer Illustration des Cartoonisten Dirk Meissner eingeleitet.

Lesen?

Der Taschenanwalt ist auf jeden Fall eine Leseempfehlung: Christian Solmecke löst so einige Mythen und Gerüchte aus dem deutschen Recht auf, an die wir bislang fest geglaubt haben. Das Buch ist eine sehr erhellende Lektüre für (fast) alle Lebenslagen.

Der Taschenanwalt ist 2022 bei Yes Publishing erschienen und kostet als Taschenbuch 14,99 Euro und als E-Book 11,99 Euro.


Freitag, 17. Juni 2022

# 352 - 800 Jahre kriminelles Treiben in Mecklenburg und Vorpommern in einem Buch

Bert Lingnau hat es wieder getan: Vor vier Jahren hat er mit Rübe ab! den ersten Band mit tatsächlich geschehenen Kriminalfällen zwischen der Lübecker Bucht und Usedom herausgebracht, mit Singende Barsche folgt nun die Fortsetzung.

62 echte Kriminalfälle hat Lingnau zusammengetragen, die sich zwischen 1185 und 1985 ereignet haben. Auf der Grundlage umfangreicher Recherchen in Archiven, Büchern, Zeitungen und Websites schildert der Journalist lustige, aber auch schaurige Taten. Damit klar ist, in welche Kategorie jede Missetat fällt, hat Lingnau jede einzelne Schilderung mit verschiedenfarbigen Barschen gekennzeichnet. Wer sich nicht mit zu üblen Taten belasten will, kann die Fälle, die mit einem schwarzen Fisch versehen sind, einfach überschlagen.

Bert Lingnau erzählt zum Beispiel von einer 1983 gescheiterten "Republikflucht" aus der DDR und ihren Begleitumständen, einem Schmied, der 1885 seine herrische Schwiegermutter erdrosselte oder einem Fall, der sich 1985 zugetragen und diplomatische Verwicklungen ausgelöst hat: Ein US-Offizier wurde in der Nähe von Ludwigslust von einem sowjetischen Wachposten angeschossen, der dessen Fahrer daran hinderte, seinem Vorgesetzten Erste Hilfe zu leisten. Der Offizier starb an seiner Verletzung.

Das Buch greift auch Themen auf, die einem sehr bekannt vorkommen: Da geht es um Denunzianten, die ihre Mitmenschen der Hexerei bezichtigten, um sie loszuwerden; ein immer wiederkehrendes Tatmotiv - daran hat sich bis heute nichts geändert - ist die Gier, und viele kriminelle Übergriffe passierten im Vollrausch. Haben sich Kriminelle und ihre Motive im Laufe der letzten 800 Jahre denn gar nicht geändert? Oft kann man tatsächlich diesen Eindruck haben: Im Mittelalter flogen Diebe, Betrüger und Mörder häufig auf, weil sie ihre Taten vorher nicht geplant hatten oder der Plan diesen Namen nicht verdiente. Andere, insbesondere korrupte Amtsträger, hielten sich für cleverer, als sie waren. Und auch die Verfolgung der Juden ist ein Thema, das den Rahmen für Kriminalfälle bildet.

Einen deutlichen Unterschied zwischen dem Mittelalter und unserer Zeit gibt es allerdings in der Art und Weise, wie mit Verbrechen umgegangen wurde: Damals genügte ein Hinweis oder ein bloßer Anschein einer Straftat, um festgenommen und vor Gericht gestellt zu werden. Urteile wurden auch dann gesprochen, wenn die Beweislage so dünn wie ein Spinnennetz war. 'In dubio pro reo' war der mittelalterlichen Rechtsprechung fremd, es galt vielmehr der Rachegedanke. Dazu gehörte auch, dass der Henker jede Menge zu tun bekam - ein todsicherer Beruf also.

Auch Singende Barsche ist wie Rübe ab! in vier regionale Kapitel aufgeteilt und enthält zahlreiche von Bert Lingnau selbst gemachte Fotos, die die Landschaften zeigen, in denen sich "de Moorden" (plattdeutsch für Morde) und andere Missetaten ereignet haben. Im letzten Kapitel kommen Niederdeutsch-Fans auf ihre Kosten: Den Personen werden plattdeutsche Dialoge in den Mund gelegt, wie sie früher höchstwahrscheinlich stattgefunden haben.

Lesen?

Wer Rübe ab! mochte, wird auch Singende Barsche gern lesen. Viele Kriminalfälle sind kurios, oft muss man schmunzeln. Das Buch kann man auch zwischendurch zur Hand nehmen, den jeder Fall beschränkt sich auf drei Seiten. Die Übersichtskarte am Ende des Buches, aus der die einzelnen Tatorte hervorgehen, macht den Titel "rund".

Singende Barsche ist 2022 im Klatschmohn Verlag erschienen und kostet als Taschenbuch 11,80 Euro.


Mittwoch, 15. Juni 2022

Konfetti! Die Bücherkiste wird sieben Jahre alt

Vor genau sieben Jahren, am 15. Juni 2015, habe ich mir einen Ruck gegeben und einfach losgelegt. Vom Bloggen hatte ich keinen Schimmer, und eine ganze Weile waren die Rezensionen so ausführlich, dass man sich nach dem Lesen den Kauf des vorgestellten Buches im Grunde schenken konnte.

Viele Buchblogger haben einen Schwerpunkt, nach dem sich ihre Titelauswahl richtet. Kochbücher, Reisebücher, Fotobände oder Kinderbücher: Die Auswahl ist riesengroß. Ich hatte damals auch überlegt, mich auf ein Genre zu beschränken. Aber mein Ehrgeiz war, jede Woche ein Buch vorzustellen. Das hat auch meistens geklappt, aber allein die Vorstellung, ständig z. B. Krimis zu lesen, weil ich nun mal einen Krimi-Blog habe, hat mich abgeschreckt.

Meine Interessen sind damals breit gefächert gewesen und sind es noch. Das spiegelt sich in meiner Bücherkiste wider und wird auch in Zukunft so bleiben.

Sieben Jahre erscheinen lang, wenn man sie noch vor sich hat. In der Rückschau sind sie fast wie im Flug vergangen. Über 350 Bücher habe ich euch vorgestellt, die ihr alle in der Cover-Parade (Reiter oben) auf einen Blick habt. Werde ich in sieben Jahren - 2029 - immer noch vor dem Laptop sitzen und Rezensionen über Bücher schreiben, die mich interessiert haben? Okay, es waren auch einige dabei, die mir nicht gefallen haben. Aber in die meisten Titel habe ich mich gern vertieft.

Ich bedanke mich für eure Treue und hoffe, dass ihr auch in Zukunft immer mal wieder in der Bücherkiste vorbeischaut. Bis dann! 

Ach, ja: Das hier ist übrigens der allererste Blogtext.


via GIFER

Photo credit: Eva the Weaver on Visualhunt.com

Samstag, 11. Juni 2022

# 351 - Lass dich mit Achtsamkeit durchs Leben tragen, damit du es behältst

Björn Diemel könnte ein glücklicher und zufriedener
Mensch sein: Er verdient als angestellter Anwalt in einer Gemeinschaftskanzlei viel Geld, ist verheiratet und hat eine süße zweieinhalbjährige Tochter namens Emily, an der er sehr hängt. Doch die Hauptperson in Karsten Dusses Kriminalkomödie Achtsam morden hat gerade keinen guten Lauf: Seine Frau Katharina beklagt sich über seine mangelnde Aufmerksamkeit ihr und besonders Emily gegenüber und Björn ist zwischenzeitlich klar geworden, dass er niemals seinen Traum, Kanzleipartner zu werden, erreichen wird. Der Grund: Er hat mit seinem Mandanten Dragan zwar eine hochlukrative und stetig sprudelnde Einnahmequelle, aber den Schwerkriminellen zu vertreten wird intern als "Bäh-Mandat" bezeichnet. Man freut sich über den nie versiegenden Honorarstrom, will sich aber offiziell nicht die Finger schmutzig machen. Klar, dass sich bei einem Mann wie Dragan die anwaltliche Vertretung nicht auf gelegentliche Auftritte bei der Polizei und vor Gericht beschränkt. Björn schrammt sehr oft hart am Rand der Legalität entlang.

Um eventuell die Ehe, aber auf jeden Fall die Vater-Tochter-Beziehung zu Emily zu retten, wird Björn von Katharina zu einem Achtsamkeitstraining gezwungen. Zwölf Wochen lang soll sich der gestresste Jurist auf einen Trainer einlassen, der ihm nach und nach zeigt, wie man sein Leben entschleunigt und wieder mit sich ins Reine kommt. Das Konzept der Zeitinseln, die man nur für sich und seine eigenen Bedürfnisse reserviert, gefällt Björn. Doch sein Mandant Dragan kann mit so einem Gedöns nichts anfangen: In einer spektakulären Aktion hat der Verbrecher auf einem Autobahnparkplatz den engsten Vertrauten eines Clanchefs gemeuchelt, mit dem er seit Jahren verfeindet ist. Dummerweise wurde die Tat von fünfzig Schulkindern gefilmt, die in einem Reisebus saßen, der gerade auf den Parkplatz einbog... 

Dragan verlangt von Björn, ihm beim Untertauchen zu helfen. Dass Björn gerade im Begriff war, mit Emily in ein gemeinsames Wochenende an einem See aufzubrechen, interessiert den Kriminellen nicht. Dank des Achtsamkeitstrainings mitsamt des zugehörigen Trainingsbuches gelingt es Björn, zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Er verbringt eine schöne Zeit mit seiner Tochter und findet für Dragan eine "Lösung". Diese Art der "Lösung" zieht jedoch weitere Probleme nach sich, sodass sich Björn bald in Lebensgefahr befindet. Aber viele Schwierigkeiten lassen sich bewältigen, wenn man die Achtsamkeit nicht aus den Augen verliert.

Lesen?

Karsten Dusse ist Rechtsanwalt, hat sich aber auf den unblutigen Bereich des Miet- und Eigentumsrechts spezialisiert. Den häufig strapazierten Begriff der Achtsamkeit hat er mit sehr viel Humor für sein Buch genutzt: Sein Protagonist Björn Diemel schafft es, alle Schwierigkeiten, die zunächst unlösbar erscheinen - vom fehlenden Kindergartenplatz für Emily bis zur "Ruhigstellung" von Schwerkriminellen, die ihn bedrohen - mit kühlem Kopf und gezieltem Atmen sowie der strikten Beachtung aller Achtsamkeitsregeln in den Griff zu kriegen. 

Dusse gelingt es erfreulicherweise, auch die blutigsten und ekelhaftesten Szenen nicht in effektheischerischen Splatter abgleiten zu lassen, sodass man sich tatsächlich auch dann noch amüsieren kann, wenn buchstäblich die Köpfe rollen.

Achtsam morden ist kein Achtsamkeitsratgeber, sondern Unterhaltung. Unter diesem Vorzeichen sollten auch die Passagen aus dem fiktiven Buch des Achtsamkeitstrainers gelesen werden.

Das Buch ist 2019 im Heyne Verlag erschienen und kostet sowohl als Taschenbuch als auch E-Book 10,99 Euro sowie als Hörbuch 11,99 Euro. Das Hörbuch wurde von Matthias Matschke gelesen und erhielt 2020 den Deutschen Hörbuchpreis.

Montag, 6. Juni 2022

# 350 - Butter, Tote und gesellschaftliche Normen - alles in einem Roman

Manako Kajii ist dick, selbstsüchtig und wird
beschuldigt, drei Männer getötet zu haben. Die Tötungsart ist höchst merkwürdig: Die Frau, die mithilfe von Internet-Partnerportalen ihre späteren Partner kennenlernte, kocht leidenschaftlich gern. Dabei spart sie nicht an Kalorien: Butter gehört zu ihren liebsten Zutaten, und das reichhaltige fettige Essen soll den Männern den Garaus gemacht haben. Zumindest indirekt. Ganz direkt hat sie vom Vermögen der Verblichenen profitiert.

Rika Machida ist auf den ersten Blick das genaue Gegenteil: Die Journalistin achtet penibel darauf, sehr schlank zu bleiben, hat einen Freund, der wie sie mit seiner Arbeit sehr eingespannt ist, und will beruflich weiterkommen. Die beiden Frauen treffen im Roman Butter der japanischen Schriftstellerin Asako Yuzuki aufeinander, und was als Recherche für eine mehrteilige Interview-Serie über die mutmaßliche Mörderin Manako angelegt ist, entwickelt sich nach und nach in eine andere unerwartete Richtung.

Rikas Versuche, die Angeklagte im Untersuchungsgefängnis zu befragen, scheitern zunächst. Erst als die Journalistin auf Manakos Bedingung eingeht, deren Gerichte nachzukochen, kommt es zu mehreren Begegnungen im Besucherraum. Rikas anfängliche Abneigung gegen die Frau, der es egal zu sein scheint, was andere über ihre Figur und ihren Lebensstil denken, weicht einer gewissen Faszination. Sie wird von Manako nicht nur dazu gebracht, ungewohntes Essen zuzubereiten und zu verzehren, sondern sie lässt sich von der Gefangenen auch an Orte schicken, die deren Lebensweg geprägt haben. Rika erkennt erst spät, dass sie manipuliert wird. Während ihrer Recherche wird sie jedoch auch mit einem traumatischen Ereignis aus ihrer Kindheit konfrontiert, dem sie sich erst jetzt stellt.

Butter erzählt nicht nur die Geschichte einer Mörderin, sondern Asako Yuzuki nutzt die Figur der Rika sowie ihrer besten Freundin Reiko dazu, deutliche Kritik am japanischen Gesellschaftsmodell zu üben: Von Frauen wird nicht nur erwartet, dass sie schlank und gepflegt sind, sondern sich dem immensen beruflichen Leistungsdruck ebenso beugen wie Männer - sogar, wenn sie eine Familie haben. Sobald sie verheiratet sind, sollten sie sich allerdings beruflich im Hintergrund halten; wenn das erste Kind geboren ist, wird das Leben der Frauen im Idealfall allein von der Familie bestimmt. Das scheint tatsächlich nötig zu sein, denn Männer werden in diesem Roman als derart unselbständig beschrieben, dass sie sich nicht selbst eine Mahlzeit zubereiten können und ohne eine Frau an ihrer Seite verwahrlosen. Dass es sich dabei auch um moralische Verwahrlosung handeln kann, schildert Yuzuki mit einer Episode aus Manakos Kindheit, in der ein Kinderschänder im Mittelpunkt steht.

Wie nebenbei lernt man nicht nur, wie bestimmte Gerichte zubereitet werden, sondern auch, wie sich die Menschen in Japan im Winter in ihren Wohnungen vor der Kälte schützen. Tipp: Eine Heizung, wie wir sie kennen, ist dort nicht üblich.

"Enjokōsai" ist ein Phänomen, das uns auch hier nicht fremd ist. Das Wort bedeutet "Aushilfsbegleitung" und meint, dass sich Oberstufenschülerinnen von älteren wohlhabenden Männern aushalten lassen - sehr oft spielt dabei der Sex eine große Rolle. Enjokōsai ist zwar mittlerweile verboten, wird aber gesellschaftlich toleriert. Es spielt in der Handlung des Romans zwar nur eine untergeordnete Rolle, wirft aber ein weiteres Schlaglicht auf die japanischen Moralvorstellungen.

Lesen?

Wer japanische Literatur kennenlernen möchte oder sich bereits dafür begeistert, sollte Butter unbedingt lesen. Es hilft, die wiederkehrenden japanischen Ausdrücke nachzuschlagen, um sich besser in die Handlung hineinzuversetzen. Ich weiß jetzt beispielsweise, worum es sich bei einem Kotatsu handelt.

Butter ist 2022 im Blumenbar Verlag erschienen und kostet als gebundenes Buch 23 Euro.