Die Hobbyermittlerin Ines Fox, die wegen ihrer
ungezügelten Neugier oft mehr oder weniger absichtlich in gefährliche Situationen gerät, kennen alle, die ab und zu in der Bücherkiste vorbeischauen. Nun hat Christiane Kördel die junge Frau und ihren Freund, den angehenden Rechtsmediziner Dr. Marc Frieder, wieder in eine Handlung geschubst, in deren Verlauf alte Bekannte auftauchen. Seefimmel heißt das vierte Buch, das den eigentlich idyllischen Bodensee zu einem Kriminalitätsdrehkreuz werden lässt.
Eine Frau sucht ihre Neffen, eine andere ihre Schwester
Aus dem Buch Seekoller ist Tante Inés hinlänglich bekannt. Jetzt taucht sie plötzlich bei Ines Fox auf und bittet sie, ihre beiden Neffen zu suchen. Ines und ihr Dr. Frieder haben daran kein gesteigertes Interesse: Die Männer sind Mitglieder der kubanisch-amerikanischen Mafia und haben besonders Ines im dritten Band in Miami das Leben schwer gemacht. Aber bevor sie sich dann doch auf den Weg zum Lago Maggiore machen, geraten sie auf dem Bodensee während einer Bootstour in ein Unwetter. Drei Kajakfahrer sind gekentert, nur zwei können gerettet werden. Die Umstände lassen zunächst auf einen Unfall schließen, doch auch hier kann Ines nicht aus ihrer Haut: Sie hakt auf eigene Faust nach und forscht im Leben der Toten und ihrer überlebenden Zwillingsschwester. Was die junge Frau und Dr. Frieder herausfinden, bringt den Witwer der tödlich Verunglückten zur Verzweiflung.
Auch die Suche nach Tante Inés' Neffen nimmt eine Wendung, die wohl niemand vorausgeahnt hatte, am wenigsten Tante Inés selbst. Harmlos wirkende Menschen entpuppen sich als bedrohliche Pistolenfans, und auch hier muss ein Mensch unfreiwillig sein Leben lassen.
Und als ob das nicht schon genug wäre, taucht Ines' Erzfeind getreu dem Motto "Totgeglaubte leben länger" wieder auf. An Langeweile mangelt es weder Ines Fox und Dr. Frieder noch den Lesern.
Wie war's?
Seefimmel folgt der Linie, die Christiane Kördel seit dem ersten Band Seezeichen 13 eingeschlagen hat. Ines Fox taucht immer dort auf, wo sich das Verbrechen im Schatten verkriechen will und bohrt da nach, wo es am meisten weh tut. Mit ihrer hibbeligen Art ist die Konstanzer Webdesignerin das genaue Gegenteil ihres norddeutschen Partners Marc Frieder, der in fast allen Lebenslagen in sich ruht und die Worte mit Bedacht wählt. Dieser Cosy-Krimi ist für alle, die sich ein paar spannende, aber dennoch entspannte Lesestunden wünschen, genau das Richtige.
Da einige Figuren eine Rolle spielen, die sich dem Leser nicht von selbst erschließen, ist das Lesen der vorangegangenen Krimis eine gute Idee:
Seefimmel ist im Selbstverlag erschienen und kostet als Taschenbuch 11,99 Euro sowie als E-Book 2,99 Euro.
Tabea, Mark und ihre kleine sechs Monate alte
Tochter Amy sind eine glückliche Familie. Sie leben in Berlin-Zehlendorf in einem Haus zusammen mit Tabeas Eltern, haben aber dort ihre eigene Wohnung. Doch schon auf den ersten Seiten wird klar, dass Tabea dieses Glück nicht für stabil hält: Sie ist immer auf der Hut, dass ihr Mann dem Mädchen etwas antun könnte. So, wie Mark beschrieben wird, wirkt das zunächst völlig absurd, denn es ist offensichtlich, dass er das Kind liebt und sich gern um es kümmert. Dies ist der Einstieg in den Psychothriller Niemand stirbt allein von Martin Krist, der dafür bekannt ist, seine Leser nicht zu schonen.
Man ahnt bald, dass hinter Tabeas latenter Sorge ein handfester Grund stecken könnte: In einem Gespräch mit ihrem Vater bekräftigt dieser, dass weder er selbst noch Tabeas Mutter oder ihre Schwester Theresa Mark vertrauen. Offenbar nicht zum ersten Mal fühlt sich Tabea in die Enge getrieben und verteidigt ihren Mann gegen dieses Misstrauen, obwohl sie dabei kein gutes Gefühl hat. Es ist die Rede von einer Therapie, die Mark nach Ansicht seines Arztes sehr geholfen haben soll. Doch es scheint niemand in der Familie, einschließlich Tabea, den Auslöser für Marks Erkrankung zu kennen, die diese Therapie nötig gemacht hat.
Nur Minuten nach dem Gespräch zwischen Vater und Tochter kommt es zum Schlimmsten: Als Tabea die Wohnung betritt, hört sie, wie Mark seiner Tochter etwas vorsingt, doch schon als sie das Kinderzimmer betritt, sieht er sie an und greift mit den Worten "Jetzt wird deine Familie sterben" zu einer bereitliegenden Pistole. Es gelingt Tabea, zu fliehen und sich und ihre Tochter zu retten. Doch von allen, von denen sie sich Hilfe erhofft, fühlt sie sich verraten: Theresa will sie davon abbringen, sich an die Polizei zu wenden, und die Polizei beginnt, nach ihr, Tabea, zu fahnden. Doch dann bekommt sie von unerwarteter Seite Unterstützung: Ihr Jugendfreund Jonas, zu dem Tabea schon seit langer Zeit keinen Kontakt mehr hatte, findet sie in ihrem alten Versteck, das früher ihr geheimer Treffpunkt war. Wird nun alles gut?
Wie war's?
Martin Krist beschreibt sehr genau die Verzweiflung, die Tabea ununterbrochen durchlebt. Kaum hat sie ein bisschen Hoffnung, der für sie und ihre Tochter unerträglichen Situation zu entkommen, folgt der nächste Rückschlag. Krist greift in seinem Buch ein Thema auf, über das bereits oft diskutiert wurde und um das es eine grundsätzliche Einigkeit gibt, dass hier viel mehr getan werden müsste. Leider passiert das bislang nicht im nötigen Umfang. Worum es dabei genau geht, soll hier nicht näher erläutert werden.
Niemand stirbt allein ist Ende Mai 2019 erschienen und kostet als Tolino-E-Book 3,99 Euro und als Taschenbuch 9,99 Euro.
Heute scheint es, als wäre nichts geschehen heißt der neueste Roman des tschechischen Autors Vratislav Maňák. Im Mittelpunkt steht der junge Lehrer Ondřej Šmid, der aus Pilsen stammt und in Prag arbeitet. Anlässlich des 80. Geburtstags seines Opas reist er zu seinen Eltern. Seine Erwartungen an eine beschauliche Aus-Zeit in seiner Heimatstadt werden schnell getrübt: Er wird immer wieder an das unschöne Ende der langjährigen Beziehung mit der Zeitungsreporterin Maria, das er gerade verarbeitet, erinnert und mit einem Familiengeheimnis konfrontiert, von dem es ihm lieber gewesen wäre, es nicht zu wissen. Die Offenbarung dieses Geheimnisses weckt in ihm lange in seinem Gehirn verschüttete Kindheitserinnerungen, die erst jetzt nach so langer Zeit einen Sinn ergeben.
Mit den Geheimnissen ist es damit jedoch noch nicht vorbei. Ondřejs Mutter Renata vermutet, dass der Vater etwas vor ihr verheimlicht. Sie soll damit Recht behalten, aber es ist etwas völlig anderes, als sie dachte. Das Leben der Familie, insbesondere der Eltern, muss nun auf neue Füße gestellt werden.
Wie Ondřej nach und nach erfährt, werden in seiner Familie noch mehr Geheimnisse gehütet, die im Laufe seines Besuchs ans Licht kommen: Opa verbirgt vor seiner Frau, dass er hinter ihrem Rücken die Ge- und Verbote des Arztes hintertreibt, der Onkel hat sein Vermögen auf ungeraden und illegalen Wegen gemacht... Die Fassade einer heil geglaubten Welt bekommt Risse.
Doch Maňák belässt es nicht bei der Geschichte der Familie Šmid. Immer wieder werden Interviews mit Zeitzeugen des sogenannten 'Pilsener Juni', einem Aufstand der Arbeiter des ŠKODA-Werkes, der am 31. Mai 1953 begann und der Auftakt weiterer Aufstände im Ostblock gegen die kommunistischen Diktaturen war, eingestreut. Anlass für die Demonstrationen und Streiks, die nicht nur in Pilsen, sondern auch in anderen Städten der Tschechoslowakei stattfanden, war eine für die Bevölkerung überraschend verkündete Währungsreform, die die Ersparnisse und sogar den gerade in tschechoslowakischen Kronen ausgezahlten Lohn auf einen Schlag praktisch wertlos machte. Diese Interviews hatte Ondřej im Rahmen seiner Diplomarbeit in seinem letzten Hochschuljahr geführt und auf Tonkassetten aufgezeichnet. Die Erinnerungen der alten Menschen und seine eigenen ergeben zusammen ein Bild der Geschichte der ČSSR und Tschechiens, so wie die Elemente des Rubik's Cube, der auf dem Buchcover zu sehen ist.
Wie war's?
Heute scheint es, als wäre nichts geschehen ist ein Roman für anspruchsvolle Leser. Er wechselt zwischen der Perspektive eines neutralen Beobachters, wird dann in Ich-Form aus der Sicht Ondřejs fortgesetzt und bezieht die Äußerungen der interviewten Zeitzeugen ein. Maňák schafft eine leicht melancholische Atmosphäre, die dabei hilft, sich in die einzelnen Personen hineinzuversetzen. Dies ist ein Buch, das mir gerade wegen seines sehr eigenen Stils gut gefallen hat.
Heute scheint es, als wäre nichts geschehen wurde 2017 für den Europäischen Literaturpreis nominiert.
Der Roman ist im Februar 2019 im Karl Rauch Verlag erschienen und kostet 24,-- Euro (mit Fadenheftung gebunden, Lesebändchen, strukturierter Einband).
Von Vratislav Maňák habe ich bereits das Buch Der Mann in der Uhr vorgestellt.
Heute vor vier Jahren habe ich den ersten Text für
Inas Bücherkiste hochgeladen. Er steckte voller Zweifel: Kann ich das überhaupt? Das liest doch kein Schwein! Letzteres hat sich bewahrheitet: Ich konnte bislang kein Schwein davon überzeugen, sich für meine Beiträge zu interessieren. Und dabei habe ich alles versucht: Ich habe einem Dutzend Schweinen meine Texte vorgelesen, sie durften sogar vorschlagen, über welches Buch ich als nächstes schreiben soll. Leider war ihre Aussprache so undeutlich, dass ich sie nicht verstanden habe. Na ja, macht nix. Immerhin haben sich im Laufe der Jahre ein paar Menschen hier eingefunden und dann und wann sogar Rezensionen kommentiert. Kurz: Ich bin sehr zufrieden und habe nach wie vor Freude daran, zu schreiben, wie ich das eine oder andere Buch finde.
Ein Blog ist "lebendiger", als ich mir das zu Anfang vorgestellt hatte. Es bleibt nicht dabei, Bücher zu lesen und über sie zu schreiben. Wenn man am Ball bleibt, entwickeln sich viele neue Kontakte - sehr schöne und oft hilfreiche, aber leider auch solche, auf die man gut hätte verzichten können. Mehrmals wurden meine Texte kopiert: einmal Wort für Wort, ein anderes Mal leicht verändert. Die Bloggerin, die damals abgeschrieben hatte, hat ihren Blog mittlerweile geschlossen. Fast dreieinhalb Jahre ist das jetzt her, die Bücherkiste war also noch jung. Ich war gelinde gesagt erstaunt, dass ich nach so kurzer Zeit schon kopiert wurde. Aber glücklicherweise überwiegen die schönen Kontakte: die zu meinen Blog-Lesern, anderen Buchbloggern, Autoren und auch Verlagen.
Die Datenschutzgrundverordnung, die seit dem 25. Mai 2018 in Kraft ist, hat unter den Bloggern gerade in den ersten Monaten für viel Aufregung gesorgt. Eine ganze Menge Blogger haben seitdem beschlossen, sich zurückzuziehen. Die Sorge, Opfer von dubiosen, raffgierigen Abmahnanwälten zu werden, war meistens der Auslöser, mit dem Schreiben im Internet aufzuhören. Das ist sehr schade, weil das zulasten der Vielfalt geschah, aber oft war es meiner Meinung nach zu voreilig.
Ich werde, wenn nicht irgendetwas Unvorhergesehenes passiert, im Oktober wieder zur Frankfurter Buchmesse fahren. Es wäre toll, wenn sich dort wieder Treffen mit Gleichgesinnten ergeben würden. Ohne Inas Bücherkiste gäbe es sie nicht. Liebe Leserinnen und Leser, bleibt mir auch bis zum nächsten Bücherkisten-Geburtstag gewogen.
Ich wünsche euch viel Spaß mit dem, was ihr hier in der nächsten Zeit lesen werdet. 😃
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Im Berliner Hotel Adlon wird 2001 der 85-jährige
Unternehmer Hans Meyer erschossen. Der Täter: Fabrizio Collini. 1934 in Italien geboren, vor Jahrzehnten als sogenannter Gastarbeiter nach Deutschland gekommen, jetzt Rentner. Collini hat bis zu diesem Tag völlig unbescholten gelebt. Nach der Tat lässt er sich widerstandslos festnehmen, legt aber kein Geständnis ab.
Zu Collinis Pflichtverteidiger wird Caspar Leinen bestellt. Leinen hat erst vor Kurzem seine Kanzlei eröffnet, der Fall Collini ist sein erstes Mandat. Er nimmt es ohne zu zögern an, da der Name des Ermordeten in seinen Unterlagen mit Jean-Baptiste Meyer angegeben wird. Erst nach einem Hinweis von dessen Enkelin Johanna wird Leinen klar, wessen Mörder er verteidigen soll: Hans Mayer war für ihn seit seiner Kindheit so etwas wie ein zweiter Vater, er hat mit ihm sehr viel Zeit verbracht. Er gerät in einen inneren Konflikt und ist drauf und dran zu beantragen, das Mandat zurückgeben zu können.
Johanna beauftragt als Nebenklägerin den renommierten und gewieften Anwalt Richard Mattinger, der schon 1975 beim Stammheim-Prozess gegen Mitglieder der RAF auf sich aufmerksam machte. Er erinnert Leinen an seine Verpflichtung als Strafrechtsanwalt, für ein Mandat verantwortlich zu sein und einen Fall nicht nur dann zu übernehmen, wenn er zu den eigenen moralischen Vorstellungen passt.
Die Indizienlage legt für das Gericht nahe, dass es sich bei Collini um den Mörder Meyers handelt. Es ist zu erwarten, dass das Urteil entsprechend ausfallen wird. Leinen hat bislang vergeblich nach etwas gesucht, das den Angeklagten entlasten könnte, bislang aber ohne Erfolg. Dann erkrankt eine Schöffin, sodass der Prozess für zehn Tage unterbrochen wird. Leinen kann diese geschenkte Zeit nutzen: Eine Bemerkung seines Vaters, der Waldbesitzer und Jäger ist, sowie Leinens Nachforschungen im Bundesarchiv in Ludwigsburg bringen den Durchbruch und dem Fall eine völlig andere Richtung. Was Leinen ermittelt hat, reicht fast 70 Jahre in die Vergangenheit zurück und lässt einige Menschen nervös werden.
Wie war's?
In Der Fall Collini bietet von Schirach seinen Lesern nicht nur einen Kriminalfall, sondern auch einen Blick auf eine in den 1960-er Jahren rasch geänderte Gesetzeslage, die so manchen, die damals um ihre Freiheit fürchten mussten, ein Leben ohne Strafverfolgung bescherte. Viele von ihnen fielen beruflich weich und hatten auch im Nachkriegsdeutschland wichtige Posten inne.
Als ehemaliger Strafrechtsanwalt hat von Schirach den Vorteil, den Gerichtsapparat genau zu kennen. Das merkt man auch diesem Buch deutlich an. Juristische Ungenauigkeiten, wie sie in der gleichnamigen Verfilmung, die in diesem Jahr in die Kinos kam, vorkommen, findet man im Roman nicht. Es werden vielmehr noch einige Details nebenher eingestreut, die vielen Lesern nicht bekannt gewesen sein dürften. Dazu zählt zum Beispiel, dass der Begründer einer Gesetzessammlung, die in Deutschland jeder kennt, der beruflich mit dem Rechtswesen zu tun hat, ein strammer Nazi war. Die Sammlung trägt seit 1931 seinen Namen; während sich Ratspolitiker deutscher Städte die Köpfe darüber heiß reden, ob Straßennamen, die sich auf Nationalsozialisten des NS-Regimes beziehen, ausgetauscht werden sollten, bleibt ausgerechnet bei der Gesetzessammlung alles beim Alten.
Ich habe Der Fall Collini sowohl gelesen als auch gehört. Wie auch schon bei anderen Hörbüchern, die auf Werke von Ferdinand von Schirach zurückgehen, hat auch hier der Schauspieler Burghart Klaußner gelesen. Obwohl ich kein Fan von Hörbüchern bin, kann ich mich diesmal nicht entscheiden, welcher Variante ich den Vorzug geben sollte.
Der Fall Collini ist 2011 als gebundene Ausgabe erschienen. Sie gibt es nur noch antiquarisch. Bei btb ist der Roman 2017 als Taschenbuch herausgegeben worden und kostet 10 Euro.