Freitag, 25. September 2020

# 258 - Abgebrochen: Das Restaurant hat für mich nicht geöffnet

Auf dieses Buch bin ich zufällig gestoßen. Das Thema
sprach mich an, und als ich las, dass es 2016 für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert worden ist, habe ich zugegriffen.


Im Restaurant - Eine Geschichte aus dem Bauch der Moderne von Christoph Ribbat betrachtet das Phänomen Restaurant aus allen erdenklichen Perspektiven, die mit ihm zusammenhängen und unternimmt eine Zeit- und Stilreise durch die Welt der Speisegaststätten und Nobel-Gourmettempel. Er hat sein Buch in vier Kapitel unterteilt und streut immer wieder Anekdoten aus Küchen und Gasträumen in seine Betrachtungen ein. Doch was Ribbat mit 'Eine Geschichte' im Buchtitel andeutet, ist dieses Werk gerade nicht: Es wird keine Geschichte erzählt, die ihren roten Faden in der Chronologie der Ereignisse hätte; Ribbat springt in der Zeitgeschichte vor und zurück, oft wird sogar innerhalb eines Abschnitts nicht klar, auf wen oder was sich das eben Geschriebene gerade bezieht: Dass es sich beispielsweise bei Julius Behlendorff nicht um den Inhaber eines Nobelrestaurants gehandelt hat, erschließt sich mir erst im Nachhinein. Das ist auch mein eigener Fehler, weil der Autor mit der Nummerierung seiner Quellen indirekt einen Hinweis darauf gegeben hat. Aber das Quellenverzeichnis nimmt mit 25 Seiten etwa zehn Prozent des gesamten Buches ein und ich gebe zu, dass mir das ständige Blättern zu lästig ist.


Vermutlich sollte es das Interesse steigern, wenn manche Episoden zunächst abrupt enden und dann an anderer Stelle fortgesetzt werden. Mit dieser Methode fällt es jedoch nicht leicht, die losen Enden später wieder aufzunehmen, sodass der erwähnte rote Faden noch mürber wird. Da dies nicht nur mit einer, sondern zeitgleich mit mehreren Handlungssträngen passiert, ist das Lesen manchmal anstrengend.


Doch Ribbat zeigt auch, was das Restaurant ebenfalls ausmacht: Da geht es dann zum Beispiel um die aufopferungsvolle Selbststudie einer Studentin in Chicago im Jahr 1917, die in verschiedenen Lokalen jobbt und ihre deprimierenden Erkenntnisse über das Arbeitsleben des Restaurantpersonals zusammenfasst; auch auf Prominente in der Küche und an den gedeckten Tischen wird verwiesen, die Bandbreite reicht hier von Wolfgang Siebeck und Eckart Witzigmann bis zu James Baldwin und auch Joseph Goebbels. Durch das Buch weht so auch immer wieder eine Kritik an den Verhältnissen in der Gastronomie und dem teilweise unangenehmen Umgang der Gäste mit dem Restaurantpersonal. An einer Stelle wird ein kurzer Blick auf einen der durch die NSU verübten Morde geworfen: Ein Freund der Familie bringt den Leichnam des Getöteten in sein Heimatdorf in der Osttürkei. Der Bezug zum Thema Restaurant: Dieser Freund betreibt in Rostock einen Kebap-Grill, außerdem hält es der Bruder des Mordopfers im Dorf nicht mehr aus und kellnert in Antalya. Mehr erfährt der Leser hierzu nicht, sodass der Eindruck haften bleibt, dass der kurze Exkurs auf jeden Fall in das Buch hinein sollte.


Lesen?

Die Art, sich der Geschichte des Restaurants und aller weiterer Facetten der Gastronomie zu widmen, hat mich nicht angesprochen. Die oft sehr kurzen Schlaglichter und das ständige Wechseln von Zeit und Ort machen das Lesen ermüdend. Auf Seite 161 habe ich das Buch zugeklappt.


Im Restaurant - Eine Geschichte aus dem Bauch der Moderne ist 2016 im Suhrkamp Verlag erschienen und kostet als gebundene Ausgabe beim Verlag 19,95 Euro, im Buchversand jedoch nur noch 4,99 Euro. Das Taschenbuch wird für 12 Euro angeboten.

Freitag, 18. September 2020

# 257 - Vom Martials-Arts-Kämpfer zum treusorgenden Familienvater?

Vor seiner Heirat mit Sarah hatte Daniel sein Geld mit Martial-Arts-Kämpfen in ganz Kanada und "Dienstleistungen" für einen alten Freund seines Vaters, den Gangster Clayton aus dem Stamm der Mohawk, verdient. Doch er hat seiner Frau versprochen, damit aufzuhören und sich das selbst fest vorgenommen. Die Geburt seiner Tochter bestärkt diesen Entschluss. Seitdem jobbt Daniel als Schweißer und Tagelöhner, seine Frau arbeitet in einem Altenheim. Was in Kevin Hardcastles Krimi Im Käfig noch halbwegs harmlos daherkommt, soll sich schon bald förmlich hochschaukeln.

Das halbwegs bürgerliche Leben hat seinen Preis: Die kleine Familie kommt gerade so über die Runden und lebt in kargen Verhältnissen. Dann passieren zwei Dinge fast gleichzeitig: Daniels Schweißgerät wird gestohlen und sein Arbeitgeber beschäftigt ihn zunächst nur noch halbtags und dann gar nicht mehr. Daniel beginnt wieder im Gym zu trainieren und kommt zu seiner alten Form zurück. 

Aus dem gelegentlichen Trainig entwickelt sich mehr: Daniel hofft, mit seinen Kampfprämien seine Familie ernähren zu können und bietet Clayton eine Wette auf den nächsten Kampf an. Daniel ist sich sicher, wieder zu gewinnen, aber er hat nicht mit der Hinterhältigkeit des Mafiabosses gerechnet, der den Ringrichter besticht. Der Kampf geht für Daniel offiziell verloren, nun hat Clayton ihn in der Hand.

Als ob das nicht schon genug Ärger ist, macht sich Daniel schnell Claytons Neffen Aaron Tarbell zum Feind, einen gewissenlosen und mordsüchtigen Verbrecher, der Menschen aus nichtigstem Anlass brutal umbringt. Als dieser aus Rachsucht Sarah ermordet, bricht ein blutiges Inferno los.

Lesen?

Man muss kein Experte für Martial Arts sein, um dieses Buch zu mögen. Die eingestreuten Fachbegriffe können unkundige Leser ignorieren. Hardcastle schildert in einer eindringlichen und nichts beschönigenden Sprache den täglichen Überlebenskampf der kleinen Familie, der von viel Liebe, aber auch einer Mischung aus Zweckoptimismus und Verzweiflung, getränkt mit reichlich Alkohol, geprägt ist. Trotz ihrer schwierigen Situation bewahren sich Sarah und Daniel immer ihren Stolz und treten füreinander und für ihre Tochter ein, die der Mittelpunkt ihres Lebens ist. Hardcastle schildert viele gewalttätige Szenen, benutzt diese aber nicht als Vehikel für einen Spannungsaufbau.

Vier Jahre hat Kevin Hardcastle an Im Käfig gearbeitet, bis er mit seinem Buch zufrieden war. Eine Zeit, die sich gelohnt hat.

Im Käfig ist 2019 im Polar Verlag erschienen und kostet als gebundenes Buch 20 Euro sowie als E-Book 15,99 Euro.

Sonntag, 13. September 2020

# 256 - Der Blick ins Oval Office aus der ersten Reihe

Je näher die US-Wahl am 3. November 2020 rückt, umso mehr Menschen, die dem amtierenden Präsidenten auf die eine oder andere Weise nahe stehen oder standen, veröffentlichen ein Buch mit ihrer Sicht auf ihn. Nicht immer ist klar, was die Autorinnen und Autoren dazu bewogen hat, doch bei John Bolton gibt es hinsichtlich seiner Motivation keinen Zweifel. 

Bolton hat sich aus "kleinen" Verhältnissen hochgearbeitet und ist sein Leben lang für die Republikanische Partei eingetreten. Schon im Alter von 16 Jahren engagierte er sich für den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Barry Goldwater, während der Amtszeiten von Ronald Reagan und Bush sen. und jun. hatte er mehrere verantwortugsvolle Positionen in der US-Administration inne. Als er im April 2018 als Nationaler Sicherheitsberater in Trumps Dienst eintrat, war er im 70. Lebensjahr und damit in einem Alter, in dem andere ihr Leben genießen. Das kam für ihn jedoch nicht infrage: Er wollte noch mitmischen und hat auch Trump gegenüber immer wieder betont, dass er nur an zwei Positionen Interesse hat: der des Außenministers und der des Nationalen Sicherheitsberaters.

Zum Zeitpunkt seiner Amtsübernahme hat Bolton sicher nicht damit gerechnet, was ihn in den nächsten Monaten erwarten würde. Er beschreibt mit beinahe buchhalterischer Genauigkeit, was sich während seiner 519 Amtstage in der Welt an politisch Bedeutsamem zugetragen hat und wie seiner Ansicht nach damit hätte umgegangen werden müssen, aber nicht wurde. Während Bolton sich zu Beginn noch über das administrative Chaos um den Präsidenten herum wundert, seine Grundhaltung diesem gegenüber aber grundsätzlich positiv ist, beginnt die Stimmung irgendwann zu kippen. Bolton registriert, dass Trumps Entscheidungen, wie die USA mit den globalen Krisenherden umgehen sollten, nicht auf Fakten und Erfahrungen beruhen, sondern fast durchgehend einem Impuls entspringen: Was heute gilt, kann schon morgen überholt sein. Die wichtigste Richtschnur bei der Entscheidungsfindung ist nicht das Wohl des amerikanischen Volkes, sondern der Nutzen für die eigene Wiederwahl.

Dass Donald Trump nicht über nennenswerte geographische oder historische Kenntnisse verfügt, ist nichts Neues. Auch seine Zuneigung zu Autokraten wie Putin oder Kim Jong-Un sowie sein ambivalentes Verhältnis zum chinesischen Staatspräsidenten Xi Jinping ist schon häufig in den Medien geschildert worden. Aus Boltons Sicht, der diese Zuneigung nicht teilt, hat sich der US-Präsident von ihnen immer am Nasenring herumführen lassen, ohne deren wahre Absichten zu verstehen. Bolton schildert Ereignisse, die belegen, wie gleichgültig Trump demokratische Prozesse und der diplomatische und - als letztes Mittel - militärische Umgang mit Krisen sind. Seine Denkweise ist von Dogmen geprägt, die sich gebetsmühlenartig wiederholen: "Warum sind wir da?", wenn er registriert, dass sich US-Truppen im Ausland befinden, oder "die EU ist schlimmer als China, nur kleiner", was sich immer anbietet, wenn es warum auch immer um einen EU-Mitgliedsstaat geht oder den Staatenbund als Ganzes. Ebenfalls bekannt ist sein gestörtes Verhältnis zu Frauen in Machtpositionen.

Bolton muss sich wie Don Quijote beim Kampf gegen die Windmühlenflügel vorgekommen sein, wenn  immer dann, wenn sich ein für die USA günstiger Regierungswechsel im Ausland abzeichnete (Iran, Venezuela, Syrien), seine Vorschläge für eine militärische Intervention ignoriert wurden. Der Grund für Trumps Ablehnung lag jedoch nicht darin, die amerikanischen Soldaten schützen oder einen Krieg verhindern zu wollen; er wurde stets von einem isolationistischen Leuchtturmdenken geleitet, dem die Erkenntnis, dass kein Land auf der Welt für sich allein steht, völlig fremd ist.
Bolton litt zusehends auch unter dem Chaos, das der Präsident ständig verursachte, und war befremdet von dessen Rachsucht, die auch diejenigen Menschen einschloss, die ihm nicht mehr schaden konnten.

Bolton zeichnet in Der Raum, in dem alles geschah ein Bild des amtierenden US-Präsidenten, das niemanden überraschen dürfte, der das Weltgeschehen in den letzten Jahren ein bisschen verfolgt hat. Mutmaßlich unfreiwillig gibt er seinen Lesern jedoch auch Einblick in seine eigene Persönlichkeit. Die Welt hatte, als Bolton zum Nationalen Sicherheitsberater ernannt wurde, bereits seit über einem Jahr dem erratischen und egomanischen Treiben Trumps zusehen müssen. Da wirkt Boltons Wunsch, in dieser Regierung etwas bewirken zu können, sehr naiv. Die Erkenntnis, dass Trump nicht auf seine besten Berater hört, sondern auf die Person, mit der er zuletzt gesprochen hat, ist Bolton relativ früh gekommen. Er muss sich im Rückblick selbst fragen, warum er fast eineinhalb Jahre trotzdem in der Rolle des Zuträgers geblieben ist. Nicht zuletzt wirkt auch seine Weigerung, vor dem Untersuchungsausschuss auszusagen, der im Rahmen des Amtsenthebungsverfahrens gegen Trump eingerichtet wurde, unglaubwürdig. Wäre es nicht die Gelegenheit gewesen, sich dieses unfähigen Präsidenten zu entledigen? Oder spielten dabei eigene wirtschaftliche Überlegungen hinsichtlich der Buchveröffentlichung eine Rolle?

Sehr unangenehm wirkt auch das Schwarz-Weiß-Denken, in dem sich Trump und Bolton gar nicht so unähnlich sind. Es ist überall üblich, dass sich politische Gegner in der Öffentlichkeit nicht das Schwarze unter den Fingernägeln gönnen. Das Ausmaß der Verachtung, das Bolton jedoch sämtlichen demokratischen Politikern entgegenbringt, ist symptomatisch für die derzeitige politische Situation in den USA: Da wird nicht mehr debattiert, sondern der Gegner in die Nähe von Kriminellen gerückt und regelrecht verteufelt. Die fragwürdige Politik unter republikanischen Präsidenten, an der Bolton maßgeblich beteiligt war, wird nicht angesprochen. Ein derart vergiftetes Klima schadet jedem Land.

Verärgert beschreibt Bolton viele Male, wie sich Trump von Beratern beeinflussen ließ und vergisst dabei, dass er das ebenso versucht hat - wenn auch immer öfter vergeblich. Der Bürokratie bringt der Ex-Sicherheitsberater viel Verachtung entgegen: Die Bedenken des damaligen Finanzministers sind ihm zu kleinlich, der Wunsch des Außenministers nach Verhandlungen ist lästig. In vielen Situationen wirkt er persönlich beleidigt.
Die Presse kommt bei Bolton sehr schlecht weg: Wo immer Reporter auftauchen, bezeichnet er sie als "Pressemeute" oder "Pressemob"; als Teil einer demokratischen  Kultur sieht er die Medien nicht. 

Bolton schreibt in seinem Buch sinngemäß, das erste Jahr als Nationaler Sicherheitsberater sei ihm wie zehn Jahre vorgekommen. Man glaubt das unbesehen.

Der Raum, in dem alles geschah ist 2020 bei Das Neue Berlin erschienen und kostet als gebundenes Buch 28 Euro sowie als E-Book 18 Euro.

Zu diesem Buch hatte die Agentur Literaturtest eine Blogtour veranstaltet, die mit diesem Beitrag begann.

Anmerkung: Wer mehr über das Sterben der Demokratie vor allem in den USA erfahren möchte, kann hier weiterlesen.


 

Samstag, 5. September 2020

# 255 - Meissener Porzellan ist immer begehrt

Johann Friedrich von Allmen ist durch eine Erbschaft zu Reichtum gekommen. Doch die Titelfigur des Romans Allmen und die Erotik von Martin Suter ist zwar gut darin, das Geld mit vollen Händen auszugeben, aber schlecht im Geldverdienen. Glücklicherweise gibt es da aber Carlos, der für Allmen sowohl Hausangestellter als auch Geschäftspartner bei der auf der Wiederbeschaffung von Kunstwerken spezialisierten Agentur 'Allmen International Inquiries' ist, als auch dessen Partnerin Maria, die für die dringend nötige Bodenständigkeit in diesem Haushalt sorgt. Das Paar lebt illegal in der Schweiz.

Wenn die Schulden zu groß werden, wird Allmen in der Wahl, diesem Zustand abzuhelfen, nicht zimperlich. Und so erwischt ihn der Wachmann Krähenbühler beim Stehlen eines Farbergé-Eis aus einer Vitrine der literarischen Gesellschaft Sternwald. Da der Vorgang auf Krähenbühlers Smartphone per Video festgehalten ist, ist Allmen nun erpressbar. Diesen Umstand nutzt Krähenbühler, um Allmen von einem Geschäft zu "überzeugen": Seine Firma 'Allsecur' sorgt für das Verschwinden von Wertgegenständen und Allmens Agentur für deren wundersames Auftauchen.

Krähenbühler ist zu Ohren gekommen, dass in den Räumen der Firma 'Loginew International Transports & Relocation' eine wertvolle Sammlung mit Stücken aus altem Meissener Porzellan lagert. Vor allem diejenigen mit anzüglichen Motiven sind selten und unter Sammlern begehrt. Die Sicherheitsvorkehrungen des Lagerhauses sind allerdings lückenhaft, sodass Allmen und Carlos in der Not zu Dieben werden und einige Porzellanmodelle stehlen. Als der Eigentümer der Sammlung stirbt, wird dessen Enkelin Jasmin Alleinerbin - eine hübsche junge und nun auch reiche Frau, die in einer strengen Sekte keusch und fern von allem Weltlichen erzogen wurde. Der eitle Allmen verliert schon bei der ersten Begegnung sein Herz an sie. Was sind schon fünfundzwanzig Jahre Altersunterschied, wenn endlich die Richtige vor einem steht? Und was ist dagegen einzuwenden, Liebe und Wohlstand miteinander zu verknüpfen?

 

Lesen?

Allmen und die Erotik ist der fünfte Band rund um den veramten Lebemann Johann Friedrich von Allmen, einem Gentleman der alten Schule. Das Buch ist kein Krimi mit einem ausgeprägten Spannungsbogen oder gar viel Gewalt, sondern eher leicht und humorvoll, wobei die Handlung durch die Eigenarten der Hauptfiguren ihre Würze erhält. Für gute Unterhaltung ist gesorgt, zumal das Ende eine echte Überraschung bereithält.

Allmen und die Erotik  ist 2018 im Diogenes Verlag erschienen und kostet als gebundenes Buch 20 Euro, als Taschenbuch 13 Euro sowie als E-Book (epub) 10,99 Euro.