Freitag, 25. März 2022

# 341 - Ein Krimi aus einer "untergegangenen" Landschaft

Karin Joachim hat nach mehreren 2014 und 2015
erschienen Ratgeberbüchern 2016 mit Krähenzeit ihren ersten Krimi veröffentlicht. Sie lebt im Ahrtal und kennt die Gegend wie ihre Westentasche. Was lag da näher, als ihren ersten Kriminalfall dort spielen zu lassen?

Krähenzeit ist der Auftakt einer bislang vierbändigen Reihe, in deren Mittelpunkt die Kölner Kriminaltechnikerin Jana Vogt steht. Jana hat im Zuge von Ermittlungen, die im Buch nicht weiter erläutert werden, ein traumatisches Erlebnis erlitten und den ohnehin geplanten zweiwöchigen Urlaub in Ahrweiler nun bitter nötig. Ihr Airedale Terrier Usti weicht dabei nicht von ihrer Seite. Doch man ahnt es schon: Janas Wunsch nach Entspannung muss warten. Bei einem Spaziergang in den Weinbergen findet sie einen Toten. Schnell ist klar, dass es sich um einen in Ahrweiler wohnenden Hobbyhistoriker handelt.

Jana ist natürlich klar, dass sie als Beamtin des Landes Nordrhein-Westfalen bei Ermittlungen, die sich mit einem Mordfall in Rheinland-Pfalz beschäftigen, nichts verloren hat. Aber sie kann einfach nicht anders und überlegt gemeinsam mit Hauptkommissar Clemens Wieland von der Mordkommission Koblenz, was es mit diesem Mord auf sich haben könnte. Es wird immer deutlicher, dass das örtliche Kloster Marienthal eine wichtige Rolle spielt - und Jana spürt nicht nur, dass sie verfolgt wird, sondern jemand bricht sogar in ihr Hotelzimmer ein und stiehlt ein Buch, das sich mit der Geschichte des Klosters beschäftigt.

Es soll nicht bei diesem einen Toten bleiben. Schon vier Tage später wird ein Kölner Antiquitätenhändler von seiner Frau ermordet in seinem Geschäft aufgefunden. Jemand hat ihn mit einer Krähenskulptur erschlagen. Soll das ungewöhnliche Tatwerkzeug ein Hinweis sein? Und gibt es eine Verbindung zu der Ermordung des Mannes in Ahrweiler?

Jana folgt ihrem Instinkt und ihrer Kombinationsgabe. Die gute Nase ihres Hundes ist da ebenfalls sehr hilfreich. Usti wird es zum Schluss auch zu verdanken sein, dass sein Frauchen die Ermittlungen überlebt.

Lesen?

Krähenzeit ist ein spannender Lokal-Krimi, dem man die Liebe der Autorin zum Ahrtal anmerkt - das nach dem verheerenden Hochwasser im Juli 2021 anders als damals aussehen dürfte. Karin Joachim hat einen flüssigen Schreibstil, sodass das Buch eine rundum gelungene Unterhaltung bietet.

Krähenzeit ist 2016 im Gmeiner Verlag erschienen und kostet als Paperback-Ausgabe 12 Euro sowie als E-Book 8,99 Euro.

Freitag, 18. März 2022

# 340 - Alls över Plattdüütsch

Plattdeutsch, Plattdüütsch oder kurz 'Platt' kenne ich
aus meiner Kindheit. Meine Eltern sprachen mit ihren Eltern und Geschwistern sowie den Menschen aus ihrem Heimatort im Weserbergland immer Platt. An uns Kinder wurde das nicht direkt weitergegeben und hätte uns dort, wo wir aufgewachsen sind, auch nicht weitergeholfen.

Das Plattdeutsche erzeugt in mir so etwas wie ein Heimatgefühl, obwohl ich es so gut wie nicht sprechen kann; das Verstehen klappt aber meistens. Deshalb hat mich sehr interessiert, was Reinhard Goltz in seinem Buch Plattdeutsch - vom Klönen und Schnacken darüber zu sagen hat.

Goltz ist seit 20 Jahren Sprecher des Bundesrates für Niederdeutsch - wie das Plattdeutsche in wissenschaftlichen Kreisen bezeichnet wird - und hat zahlreiche Bücher auf Platt veröffentlicht. In 48 Kapiteln hat er sich dem Plattdeutschen von allen Seiten genähert: Man erfährt viel über die Grammatik, die Herkunft zahlreicher Begriffe, die unterschiedlichen Varianten des Platts in deutschen Städten oder Regionen sowie eine Menge Anekdoten über das Plattdeutsche. 

Beim Lesen ist mir aufgefallen, dass ich selbst Begriffe verwende, die aus dem Plattdeutschen stammen: So sage ich z. B. 'Trecker' anstatt 'Traktor' oder 'Döneken', wenn ich 'Blödsinn' meine.
Reinhard Goltz hat sich auch Beispiele für plattdeutsche Lieder angesehen: 'Dat du mien Leevsten büst' ist so etwas wie eine Hymne des Plattdeutschen. Das schreibt der Autor und ich empfinde das ebenso. Dieses Lied ist mir immer wieder begegnet, eine der schönsten Versionen ist beim Chorexperiment des NDR entstanden, das ihr hier sehen und hören könnt - mit Text.

Ganz nebenbei erfährt man beim Lesen viel über die Geschichte der Hanse, den Piraten Störtebeker (und die Bedeutung seines Namens) oder die niederdeutsche Herkunft von Familiennamen. Und noch etwas Vertrautes, aber lang Vergessenes ist mir hier wieder begegnet: Das Gedicht des Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland. Bislang war mir nicht aufgefallen, dass darin nur die wörtliche Rede auf Platt formuliert ist, denn diese Sätze haben sich mir eingeprägt, seitdem ich das Gedicht in der Schule kennengelernt habe: "Junge, wiste 'ne Beer?" - "Lütt Dirn, kumm man röwer, ick hebb 'ne Birn." Der alte Herr von Ribbeck stirbt, aber auf seinem Grab wächst ein Birnbaum, und eine flüsternde Stimme fordert die Kinder auf, sich eine Birne zu nehmen.

Plattdeutsch - vom Klönen und Schnacken wird auch an anderer Stelle zu einer Reise in die Vergangenheit: Die volkstümlichen Stücke des Hamburger Ohnsorg-Theaters wurden und werden auf Platt aufgeführt und waren früher als Fernsehübertragungen ziemlich beliebt.
Goltz verweist auch auf die plattdüütschen Radiosendungen, die von norddeutschen Sendeanstalten ausgestrahlt werden. Auch da kenne ich eine noch aus meiner Kindheit: 'Hör mal 'n beten to' ist seit mehr als 60 Jahren Teil des Programms von NDR 1. 

Lesen?

Auf jeden Fall, wenn man sich für Sprachen und insbesondere für Plattdüütsch interessiert!

Plattdeutsch - vom Klönen und Schnacken ist im März 2022 im Duden Verlag erschienen und kostet 12 Euro.

Freitag, 11. März 2022

# 339 - Die Wiederentdeckung eines einst bekannten spanischen Reporters

Manuel Chaves Nogales war in den 1920-er, 1930-er und 1940-er Jahren einer der bekanntesten und herausragendsten spanischen Journalisten. Er wurde 1897 in Sevilla geboren und starb 1944 im Exil in London. Rückblickend kann man sagen, dass er zu den ersten narrativen Journalisten gehörte.

Chaves Nogales war ein liberal denkender Mensch, der aufgrund seiner Haltung Feinde sowohl im kommunistischen als auch faschistischem Lager hatte: Die seit 1931 existierende Zweite Spanische Republik wurden von diesen beiden politischen Strömungen scharf attackiert. Ihr Ende wurde 1936 durch einen Staatsstreich gegen die linke demokratisch gewählte Regierung eingeläutet, der von einem rechtsgerichteten General angeführt worden war und später in den Spanischen Bürgerkrieg mündete.

Für die 1930 in Madrid gegründete Zeitung Ahora arbeitete Chaves Nogales ab 1931 als Direktor und berichtete in seinen Vor-Ort-Reportagen aus der ganzen Welt. Seine Texte telegrafierte er Wort für Wort nach Spanien. Auch für damalige Verhältnisse waren die Artikel sehr ausführlich, für heutige ohnehin. Als die Regierung Madrid verließ, ging Chaves Nogales ins Exil nach Paris, das er wenige Jahre später verließ, als sich die deutschen Truppen auf die französische Hauptstadt zu bewegten. London wurde für seine letzten Lebensjahre Chaves Nogales' Heimat.

Mit dem Ende von Ahora 1939 verschwand Manuel Chaves Nogales in der Wahrnehmung der spanischen Bevölkerung. Eine liberale Presse existierte in Spanien nicht mehr. Die Leserschaft der Ahora hatte keinen Zugriff auf seine Reportagen, die nun in Zeitungen und Zeitschriften außerhalb Spaniens abgedruckt wurden. So wurde der Journalist im Laufe der Zeit vergessen. Erst eine Forschungsarbeit der Professorin María Isabel Cintas Guillén führte dazu, dass man sich in Spanien nicht nur mit der Person des Journalisten Manuel Chaves Nogales, sondern auch mit seinen Reportagen beschäftigte, um Teile der spanischen Geschichte, insbesondere die Zeit des Franco-Regimes, aufzuarbeiten.

Das Buch Ifni - Spaniens letztes koloniale Abenteuer beschäftigt sich mit einer Reise von Manuel Chaves Nogales im Jahr 1934. Der Journalist begleitete eine kleine spanische Expeditionsgruppe in die marokkanische Enklave Ifni, die den Auftrag hatte, dort die spanische Kolonialisierung zu realisieren. Vor Ort ging er einem Gerücht nach, das mit einem Trauma des spanischen Militärs zusammenhängt, dem "Desaster von Annual". In Spanien wurde damals immer wieder kolportiert, dass dort noch 300 spanische Soldaten von Berbern gefangen gehalten werden. Chaves Nogales entlarvte dieses Gerücht als "politisches Spiel mit der Leichtgläubigkeit", wie es der Übersetzer und Verleger Frank Henseleit in seiner ausführlichen Einführung beschreibt.

Ifni - Spaniens letztes koloniale Abenteuer enthält drei Reportagen des einst bekannten Journalisten: Neben dem über die Gefangenen berichtet der Spanier über die Kolonisierung von Ifni sowie über seine Bruchlandung auf dem Weg dorthin. Alle Artikel wurden aus den jeweiligen Original-Zeitungsartikeln von Henseleit übersetzt und mit dem Zeitungskopf der Ahora ausgestattet. Der erste Artikel stammt vom 10. Januar 1934 und kann hier im Original nachgelesen werden.

Manuel Chaves Nogales tat das, was wir uns auch heute von Journalisten wünschen: Er ging auf Menschen zu, war mittendrin im Geschehen, stellte kritische Fragen und nahm seine Leserschaft mit - in fremde Länder ebenso wie in seine Gedanken. Das alles fasste er in verständliche Worte und ausführliche Artikel, die umfassend informierten.

Lesen?

Ifni - Spaniens letztes koloniale Abenteuer verdient unbedingt eine Leseempfehlung. Alles, was Leserinnen und Leser für das geschichtliche Verständnis benötigen, um Chaves Nogales' Artikel zu verstehen, steht in Frank Henseleits Einführung. 

Das Buch ist 2021 im Kupido Verlag erschienen und kostet 24,80 €. Unter dem Verlagslink findet ihr einen Buch-Teaser mit weiteren interessanten Informationen über Manuel Chaves Nogales. Der Verlag beginnt mit dieser Veröffentlichung eine Reihe über die Werke des spanischen Journalisten.

Sonntag, 6. März 2022

338 - Dystopie mit Auffangnetz

John Ironmonger hat sich in seinem 2019 erschienenen Buch Der Wal und das Ende der Welt die Frage gestellt, wie es sein würde, wenn die Welt von einem extrem gefährlichen Virus bedroht werden würde. Nein, kein Corona-, sondern ein extrem gefährlicher Grippevirus ist es, der die Menschheit existenziell bedroht.

Ironmonger wurde durch  ein Forschungsprojekt auf die Idee zu seinem Buch gebracht, von dem er 2014 erfahren hatte. Der an der University of Wisconsin-Madison beschäftigte Wissenschaftler Yoshihiro Kawaoka hatte auf der Grundlage des Erregers der Spanischen Grippe eine besonders aggressive Virusmutation entwickelt, die dem menschlichen Immunsystem entgehen kann. Das Projekt war sehr umstritten und Kawaoka hat wegen der Gefährlichkeit der neuen Virusmutation seine Forschungsergebnisse nicht veröffentlicht. Das Ergebnis seiner Arbeit liegt seitdem in einem Hochsicherheitslabor.

Die Hauptperson des Romans ist Jason "Joe" Haak, ein junger Mathematiker, der als Analyst bei einer Investmentbank arbeitet. Um besonders erfolgreich bei Leerverkäufen von Aktien zu sein, entwickelt Joe das Programm "Cassie", das Krisen in einem begrenzten Zeitraum berechnen und vorhersagen kann. Doch dann scheint Cassie zu versagen, der Bank entstehen Millionenverluste. Joe verlässt fluchtartig seinen Arbeitsplatz.

Verzweifelt fährt er ziellos umher, bis die Straße in dem kleinen abgelegenen Fischerdorf St. Piran in Cornwall endet. Hier geht Joe nackt in den Atlantik, um seinem irdischen Dasein ein Ende zu machen. Doch der Plan geht nicht auf: Durch die Welle, die ein auftauchender Finnwal verursacht, wird er an den Strand gespült. Joe überlebt, doch einen Tag später wird ein Finnwal an den Strand von St. Piran gespült, der nicht aus eigener Kraft zurück ins Meer kommt. Joe motiviert die Dorfbewohner, das Tier mit vereinten Kräften zu retten, und wird für die Einheimischen zum Helden.

Joe lässt der Gedanke an Cassie jedoch keine Ruhe und er wählt sich in das Programm ein. Was er dort sieht, lässt Böses ahnen: Ein offenbar sehr aggressiver Grippevirus hat seine Wanderung um die Erde angetreten. Joe ist sofort klar, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis auch in den Dörfern Cornwalls die ersten Menschen erkranken und sterben würden. Er beschließt, Vorsorge zu treffen und sein ganzes Vermögen einzusetzen, um die Menschen in St. Piran vor diesem Schicksal zu retten. Cassie kann zwar Ereignisse und ihre Auswirkungen bewerten, nicht aber, wie sich Menschen in Notlagen verhalten. Liegt hierin eine Chance?

Lesen?

John Ironmonger nimmt sowohl bei Thomas Hobbes' Leviathan, der biblischen Geschichte "Jona und der Wal" als auch dem Buch "Kollaps - Warum Gesellschaften überleben oder untergehen" des Pulitzer-Preisträgers Jared Diamond Anleihen. Er macht sich darüber Gedanken, inwieweit es noch einen gesellschaftlichen Zusammenhalt gibt, wenn eine riesige Katastrophe über uns hereinbricht.

St. Piran hält zusammen, obwohl die 307 Bewohnerinnen und Bewohner keine homogene Gemeinschaft sind. Ironmonger erzählt von Geheimnissen, ungewöhnlichen Fähigkeiten einzelner Menschen und - das darf wohl nicht fehlen - der Liebe. Es geht in seinem Buch um Ethik und Moral sowie den unbedingten Willen, das eigene Leben und das der Mitmenschen zu erhalten.

Eine uneingeschränkte Leseempfehlung möchte ich nicht abgeben. Der Roman gehört zwar zu der Sorte, die man zur Hand nimmt und erst nach dem Lesen der letzten Seite wieder weglegt; dennoch empfinde ich ihn in der Gesamtschau als zu weichgespült und in weiten Teilen vorhersehbar. Das Ende, das sich Ironmonger für seinen Helden Joe überlegt hat, habe ich als unglaubwürdig und merkwürdig empfunden. Der Wal und das Ende der Welt ist so etwas wie eine Dystopie light.

Der Roman ist im S. Fischer Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe 22 Euro, als Taschenbuch 12 Euro sowie als Hörbuch 9,99 Euro.