Als den "Sohn von Kohl" betrachten ihn zunächst die
meisten Menschen, die ihn kennenlernen: Walter Kohl ist der ältere Sohn des vor fast zwei Jahren verstorbenen früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl. Walter Kohl hat bereits 2011 in seinem Buch Leben oder gelebt werden über das Verhältnis zwischen ihm und seinem Vater geschrieben.
Auf rund 270 Seiten schreibt er, wie er schon unter den Prioritäten seines Vaters gelitten hattte, als dieser noch ein Lokalpolitiker war. Für Helmut Kohl war die wahre Heimat seine Partei, die CDU. Die Familie war der Hafen, in den er zwischen den Terminen einlief.
Hannelore Kohl war die Managerin der gesamten Familie, sie regelte alles selbstständig und hielt die Unbilden eines normalen Lebens von ihrem Mann fern. Sogar den Job als Wahlkampfmanagerin füllte sie aus. Helmut Kohl nutzte den Freiraum, um seine eigene Karriere voranzutreiben. Wie man weiß, mit Erfolg. Er ignorierte die berechtigte Angst seiner Familie, Opfer eines Anschlags zu werden und wischte auch die Versuche seines Sohnes Walter, mit ihm über die alltäglichen Diffamierungen zu sprechen, die ihm schon als Kind wegen der von seinem Vater getroffenen Entscheidungen entgegenschlugen, mit dem Satz "Du musst stehen!" vom Tisch. Das Signal hinter diesen wenigen Worten war eindeutig: Helmut Kohl hatte nicht vor, seinem Sohn beizustehen und zu ihm zu halten. Dem Sohn wurde mit diesem Ausspruch deutlich, dass er alles, was ihn belastete, ohne die Unterstützung seines Vaters aushalten musste.
Walter Kohl spürte immer wieder sehr genau, dass er nicht danach beurteilt wurde, was oder wie er war, sondern nur nach dem, was man ihm wegen seines Vaters zuschrieb. Der einzige Anker war seine Mutter Hannelore Kohl. Sie spürte, wenn es einem ihrer Söhne nicht gutging und versuchte, immer für sie da zu sein. Gegen ihren Mann konnte sie jedoch nichts ausrichten. Walter Kohl beschreibt, dass sie ihm auch dann nicht widersprach, wenn sie eine seiner Reaktionen oder Entscheidungen für falsch hielt.
Ein einschneidendes Erlebnis im Leben Walter Kohls war ein Gespräch mit hohen Polizeibeamten, das 1976 stattgefunden hat. Er war damals 13 Jahre alt und wurde im Beisein seiner Mutter darüber in Kenntnis gesetzt, dass im Falle seiner Entführung ein maximales Lösegeld gezahlt werden würde. Sollten die Täter mehr als fünf Millionen Mark für seine Auslieferung fordern, würde die Bundesrepublik Deutschland nicht zahlen. Jedem im Raum war klar, was dann mit der Geisel Walter Kohl passieren würde. Und Walter Kohl war klar, dass diese Vereinbarung zuvor mit seinen Eltern besprochen worden war und diese sie akzeptiert hatten. In dem Kind Kohl setzte sich das Gefühl fest, nicht wichtig zu sein und keinen Wert zu haben.
Walter Kohl hat sich viele Jahre in einer Opferrolle gesehen. Ein Leben im Opferland hat er das selbst genannt. Erst nach langer Zeit verstand er, dass er selbst es war, der sich in diese Position begeben hatte. Es lag an ihm, sich zu ändern und zu versuchen, seinem Vater gegenüber den Weg der Versöhnung einzuschlagen. Dass der Vater die Hand zur Versöhnung ausschlug und seinem Sohn die Vermutung bestätigte, mit ihm nichts mehr zu tun haben zu wollen, ist eine tragische Facette in dieser schwierigen Beziehung.
Tragisch für den jungen Walter ist auch, dass er zufällig dem damaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer begegnete und dieser ein offenes Ohr für ihn hatte. Eine großartige und bewegende Erfahrung, dass da jemand, der so viel älter war, auf Augenhöhe mit ihm sprach. Doch kurz darauf wurde Schleyer von der RAF entführt und ermordet.
Das Verhältnis zwischen Helmut und Walter Kohl ist eine Geschichte der Entfremdung und des stetigen gegenseitigen Unverständnisses. Helmut Kohl schaffte es 2001 nicht einmal, selbst zum Telefonhörer zu greifen und seinem Sohn die traurige Nachricht vom Selbstmord der Mutter mitzuteilen. Statt dessen übernahm Kohls Büroleiterin Juliane Weber diese sehr persönliche Aufgabe.
Walter Kohl schreibt, er habe mit dem Thema "Sohn vom Kohl" abgeschlossen und losgelassen. Er schreibt auch, dass er sich auf einem guten Weg sieht. Nach allem, was in seinem Buch über den Vater und Politiker Helmut Kohl zu lesen war, bleiben auch nach der letzten Seite Zweifel.
2013 erschien Walter Kohls zweites Buch Leben, was du fühlst. Auch hier beschäftigt er sich mit der ungewöhnlichen und belastenden Familiensituation im Hause Kohl. Sie wird ihn vermutlich sein Leben lang begleiten.
Leben oder gelebt werden ist bei Integral erschienen und kostet als gebundenes Buch 18,97 Euro, als Taschenbuch, epub- oder Kindle-Ausgabe 9,99 Euro sowie auf Audio-CD 13,95 Euro.
Jede Woche stelle ich ein Buch vor, das ich gelesen habe und das mich auf irgendeine Weise berührt hat.
Freitag, 31. Mai 2019
Dienstag, 28. Mai 2019
# 198 - New York, New York
Die Stadtnomaden: Das sind Christina Horsten und Felix Zeltner, die sich mit ihrer kleinen Tochter Emma aufgemacht haben, ihren Wohnort New York auf eine sehr ungewöhnliche Art und Weise zu erkunden.
New York ist die Geburtsstadt von Christina Horsten, doch als ihr Vater wenige Monate später versetzt wurde, zog die Familie wieder zurück nach Deutschland. Sie wuchs in Bonn, Prag und Berlin auf; umzuziehen und sich an einem Ort neu einzuleben ist ihr nicht fremd. Trotz dieser nur kurzen Zeit in New York, an die sie sich natürlich nicht erinnern kann, schwelte in der Journalistin immer eine diffuse Sehnsucht nach der Metropole. Da kam ihr 2012 das Angebot der dpa, dort als Korrespondentin zu arbeiten, sehr recht. Ihr Lebensgefährte Felix Zeltner, ein freier Journalist, war sofort einverstanden. Mit ihrer Tochter, die zwei Jahre später in New York geboren wurde, wohnten sie bis 2016 in einer Wohnung im Wohnviertel Park Slope in Brooklyn. Doch als der Vermieter ankündigte, die Miete um monatlich 400 Dollar zu erhöhen, konnten sie sich ihre Bleibe nicht mehr leisten - sie zahlten da schon 3.200 Dollar. Nach dem ersten Schock beschlossen die beiden jedoch, die Situation positiv zu sehen und ein Umzugsjahr einzulegen: Die nächsten zwölf Monate wollten sie sich quer durch alle fünf New Yorker Stadtbezirke mieten, jeden Monat in einer anderen Wohnung.
Ihre in Deutschland lebenden Eltern hatten deutliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieses Plans, zumal von der ständigen Umzieherei auch ihre Enkeltochter betroffen war. Ist es in Ordnung, einem so kleinen Kind so häufige Wohnungswechsel in jeweils völlig unterschiedlichen Umgebungen zuzumuten? Emma nahm die Situation cooler als ihre Großeltern. Wenn sie eine neue Bleibe zum ersten Mal betrat, kommentierte sie das kurz mit der Frage: "Neues Hause?", um sich direkt danach ihrer Spielkiste zuzuwenden.
Christina Horsten und Felix Zeltner erlebten, dass jedes Wohnviertel der Millionenstadt wie eine eigene Welt ist. Grundsätzlich gilt: Je ärmer die Bewohner sind, desto größer sind nicht nur ihre Offenheit und Gesprächsbereitschaft, sondern auch ihre Angst vor den Folgen der Gentrifizierung. Das, was man auch in deutschen Großstädten beobachten kann, greift in New York noch deutlich stärker um sich: Immobilienspekulanten kaufen Wohnhäuser auf, sanieren sie mehr oder weniger gut und verkaufen oder vermieten sie anschließend zu Mondpreisen. Die bisherigen Bewohner können nicht mithalten und müssen sich in billigeren Gegenden ein anderes Zuhause suchen.
Die Gentrifizierung ist DAS Thema in Stadtnomaden. Es durchzieht fast alle New Yorker Neighbourhoods, und wo diese Entwicklung noch nicht angekommen ist, beschäftigt die Angst vor ihrem Eintreten die Einwohner. Den geschätzt 60.000 Obdachlosen der Stadt stehen derzeit etwa 80.000 leerstehende Wohnungen gegenüber. Praktisch jeder, der nicht Millionär ist, sieht die Bedrohung, die die ständig steigenden Mieten für sein Leben sind.
Die jungen Eltern waren mehr als einmal dabei, an ihrem Projekt zu zweifeln: Immer dann, wenn der nächste Auszug zum Greifen nah gewesen ist, aber noch keine neue Wohnung in Sicht war. Aber jedes Mal hat sich kurzfristig etwas ergeben.
Horsten und Zeltner haben die einzelnen Kapitel abwechselnd geschrieben. In einem von Zeltner verfassten Abschnitt geht es um den Monat in der Upper West Side. In diesem Manhattener Stadtteil gibt es eine sehr hohe Promidichte, was es für viele Menschen attraktiv macht, dort zu leben. Dort stellte Zeltner fest, dass er bislang dachte, eine bestimmte Adresse stünde für geografische Identität und sage etwas über einen selbst aus. Doch zu diesem Zeitpunkt war die Familie nach ihrem Auszug aus Park Slope schon in ihrer achten Kurzzeit-Wohnung. Sein Fazit: Glücklich oder unglücklich kann man überall gleichermaßen werden. Über diese Frage machte sich auch Horsten in Chelsea - zwei Wohnungen weiter - Gedanken. Ihr Resümee fiel allerdings nicht so eindeutig aus.
Die Familie ist durch ihr Umzugsprojekt vielen sehr unterschiedlichen Menschen und ihren ebenso unterschiedlichen Lebensentwürfen begegnet. In fast jeder Wohnung wurden Fremde aus dem Viertel zum Abendessen eingeladen, die einander nicht kannten. So entwickelten sich spannende Situationen, die die Autoren wohl nicht erlebt hätten, wenn sie ganz "normal" in immer derselben Wohnung geblieben wären. Vermutlich gehören sie jetzt zu denjenigen, die New York mit allen Eigenheiten am besten kennen.
Stadtnomaden ist im Benevento Verlag erschienen und kostet 16 Euro. Die Autoren bieten weitere Informationen auf ihrer Buch-Homepage an.
Anmerkung: Als ich kürzlich in München war, habe ich mich im Deutschen Museum mit einem Mann unterhalten, der etwa in meinem Alter gewesen sein dürfte. Er begleitete seinen Vater, der im Rollstuhl saß und augenscheinlich schon ein hohes Alter erreicht hatte. Die beiden überlegten, in welchem Lokal man am Abend essen gehen könnte. Dabei spielte die Barrierefreiheit eine große Rolle. Als ich den beiden zwei Empfehlungen für Restaurants gab, die ich mit meiner Freundin schon besucht hatte, sagte der Mann zu mir: "Obwohl ich schon seit 20 Jahren in München lebe, kenne ich mich gar nicht aus."
"Und ich bin gar nicht von hier", antwortete ich. Muss dem noch etwas hinzugefügt werden?
New York ist die Geburtsstadt von Christina Horsten, doch als ihr Vater wenige Monate später versetzt wurde, zog die Familie wieder zurück nach Deutschland. Sie wuchs in Bonn, Prag und Berlin auf; umzuziehen und sich an einem Ort neu einzuleben ist ihr nicht fremd. Trotz dieser nur kurzen Zeit in New York, an die sie sich natürlich nicht erinnern kann, schwelte in der Journalistin immer eine diffuse Sehnsucht nach der Metropole. Da kam ihr 2012 das Angebot der dpa, dort als Korrespondentin zu arbeiten, sehr recht. Ihr Lebensgefährte Felix Zeltner, ein freier Journalist, war sofort einverstanden. Mit ihrer Tochter, die zwei Jahre später in New York geboren wurde, wohnten sie bis 2016 in einer Wohnung im Wohnviertel Park Slope in Brooklyn. Doch als der Vermieter ankündigte, die Miete um monatlich 400 Dollar zu erhöhen, konnten sie sich ihre Bleibe nicht mehr leisten - sie zahlten da schon 3.200 Dollar. Nach dem ersten Schock beschlossen die beiden jedoch, die Situation positiv zu sehen und ein Umzugsjahr einzulegen: Die nächsten zwölf Monate wollten sie sich quer durch alle fünf New Yorker Stadtbezirke mieten, jeden Monat in einer anderen Wohnung.
Ihre in Deutschland lebenden Eltern hatten deutliche Zweifel an der Sinnhaftigkeit dieses Plans, zumal von der ständigen Umzieherei auch ihre Enkeltochter betroffen war. Ist es in Ordnung, einem so kleinen Kind so häufige Wohnungswechsel in jeweils völlig unterschiedlichen Umgebungen zuzumuten? Emma nahm die Situation cooler als ihre Großeltern. Wenn sie eine neue Bleibe zum ersten Mal betrat, kommentierte sie das kurz mit der Frage: "Neues Hause?", um sich direkt danach ihrer Spielkiste zuzuwenden.
Christina Horsten und Felix Zeltner erlebten, dass jedes Wohnviertel der Millionenstadt wie eine eigene Welt ist. Grundsätzlich gilt: Je ärmer die Bewohner sind, desto größer sind nicht nur ihre Offenheit und Gesprächsbereitschaft, sondern auch ihre Angst vor den Folgen der Gentrifizierung. Das, was man auch in deutschen Großstädten beobachten kann, greift in New York noch deutlich stärker um sich: Immobilienspekulanten kaufen Wohnhäuser auf, sanieren sie mehr oder weniger gut und verkaufen oder vermieten sie anschließend zu Mondpreisen. Die bisherigen Bewohner können nicht mithalten und müssen sich in billigeren Gegenden ein anderes Zuhause suchen.
Die Gentrifizierung ist DAS Thema in Stadtnomaden. Es durchzieht fast alle New Yorker Neighbourhoods, und wo diese Entwicklung noch nicht angekommen ist, beschäftigt die Angst vor ihrem Eintreten die Einwohner. Den geschätzt 60.000 Obdachlosen der Stadt stehen derzeit etwa 80.000 leerstehende Wohnungen gegenüber. Praktisch jeder, der nicht Millionär ist, sieht die Bedrohung, die die ständig steigenden Mieten für sein Leben sind.
Die jungen Eltern waren mehr als einmal dabei, an ihrem Projekt zu zweifeln: Immer dann, wenn der nächste Auszug zum Greifen nah gewesen ist, aber noch keine neue Wohnung in Sicht war. Aber jedes Mal hat sich kurzfristig etwas ergeben.
Horsten und Zeltner haben die einzelnen Kapitel abwechselnd geschrieben. In einem von Zeltner verfassten Abschnitt geht es um den Monat in der Upper West Side. In diesem Manhattener Stadtteil gibt es eine sehr hohe Promidichte, was es für viele Menschen attraktiv macht, dort zu leben. Dort stellte Zeltner fest, dass er bislang dachte, eine bestimmte Adresse stünde für geografische Identität und sage etwas über einen selbst aus. Doch zu diesem Zeitpunkt war die Familie nach ihrem Auszug aus Park Slope schon in ihrer achten Kurzzeit-Wohnung. Sein Fazit: Glücklich oder unglücklich kann man überall gleichermaßen werden. Über diese Frage machte sich auch Horsten in Chelsea - zwei Wohnungen weiter - Gedanken. Ihr Resümee fiel allerdings nicht so eindeutig aus.
Die Familie ist durch ihr Umzugsprojekt vielen sehr unterschiedlichen Menschen und ihren ebenso unterschiedlichen Lebensentwürfen begegnet. In fast jeder Wohnung wurden Fremde aus dem Viertel zum Abendessen eingeladen, die einander nicht kannten. So entwickelten sich spannende Situationen, die die Autoren wohl nicht erlebt hätten, wenn sie ganz "normal" in immer derselben Wohnung geblieben wären. Vermutlich gehören sie jetzt zu denjenigen, die New York mit allen Eigenheiten am besten kennen.
Stadtnomaden ist im Benevento Verlag erschienen und kostet 16 Euro. Die Autoren bieten weitere Informationen auf ihrer Buch-Homepage an.
Anmerkung: Als ich kürzlich in München war, habe ich mich im Deutschen Museum mit einem Mann unterhalten, der etwa in meinem Alter gewesen sein dürfte. Er begleitete seinen Vater, der im Rollstuhl saß und augenscheinlich schon ein hohes Alter erreicht hatte. Die beiden überlegten, in welchem Lokal man am Abend essen gehen könnte. Dabei spielte die Barrierefreiheit eine große Rolle. Als ich den beiden zwei Empfehlungen für Restaurants gab, die ich mit meiner Freundin schon besucht hatte, sagte der Mann zu mir: "Obwohl ich schon seit 20 Jahren in München lebe, kenne ich mich gar nicht aus."
"Und ich bin gar nicht von hier", antwortete ich. Muss dem noch etwas hinzugefügt werden?
Mittwoch, 22. Mai 2019
Gewonnen, gewonnen, gewonnen!
[WERBUNG, unbezahlt und ohne Absprache mit dem Beworbenen]
Es ist schon ein paar Wochen her, aber jetzt komme ich endlich dazu, euch von einem Gewinnspiel zu erzählen, das die Buchhandlung Böhnert im April durchgeführt hat. Es lief über das soziale Netzwerk mit dem blauen F und ich wurde von einer guten Bekannten darauf hingewiesen.
Carsten Böhnert hatte ein buntes Bücherpaket zusammengestellt, in dem für die ganze Familie etwas dabei ist. Der Buchhändler hatte mit diesem tollen Foto für sein Gewinnspiel geworben:
Und was war genau drin?
Es ist schon ein paar Wochen her, aber jetzt komme ich endlich dazu, euch von einem Gewinnspiel zu erzählen, das die Buchhandlung Böhnert im April durchgeführt hat. Es lief über das soziale Netzwerk mit dem blauen F und ich wurde von einer guten Bekannten darauf hingewiesen.
Carsten Böhnert hatte ein buntes Bücherpaket zusammengestellt, in dem für die ganze Familie etwas dabei ist. Der Buchhändler hatte mit diesem tollen Foto für sein Gewinnspiel geworben:
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© Carsten Böhnert, Buchhandlung Böhnert |
- Mein absoluter Favorit ist das große Buch Landleben von Wolf-Rüdiger Marunde. Es ist Ende der 1980-er Jahre zum ersten Mal erschienen, in dieser Neuausgabe haben sich die Bände 1 bis 3 versammelt. Der Verlag gibt an, das Buch sei für Leser ab acht Jahren, aber ich finde, es eignet sich für alle, die Marundes Humor mögen. Also auch für mich mit meinen mehr als 50 Jahren.
- Auch Unterwegs von Achill Moser war in dem sehr schweren Paket dabei. Sogar in einer signierten Ausgabe. Der Weltenbummler Moser war zusammen mit seinem Sohn Aaron unterwegs. Ihr Motto: Der Weg ist das Ziel. Ihre Reise führte sie u. a. in die äthiopische Vulkanwüste Danakil und auf die schottische Insel Bass Rock, die von mehr als 200.000 Basstölpeln bewohnt wird.
- Die Autorin Erin Beaty ist mir bislang unbekannt gewesen. Zu meinem Gewinn gehörte ihr Roman Liebe und Lügen. Das Buch ist der zweite Teil der Serie 'Kampf um Demora', die als Trilogie angelegt ist. Es geht um die junge Sage, die nicht, wie es der in Demora üblichen Sitte entspricht, einen ihr unbekannten Mann heiraten will. Ihr Ausweg ist, selbst als Kupplerin unterwegs zu sein und zehn adelige junge Frauen auf ihrem Weg zum Verkupplungsball zu bespitzeln. Zu Sages Plan gehörte allerdings nicht, sich zu verlieben. Als Tutorin des Königshofs wird sie beauftragt, den Soldaten das Lesen beizubringen. Das ist die Gelegenheit, ihrem Liebsten endlich nahe zu sein.
- Für junge Leser sind die zwei Bücher aus der Lesemaus-Reihe das Richtige: Die Feriengeschichten für starke Kinder und die Silben-Geschichten für Jungs sind ein prima Einstieg.
- Last but not least lag dem Gewinn-Paket auch ein Pocket-Rätselblock bei, der sich an 10-12-Jährige richtet.
Sonntag, 19. Mai 2019
# 197 - Mein Ausflug in die Welt der "Frauenbücher"
Auf das heutige Buch bin ich auf Umwegen gestoßen.
Normalerweise hätte ich mich nicht dafür interessiert. Aber ich hatte zufällig eine Talkshow gesehen, in der die Gäste erzählten, wie sie selbst dem Bösen in sich begegnet sind. Unter ihnen war Wiebke Lorenz, deren Psyche als Folge jahrelanger Belastungen und Schicksalsschläge verrückt gespielt hatte, sodass sie sich selbst nicht mehr über den Weg traute.
Wiebke Lorenz wurde als Bestsellerautorin vorgestellt. Mir sagte der Name allerdings gar nichts. Wie konnte es sein, dass mir noch nie Titel von ihr aufgefallen waren, obwohl ich mich doch viel mit Büchern beschäftige? Es war davon die Rede, dass sie mehrere Millionen Titel verkauft hatte. Doch dann kam der entscheidende Hinweis: Sie ist Teil eines Autorenduos, deren andere Hälfte ihre Schwester Frauke Scheunemann ist. Zusammen sind die beiden 'Anne Hertz'. Blöd nur, dass mich das immer noch nicht schlauer machte.
Mithilfe einer Suchmaschine und eines Alles-was-für-dein-Leben-mutmaßlich-wichtig-ist-Versenders lichtete sich der Nebel: Unter dem Namen Anne Hertz wurden bereits viele Romane veröffentlicht, die ganz allgemein unter dem Label "Frauenliteratur" laufen. Kein Wunder, dass mir Anne Hertz nichts sagte, ich lese normalerweise keine Romane, die in diese Richtung gehen. Aber mich hat nun interessiert, wie und was die Schwestern genau schreiben. Bei der Onleihe fand ich zwar kein Buch von, aber wenigstens eines mit ihnen: Kerstin Gier hat 2011 eine Anthologie herausgegeben, in der sich neben einer von ihr verfassten Kurzgeschichte auch Beiträge von zwölf Autorinnen und zwei Autoren finden. Die Mütter-Mafia und Friends - Das Imperium schlägt zurück heißt sie. Auf dem Cover sind u. a. die Arme und Beine eines Babys in einem Kinderwagen zu sehen, das mit der einen Hand ein Laserschwert schwingt und seine Mutter auf Trab hält. An dieser Stelle war ich erstaunt, dass auch Männer in diesem Genre zu finden sind. Einer der Beiträge, eine Geschichte, die über das Stilmittel einer E-Mail-Unterhaltung geführt wird, stammt von Anne Hertz.
Also ran an das Buch. Knapp 270 Seiten sind schnell gelesen. Zwischen den einzelnen Geschichten hat Kerstin Gier Unterhaltungen auf der 'Homepage der Mütter-Society' eingeflochten, wo sich eine Handvoll Mütter mit gegenseitigen "Freundlichkeiten" oder auch gefühlsduseligen Anwandlungen beglückt und die jeweils letzte Story bewertet.
Um es ehrlich zu sagen: Ich habe das Buch mit sehr gemischten Gefühlen begonnen und in dieser Stimmung auch gelesen. Es werden reichlich Szenen aus dem Familienalltag von Frauen aufgegriffen, deren Kinder noch relativ jung sind und die sich mit ihren Männern, Schwiegermonstern und Institutionen herumplagen, die ihnen das Leben sauer machen. Ich kann mich in viele Dinge sehr gut hineinversetzen, weil ich sie so oder so ähnlich selbst erlebt habe. Die meisten der Kurzgeschichten habe ich in einem Rutsch durchgelesen und weiß schon jetzt, gut zwei Wochen nach dem Lesen der letzten Seite, nur noch ungefähr, was darin stand. Sucht euch aus, ob das ein Indikator für die Qualität des Buches oder mein schlechtes Gedächtnis ist.
Während der Lektüre habe ich mir allerdings ein paar Notizen gemacht und einige Stellen markiert. Daran arbeite ich mich jetzt entlang.
Ich schicke jetzt mal voraus, dass ich mich immer ärgere, wenn Autoren Dinge schreiben, die schlecht recherchiert sind. Nennt mich kleinlich, aber ich hasse das.
Birgit Fuchs beispielsweise schreibt in Mama la Bamba über die dreifache Mutter Christine Sperling, die mit einer egozentrischen Mutter gesegnet ist. Ausgerechnet an Christines Geburtstag droht der eigentlich austarierte Zeitplan zu Staub zu zerfallen. In Fuchs' Erzählung wurde Christine mit überhöhter Geschwindigkeit in einem Tunnel geblitzt. Nun klingelt ein Wachtmeister an ihrer Haustür, um zu prüfen, ob es sich bei der Frau auf dem Blitzerfoto tatsächlich um Christine handelt. Erstens: Es gibt seit knapp 40 Jahren bei der Polizei keine Wachtmeister mehr. Zweitens: Dass ein Polizist so etwas tut, ist, gelinde gesagt, äußerst unwahrscheinlich. Wer beim Rasen geblitzt und nicht unmittelbar danach von der Polizei gestoppt wird, bekommt per Post einen Anhörungsbogen. Aber diese kleine Episode ist für Fuchs nötig, damit sich der Wachtmeister und Christines verschrobene Mutter kennenlernen und verlieben können. Der Wachtmeister setzt sich dann auch noch mit Christines Mutter gemütlich zum Tee zusammen. Ja, sicher. Das Leben eines Polizisten wimmelt nur so von Mußestunden. Der Wachtmeister mutiert ein paar Seiten weiter zum Kommissar. Ist auch zu empfehlen; das Gehalt eines damaligen Wachtmeisters ist bedeutend schlechter als das eines Kommissars.
Christines erster Termin an ihrem Geburtstag führt sie in den Kindergarten. Beim Anblick der Erziehrin Frau Raps, die in der Gruppe von Christines Sohn, die passenderweise 'Bienchengruppe' heißt, tätig ist, rutscht ihr das Herz in die Hose. Warum? Sie tritt doch nicht nach einem beruflichen Schnitzer vor ihren Chef, von dem sie die Kündigung befürchtet! Da stimmt versöhnlich, dass sie Frau Raps und ihrer Kollegin dann doch noch die Meinung geigt.
Weiter geht's mit Anne Hertz und ihrer Story 'Mit freundlichen Grüßen'. Hier spielt sich die gesamte Handlung über den Austausch von E-Mails ab. Im Kern geht es darum, dass Eltern von der Klassenlehrerin verlangen, ihrer Tochter eine Empfehlung für den Besuch des Gymnasiums zu schreiben. Als die Situation eskaliert und einige unappetitliche Geheimnisse ans Licht kommen, appelliert der von den Eltern hinzugezogene Anwalt an die Dienstherreneigenschaft des Rektors, um die gewünschte Empfehlung zu erreichen. Dumm nur, dass ein Schulleiter keine Dienstherreneigenschaften hat. Ein Dienstherr ist eine sog. juristische Körperschaft des öffentlichen Rechts, die selbstständig Beamte einstellen darf. Also zum Beispiel das Land Sachsen-Anhalt oder die Stadt München. Ein Schulleiter kann selbst keine Beamten einstellen, ist aber der Dienstvorgesetzte der Lehrkräfte seiner Schule. Das zu wissen, hatte ich erwartet, weil eine der Schwestern von Anne Hertz Volljuristin ist. Aber die meisten Zeitungen vermitteln das ebenfalls falsch und bezeichnen beispielsweise einen Ministerpräsidenten oder den Bundespräsidenten als Dienstherrn.
Mehrere der Geschichten sind so unglaubwürdig, dass ich mich unwillkürlich frage, welches Bild die Autorinnen von ihren Leserinnen haben. Da sind Mütter, die zu Hause Struktur ins Familienchaos bringen, aber sich nicht trauen, in einem Hotel darum zu bitten, an einen anderen Tisch gesetzt zu werden, weil sie sich nicht mit einer fremden übergriffigen Schwiegermutter belasten wollen. Oder eine gestresste Mutter, die im Familienurlaub um eigene Zeit bittet und durch eine Verkettung saublöder selbst verschuldeter Umstände sich von einem blutjungen Kindermädchen dazu bringen lässt, die Ferienwohnung ihrer wohlhabenden Arbeitgeber auf Hochglanz zu bringen.
Die einzigen guten Geschichten sind die, die von den beiden Autoren Matthias Sachau ('Das Günther-Prinzip') und Maximilian Buddenbohm ('Das Schwein') stammen. Dort spielen Väter, die sich für ihr Versagen schämen und ungewollt zum Vorbild werden bzw. ihr Bestes für ihr Kind geben wollen, die Hauptrolle. Männer, schreibt mehr Frauenromane, dann lese auch ich sie. Bis auf Weiteres werde ich aber einen Bogen um alle Bücher machen, in denen Frauen als verhuscht und völlig verpeilt dargestellt werden. Und es wäre super, wenn Fakten eine größere Rolle spielen würden; das würde zeigen, dass die Leserinnen (und vielleicht auch Leser) ernst genommen und als denkende Wesen wahrgenommen werden.
Normalerweise hätte ich mich nicht dafür interessiert. Aber ich hatte zufällig eine Talkshow gesehen, in der die Gäste erzählten, wie sie selbst dem Bösen in sich begegnet sind. Unter ihnen war Wiebke Lorenz, deren Psyche als Folge jahrelanger Belastungen und Schicksalsschläge verrückt gespielt hatte, sodass sie sich selbst nicht mehr über den Weg traute.
Wiebke Lorenz wurde als Bestsellerautorin vorgestellt. Mir sagte der Name allerdings gar nichts. Wie konnte es sein, dass mir noch nie Titel von ihr aufgefallen waren, obwohl ich mich doch viel mit Büchern beschäftige? Es war davon die Rede, dass sie mehrere Millionen Titel verkauft hatte. Doch dann kam der entscheidende Hinweis: Sie ist Teil eines Autorenduos, deren andere Hälfte ihre Schwester Frauke Scheunemann ist. Zusammen sind die beiden 'Anne Hertz'. Blöd nur, dass mich das immer noch nicht schlauer machte.
Mithilfe einer Suchmaschine und eines Alles-was-für-dein-Leben-mutmaßlich-wichtig-ist-Versenders lichtete sich der Nebel: Unter dem Namen Anne Hertz wurden bereits viele Romane veröffentlicht, die ganz allgemein unter dem Label "Frauenliteratur" laufen. Kein Wunder, dass mir Anne Hertz nichts sagte, ich lese normalerweise keine Romane, die in diese Richtung gehen. Aber mich hat nun interessiert, wie und was die Schwestern genau schreiben. Bei der Onleihe fand ich zwar kein Buch von, aber wenigstens eines mit ihnen: Kerstin Gier hat 2011 eine Anthologie herausgegeben, in der sich neben einer von ihr verfassten Kurzgeschichte auch Beiträge von zwölf Autorinnen und zwei Autoren finden. Die Mütter-Mafia und Friends - Das Imperium schlägt zurück heißt sie. Auf dem Cover sind u. a. die Arme und Beine eines Babys in einem Kinderwagen zu sehen, das mit der einen Hand ein Laserschwert schwingt und seine Mutter auf Trab hält. An dieser Stelle war ich erstaunt, dass auch Männer in diesem Genre zu finden sind. Einer der Beiträge, eine Geschichte, die über das Stilmittel einer E-Mail-Unterhaltung geführt wird, stammt von Anne Hertz.
Also ran an das Buch. Knapp 270 Seiten sind schnell gelesen. Zwischen den einzelnen Geschichten hat Kerstin Gier Unterhaltungen auf der 'Homepage der Mütter-Society' eingeflochten, wo sich eine Handvoll Mütter mit gegenseitigen "Freundlichkeiten" oder auch gefühlsduseligen Anwandlungen beglückt und die jeweils letzte Story bewertet.
Um es ehrlich zu sagen: Ich habe das Buch mit sehr gemischten Gefühlen begonnen und in dieser Stimmung auch gelesen. Es werden reichlich Szenen aus dem Familienalltag von Frauen aufgegriffen, deren Kinder noch relativ jung sind und die sich mit ihren Männern, Schwiegermonstern und Institutionen herumplagen, die ihnen das Leben sauer machen. Ich kann mich in viele Dinge sehr gut hineinversetzen, weil ich sie so oder so ähnlich selbst erlebt habe. Die meisten der Kurzgeschichten habe ich in einem Rutsch durchgelesen und weiß schon jetzt, gut zwei Wochen nach dem Lesen der letzten Seite, nur noch ungefähr, was darin stand. Sucht euch aus, ob das ein Indikator für die Qualität des Buches oder mein schlechtes Gedächtnis ist.
Während der Lektüre habe ich mir allerdings ein paar Notizen gemacht und einige Stellen markiert. Daran arbeite ich mich jetzt entlang.
Ich schicke jetzt mal voraus, dass ich mich immer ärgere, wenn Autoren Dinge schreiben, die schlecht recherchiert sind. Nennt mich kleinlich, aber ich hasse das.
Birgit Fuchs beispielsweise schreibt in Mama la Bamba über die dreifache Mutter Christine Sperling, die mit einer egozentrischen Mutter gesegnet ist. Ausgerechnet an Christines Geburtstag droht der eigentlich austarierte Zeitplan zu Staub zu zerfallen. In Fuchs' Erzählung wurde Christine mit überhöhter Geschwindigkeit in einem Tunnel geblitzt. Nun klingelt ein Wachtmeister an ihrer Haustür, um zu prüfen, ob es sich bei der Frau auf dem Blitzerfoto tatsächlich um Christine handelt. Erstens: Es gibt seit knapp 40 Jahren bei der Polizei keine Wachtmeister mehr. Zweitens: Dass ein Polizist so etwas tut, ist, gelinde gesagt, äußerst unwahrscheinlich. Wer beim Rasen geblitzt und nicht unmittelbar danach von der Polizei gestoppt wird, bekommt per Post einen Anhörungsbogen. Aber diese kleine Episode ist für Fuchs nötig, damit sich der Wachtmeister und Christines verschrobene Mutter kennenlernen und verlieben können. Der Wachtmeister setzt sich dann auch noch mit Christines Mutter gemütlich zum Tee zusammen. Ja, sicher. Das Leben eines Polizisten wimmelt nur so von Mußestunden. Der Wachtmeister mutiert ein paar Seiten weiter zum Kommissar. Ist auch zu empfehlen; das Gehalt eines damaligen Wachtmeisters ist bedeutend schlechter als das eines Kommissars.
Christines erster Termin an ihrem Geburtstag führt sie in den Kindergarten. Beim Anblick der Erziehrin Frau Raps, die in der Gruppe von Christines Sohn, die passenderweise 'Bienchengruppe' heißt, tätig ist, rutscht ihr das Herz in die Hose. Warum? Sie tritt doch nicht nach einem beruflichen Schnitzer vor ihren Chef, von dem sie die Kündigung befürchtet! Da stimmt versöhnlich, dass sie Frau Raps und ihrer Kollegin dann doch noch die Meinung geigt.
Weiter geht's mit Anne Hertz und ihrer Story 'Mit freundlichen Grüßen'. Hier spielt sich die gesamte Handlung über den Austausch von E-Mails ab. Im Kern geht es darum, dass Eltern von der Klassenlehrerin verlangen, ihrer Tochter eine Empfehlung für den Besuch des Gymnasiums zu schreiben. Als die Situation eskaliert und einige unappetitliche Geheimnisse ans Licht kommen, appelliert der von den Eltern hinzugezogene Anwalt an die Dienstherreneigenschaft des Rektors, um die gewünschte Empfehlung zu erreichen. Dumm nur, dass ein Schulleiter keine Dienstherreneigenschaften hat. Ein Dienstherr ist eine sog. juristische Körperschaft des öffentlichen Rechts, die selbstständig Beamte einstellen darf. Also zum Beispiel das Land Sachsen-Anhalt oder die Stadt München. Ein Schulleiter kann selbst keine Beamten einstellen, ist aber der Dienstvorgesetzte der Lehrkräfte seiner Schule. Das zu wissen, hatte ich erwartet, weil eine der Schwestern von Anne Hertz Volljuristin ist. Aber die meisten Zeitungen vermitteln das ebenfalls falsch und bezeichnen beispielsweise einen Ministerpräsidenten oder den Bundespräsidenten als Dienstherrn.
Mehrere der Geschichten sind so unglaubwürdig, dass ich mich unwillkürlich frage, welches Bild die Autorinnen von ihren Leserinnen haben. Da sind Mütter, die zu Hause Struktur ins Familienchaos bringen, aber sich nicht trauen, in einem Hotel darum zu bitten, an einen anderen Tisch gesetzt zu werden, weil sie sich nicht mit einer fremden übergriffigen Schwiegermutter belasten wollen. Oder eine gestresste Mutter, die im Familienurlaub um eigene Zeit bittet und durch eine Verkettung saublöder selbst verschuldeter Umstände sich von einem blutjungen Kindermädchen dazu bringen lässt, die Ferienwohnung ihrer wohlhabenden Arbeitgeber auf Hochglanz zu bringen.
Die einzigen guten Geschichten sind die, die von den beiden Autoren Matthias Sachau ('Das Günther-Prinzip') und Maximilian Buddenbohm ('Das Schwein') stammen. Dort spielen Väter, die sich für ihr Versagen schämen und ungewollt zum Vorbild werden bzw. ihr Bestes für ihr Kind geben wollen, die Hauptrolle. Männer, schreibt mehr Frauenromane, dann lese auch ich sie. Bis auf Weiteres werde ich aber einen Bogen um alle Bücher machen, in denen Frauen als verhuscht und völlig verpeilt dargestellt werden. Und es wäre super, wenn Fakten eine größere Rolle spielen würden; das würde zeigen, dass die Leserinnen (und vielleicht auch Leser) ernst genommen und als denkende Wesen wahrgenommen werden.
Freitag, 10. Mai 2019
# 196 - Lanzarote oder der Weg zur Erkenntnis
Henning und Theresa reisen mit ihren beiden noch
kleinen Kindern über Weihnachten und Silvester nach Lanzarote. Oberflächlich betrachtet geht es ihnen gut: Sie haben Freude an ihren Berufen, keine finanziellen Sorgen und die Kinder sind zwar manchmal anstrengend, aber vermutlich nicht mehr als andere Kinder auch. Aber was ein unbeschwerter Urlaub unter kanarischer Sonne hätte werden können, ist von einer Missstimmung zwischen den Eheleuten überschattet.
Während der Radtour lässt Henning seinen Gedanken freien Lauf, während er sich immer weiter dem auf der Strecke zum Vulkan liegenden Dorf Femés nähert. Sein Verhältnis zu seiner Frau und den Kindern, eine verstörende Beobachtung während des Silvesterdinners am Vorabend und sein ungewöhnlich inniges Verhältnis zu seiner jüngeren Schwester Luna spielen eine Rolle. Er versucht, sein Leben positiv zu bewerten, aber auf allem liegt der dunkle Schleier seiner psychischen Probleme.
In Femés spürt er, dass dort etwas ist, das ihn anzieht. Er folgt dem inneren Drang, seine Fahrt fortzusetzen, verlässt das Dorf und blickt kurze Zeit später zurück: Die Häuser liegen jetzt unter ihm, aber obwohl er in diesem Moment sicher ist, hier nie zuvor gewesen zu sein, bringt die Aussicht etwas in ihm zum Klingen. Er erkennt den Ort wieder, der Anblick aus dieser Perspektive ist ihm vertraut. Aber wie kann das sein?
Neujahr zeigt aber auch, wie trügerisch Erinnerungen und Eindrücke sein können, die man für gesichert gehalten hat.
Juli Zeh schildert all das in einer bidhaften und eindringlichen Sprache, die ihre Leser mitnimmt: sowohl in die karge Landschaft Lanzarotes als auch ins winterliche Deutschland; Letzteres allerdings nur kurz.
Neujahr ist bei Luchterhand erschienen und kostet als gebundenes Buch 20 Euro sowie als epub- oder Kindle-Ausgabe 15,99 Euro.
kleinen Kindern über Weihnachten und Silvester nach Lanzarote. Oberflächlich betrachtet geht es ihnen gut: Sie haben Freude an ihren Berufen, keine finanziellen Sorgen und die Kinder sind zwar manchmal anstrengend, aber vermutlich nicht mehr als andere Kinder auch. Aber was ein unbeschwerter Urlaub unter kanarischer Sonne hätte werden können, ist von einer Missstimmung zwischen den Eheleuten überschattet.
Neujahr - ein Blick in die Vergangenheit
Am Neujahrstag beschließt Henning spontan, eine Radtour zu machen. Sein Ziel: der Atalaya-Vulkan. Er vergisst, Proviant oder Geld mitzunehmen und merkt nach einer Weile, dass er anfängt, an seine Grenzen zu geraten: Er kämpft mit dem Wind, dem schweren Leihrad, gegen den Durst und die Steigung der Straße. Aber noch viel mehr kämpft er gegen ES, das ihn schon seit zwei Jahren quält. ES schleicht sich immer wieder an und wirft ihn nieder, sorgt für Herzrasen, lähmende Angst und beeinträchtigt das Familienleben. ES steht zwischen Henning und Theresa und belastet die Beziehung zu den Kindern. ES sind Panikattacken, die Henning auflauern und ihn in die Knie zwingen.
Während der Radtour lässt Henning seinen Gedanken freien Lauf, während er sich immer weiter dem auf der Strecke zum Vulkan liegenden Dorf Femés nähert. Sein Verhältnis zu seiner Frau und den Kindern, eine verstörende Beobachtung während des Silvesterdinners am Vorabend und sein ungewöhnlich inniges Verhältnis zu seiner jüngeren Schwester Luna spielen eine Rolle. Er versucht, sein Leben positiv zu bewerten, aber auf allem liegt der dunkle Schleier seiner psychischen Probleme.
In Femés spürt er, dass dort etwas ist, das ihn anzieht. Er folgt dem inneren Drang, seine Fahrt fortzusetzen, verlässt das Dorf und blickt kurze Zeit später zurück: Die Häuser liegen jetzt unter ihm, aber obwohl er in diesem Moment sicher ist, hier nie zuvor gewesen zu sein, bringt die Aussicht etwas in ihm zum Klingen. Er erkennt den Ort wieder, der Anblick aus dieser Perspektive ist ihm vertraut. Aber wie kann das sein?
Lesen?
Neujahr ist eine Reise in die Vergangenheit und erzählt davon, wie sehr uns Ereignisse beeinflussen können, an die wir uns nicht mehr aktiv erinnern können. Der Roman erzählt auch, wie schwer es sein kann, sich dieser Vergangenheit zu stellen, er handelt vom Schweigen derer, die besser hätten erzählen sollen und davon, dass es ein Weg sein kann, mithilfe einer radikalen Maßnahme zu versuchen, sein Leben wieder ins Lot zu bringen. Auch, wenn diese Maßnahme sehr schmerzhaft ist.
Neujahr zeigt aber auch, wie trügerisch Erinnerungen und Eindrücke sein können, die man für gesichert gehalten hat.
Juli Zeh schildert all das in einer bidhaften und eindringlichen Sprache, die ihre Leser mitnimmt: sowohl in die karge Landschaft Lanzarotes als auch ins winterliche Deutschland; Letzteres allerdings nur kurz.
Neujahr ist bei Luchterhand erschienen und kostet als gebundenes Buch 20 Euro sowie als epub- oder Kindle-Ausgabe 15,99 Euro.
Freitag, 3. Mai 2019
# 195 - Tödliche Hotelbewertungen?
Ulrike Busch ist auf unterhaltsame Krimis von der
Nordseeküste spezialisiert, und auch Mordsverrat ist dort angesiedelt. Das Ermittlerteam Tammo Anders und Fenna Stern, das für Buschs Leserschaft nicht unbekannt und auch privat ein Paar ist, hat es zwischenzeitlich dienstlich von Ostfriesland nach Husum verschlagen.
Oder die Schwester der Toten? Sie hat sich oft über Jessica geärgert und befürchtet, deren Lebenswandel könnte sich ungünstig auf den Ruf der Blauen Möwe auswirken.
Aber auch die Angestellten, die Jessica gefunden haben, geraten in den Fokus der Ermittler. Die langjährige rechte Hand von Clarissa Leverenz, Ella Kluck, benimmt sich bei der Befragung durch das Ermittlerteam merkwürdig. Weiß sie mehr über die Todesumstände von Jessica, als sie zugibt?
Das Zimmermädchen Carina da Silva reinigt nicht nur die Gästezimmer, sondern auch die Privatwohnungen der Schwestern; immer allein. Auch sie scheint Informationen zurückzuhalten.
Ein Motiv hätte auch eine ortsansässige Hoteliersfamilie gehabt, die unter den vernichtenden Bewertungen auf Harzogs Plattformen leidet. Könnte sie Jessica Leverenz auf dem Gewissen haben, um Harzog gewissermaßen über einen Umweg zu treffen?
Nach und nach wird außerdem deutlich, dass sich mehr Personen einen Zugang zur Wohnung des Mordopfers hätten verschaffen können, als Anders und Stern es zu Beginn ihrer Befragungen gesagt worden war.
Die Ermittlungen nehmen eine neue Wendung, als Lukas Harzog plötzlich nicht mehr auffindbar ist. Ist er vor den beiden Beamten geflohen oder ist ihm etwas zugestoßen? Und auch der Portier der Blauen Möwe, die seit Jahrzehnten gute Seele des Hauses, ist verschwunden, nachdem ihm von seiner Chefin Diebstahl vorgeworfen wurde. Der Fall wird zusehends mysteriöser. Nicht nur dienstlich müssen sich sich Anders und Stern etlichen Herausforderungen stellen, sondern auch privat gibt es eine wichtige Entscheidung, die sie gemeinsam treffen müssen und die die Handlung durchzieht.
Mordsverrat ist gut gemachte Krimi-Unterhaltung vor einer authentischen Nordsee-Kulisse. Leser, die die Gegend um Husum und die Halbinsel Eiderstedt aus eigener Anschauung kennen, werden vieles in Ulrike Buschs Buch wiedererkennen.
Mordsverrat kostet als Taschenbuch 9,99 Euro und als E-Book 3,99 Euro.
Nordseeküste spezialisiert, und auch Mordsverrat ist dort angesiedelt. Das Ermittlerteam Tammo Anders und Fenna Stern, das für Buschs Leserschaft nicht unbekannt und auch privat ein Paar ist, hat es zwischenzeitlich dienstlich von Ostfriesland nach Husum verschlagen.
Wurde die Hotelerbin ermordet?
Die Hotelerbin Jessica Leverenz wird von zwei Angestellten tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Die Geschäftsfrau, die Jahre zuvor das renommierte Hotel Blaue Möwe in St. Peter Ording gemeinsam mit ihrer Schwester Clarissa geerbt hat, war stark medikamentenabhängig, sodass zunächst der Verdacht einer versehentlichen Vergiftung oder eines Suizids besteht. Doch die Gerichstmedizinerin äußert noch vor Ort den Verdacht, dass die Frau ermordet wurde. Je länger die Ermittlungen fortschreiten, desto größer wird der Kreis der für die Tat infrage kommenden Personen: Steckt Jessicas Freund Lukas Harzog dahinter? Es ist im Ort ein offenes Geheimnis, dass der Betreiber von mehreren Hotelbewertungsportalen einzelne Häuser zu Unrecht mit falschen Beurteilungen überzieht und von Hoteliers für deren Löschung ein saftiges Honorar kassiert. Nicht nur deshalb ist er in der örtlichen Branche unbeliebt, sondern auch wegen seiner gefühllosen und kaltschnäuzigen Art. Musste Jessica sterben, weil sie zu viel über seine Machenschaften wusste?
Oder die Schwester der Toten? Sie hat sich oft über Jessica geärgert und befürchtet, deren Lebenswandel könnte sich ungünstig auf den Ruf der Blauen Möwe auswirken.
Aber auch die Angestellten, die Jessica gefunden haben, geraten in den Fokus der Ermittler. Die langjährige rechte Hand von Clarissa Leverenz, Ella Kluck, benimmt sich bei der Befragung durch das Ermittlerteam merkwürdig. Weiß sie mehr über die Todesumstände von Jessica, als sie zugibt?
Das Zimmermädchen Carina da Silva reinigt nicht nur die Gästezimmer, sondern auch die Privatwohnungen der Schwestern; immer allein. Auch sie scheint Informationen zurückzuhalten.
Ein Motiv hätte auch eine ortsansässige Hoteliersfamilie gehabt, die unter den vernichtenden Bewertungen auf Harzogs Plattformen leidet. Könnte sie Jessica Leverenz auf dem Gewissen haben, um Harzog gewissermaßen über einen Umweg zu treffen?
Nach und nach wird außerdem deutlich, dass sich mehr Personen einen Zugang zur Wohnung des Mordopfers hätten verschaffen können, als Anders und Stern es zu Beginn ihrer Befragungen gesagt worden war.
Die Ermittlungen nehmen eine neue Wendung, als Lukas Harzog plötzlich nicht mehr auffindbar ist. Ist er vor den beiden Beamten geflohen oder ist ihm etwas zugestoßen? Und auch der Portier der Blauen Möwe, die seit Jahrzehnten gute Seele des Hauses, ist verschwunden, nachdem ihm von seiner Chefin Diebstahl vorgeworfen wurde. Der Fall wird zusehends mysteriöser. Nicht nur dienstlich müssen sich sich Anders und Stern etlichen Herausforderungen stellen, sondern auch privat gibt es eine wichtige Entscheidung, die sie gemeinsam treffen müssen und die die Handlung durchzieht.
Mordsverrat ist gut gemachte Krimi-Unterhaltung vor einer authentischen Nordsee-Kulisse. Leser, die die Gegend um Husum und die Halbinsel Eiderstedt aus eigener Anschauung kennen, werden vieles in Ulrike Buschs Buch wiedererkennen.
Mordsverrat kostet als Taschenbuch 9,99 Euro und als E-Book 3,99 Euro.
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