Fans von Fantasy-Büchern ist sein Name auf jeden Fall ein Begriff: Der 2015 verstorbene britische Schriftsteller Terry Pratchett ist vor allem für seine 41 Romane aus der Scheibenwelt-Reihe bekannt.
Im Herbst 2009 erfuhr Pratchett im Alter von nur 59 Jahren, dass er an
einer seltenen Variante von Alzheimer erkrankt war. Er gehörte nicht zu den Menschen, die Angst vor dem Sterben an sich hatten. Seine Ängste richteten sich gegen die Art des Sterbens: Pratchett hatte mit der Diagnose realisiert, dass ihm nun die Möglichkeit verwehrt sein würde, das Ende des Leidenswegs selbst zu bestimmen. Seine Wut über diesen Zustand kanalisierte er auf eine Weise, die er am besten beherrschte: schreibend.
Der kleine Band Dem Tod die Hand reichen ist 2016 erschienen und enthält eine Rede Pratchetts, die am 1. Februar 2010 von der BBC aus der Royal Society of Medicine ausgestrahlt wurde. Die Rede hielt Pratchett anlässlich der jährlich stattfindenden Richard Dimbleby Lecture, die sich gesellschaftlichen Themen widmet. Die Reihe wird zu Ehren des ersten Kriegsberichterstatters der BBC fast jedes Jahr gesendet. Der Journalist Dimbleby war 1965 an Krebs gestorben. Seine Familie hatte damals ein gesellschaftliches Tabu gebrochen, indem sie offen über die Todesursache gesprochen hatte. Das setzte in Großbritannien erstmals eine öffentliche Diskussion über diese Krankheit in Gang.
Möglicherweise hatte die BBC Pratchett genau deshalb gebeten, für die Ausgabe des Jahres 2010 einen Vortrag zu halten, weil sie sich eben diesen Effekt von 1965 erhoffte. Pratchett schonte in seiner Rede inhaltlich weder sich noch sein Publikum. Er berichtete davon, dass kein Arzt berechtigt war, ihm das einzige palliative Alzheimer-Medikament zu verschreiben, das erhältlich war. Er kritisierte, dass der Begriff der 'Sterbehilfe' ("assisted death") in Großbritannien immer noch unter dem Schlagwort 'Beihilfe zur Selbsttötung' ("assisted suicide") läuft.
Der Autor spricht sich deutlich für eine medizinische Sterbehilfe aus, wenn Patienten unter einer todbringenden Krankheit leiden und ihr Leben ausdrücklich beenden wollen. Pratchett greift auch die oft wiederholte Kritik der Sterbehilfe-Gegner auf, die auf den möglichen Missbrauch hinweisen. Er führt eine Studie aus dem US-Bundesstaat Oregon an, über die 2007 im 'Journal of Medical Ethics' berichtet wurde. Dort wurde die Sterbehilfe legalisiert, aber es gab keine Hinweise darauf, dass sie bei wehrlosen Patienten missbräuchlich angewendet wurde.
Pratchett machte in seiner Rede einen Vorschlag, wie mit dem Thema Sterbehilfe künftig umgegangen werden sollte und löste in seiner Heimat tatsächlich eine gesellschaftliche und politische Diskussion aus.
Dem Tod die Hand reichen ist im Manhattan Verlag erschienen und kostet als gebundenes Buch 10 Euro sowie als E-Book 8,99 Euro.
Jede Woche stelle ich ein Buch vor, das ich gelesen habe und das mich auf irgendeine Weise berührt hat.
Samstag, 28. Dezember 2019
Sonntag, 22. Dezember 2019
# 222- Eine Geschichte vom Abschiednehmen
Vatersohn hat Monika Boldt ihr erstes Buch betitelt und damit in diesem einen Wort viel von dessen Inhalt gesagt.
Im Mittelpunkt steht die Familie Kampmann. Die
Handlung spielt in der Nähe von Düsseldorf in den 1970-er Jahren. Vater Kampmann ist Lokführer, die Mutter kümmert sich um die beiden Kinder und den Haushalt. Der Sohn Marten ist zehn Jahre alt, seine Schwester Liz einige Jahre älter. Auch die Oma, Vater Kampmanns Mutter, spielt eine Rolle.
Der Alltag ist berechenbar und läuft nach einem festen Muster ab. Jeder hat seine Pflichten zu erfüllen. Der Vater ist für seinen Sohn ein Vorbild, das Kind bewundert seine Fähigkeiten und Kenntnisse beim Umgang mit Zügen.
Doch dann kommt der Tag, der alles durcheinanderwirft. Ein Selbstmörder steht plötzlich auf den Gleisen, als Kampmann die Strecke fährt, die er längst auswendig kennt. Es dauert 48 Sekunden, bis der Zug nach der Vollbremsung zum Stehen kommt. Die längsten 48 Sekunden in Kampmanns Leben. Zu lang, um den unbekannten Mann zu retten.
Der Lokführer ist seelisch tief erschüttert und versucht, den Vorfall zu verarbeiten. Dabei ist er praktisch auf sich allein gestellt. Diese Belastung ist zu viel für ihn, er stirbt wenige Wochen nach dem Unfall.
Sein Tod bringt seine Familie an den Abgrund der Verzweiflung. Die Mutter schafft es in ihrem Schmerz nicht, für ihre haltlosen Kinder da zu sein. Marten versucht sich zu schützen, indem er sich einredet, dass sein Vater nur für eine Weile weg sei und irgendwann zurückkomme. Da bekommt er eine Nachricht, die seine Welt erneut ins Wanken bringt. Er fasst einen wahnwitzigen Plan.
Vatersohn erzählt von sich nach einem Schicksalsschlag lösenden familiären Bindungen, der Vorstellung der damaligen Gesellschaft, dass man mit Belastungen selbst fertig werden muss und die Zeit alle Wunden heilt und von der Erkenntnis, dass sich in der eigenen Familie keineswegs die besseren Menschen befinden. Die Leichen befinden sich allerdings nicht im Keller.
Monika Boldts Roman ist ein sehr gelungenes Debut, das nach dem Lesen der letzten Sätze noch nachhallt. Die Autorin liest hier einige Abschnitte aus ihrem Buch:
Vatersohn ist im Karl Rauch Verlag erschienen und kostet 20 Euro. Der Titel ist sehr schön mit einem strukturierten Bezugspapier und einem Lesebändchen ausgestattet.
Im Mittelpunkt steht die Familie Kampmann. Die
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© Karl Rauch Verlag |
Der Alltag ist berechenbar und läuft nach einem festen Muster ab. Jeder hat seine Pflichten zu erfüllen. Der Vater ist für seinen Sohn ein Vorbild, das Kind bewundert seine Fähigkeiten und Kenntnisse beim Umgang mit Zügen.
Doch dann kommt der Tag, der alles durcheinanderwirft. Ein Selbstmörder steht plötzlich auf den Gleisen, als Kampmann die Strecke fährt, die er längst auswendig kennt. Es dauert 48 Sekunden, bis der Zug nach der Vollbremsung zum Stehen kommt. Die längsten 48 Sekunden in Kampmanns Leben. Zu lang, um den unbekannten Mann zu retten.
Der Lokführer ist seelisch tief erschüttert und versucht, den Vorfall zu verarbeiten. Dabei ist er praktisch auf sich allein gestellt. Diese Belastung ist zu viel für ihn, er stirbt wenige Wochen nach dem Unfall.
Sein Tod bringt seine Familie an den Abgrund der Verzweiflung. Die Mutter schafft es in ihrem Schmerz nicht, für ihre haltlosen Kinder da zu sein. Marten versucht sich zu schützen, indem er sich einredet, dass sein Vater nur für eine Weile weg sei und irgendwann zurückkomme. Da bekommt er eine Nachricht, die seine Welt erneut ins Wanken bringt. Er fasst einen wahnwitzigen Plan.
Lesen?
Monika Boldts Roman ist ein sehr gelungenes Debut, das nach dem Lesen der letzten Sätze noch nachhallt. Die Autorin liest hier einige Abschnitte aus ihrem Buch:
Vatersohn ist im Karl Rauch Verlag erschienen und kostet 20 Euro. Der Titel ist sehr schön mit einem strukturierten Bezugspapier und einem Lesebändchen ausgestattet.
Freitag, 13. Dezember 2019
# 221 - Lanzarote, Politik, Selbstbestimmung & mehr: Essays 2005 - 2014
Bei diesem Buch habe ich schon beim Lesen des ersten Textes unwillkürlich zustimmend genickt. Es
handelt sich um das Vorwort zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte in einer 2005 von der Büchergilde Gutenberg herausgegebenen Edition. In 'Auf der anderen Straßenseite' beschäftigt sich Juli Zeh mit dem schleichenden Verlust der Menschenrechte. Nicht nur in Staaten, die hier schon länger unter Generalverdacht stehen wie z. B. China oder die Türkei, sondern auch in Deutschland und anderen westlichen Ländern.
Der Text ist ein guter Auftakt zu der Essay-Sammlung Nachts sind das Tiere der Schriftstellerin und Juristin, in der einige ihrer Reden und Essays aus den Jahren 2005 bis 2014 vorgestellt werden. Es geht dort um die Gefahren, die die Rasterfahndung, die Registrierung bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getretener Bürger per Fingerabdruck oder die sich ausweitenden Abhörbefugnisse von Behörden für die Gesellschaft und den einzelnen Bürger mit sich bringen.
Dieser Faden wird in weiteren Texten aufgegriffen und das Thema um einige Facetten erweitert. Zeh markiert den zeitlichen "Startschuss" für die Maßnahmen, die die Politik für nötig hält, um die Bürger vor dem Terrorismus zu schützen. Sie zeigt auf, welchen Risiken wir tatsächlich ausgesetzt sind und was von Ankündigungen islamistischer Terroristen, zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Anschlag zu verüben, zu halten ist.
Die Autorin schafft es, mit ihrer klaren und eindringlichen Sprache auch diejenigen Leser zu sensibilisieren, die sich bislang über die Datensicherheit, die Sinnhaftigkeit der derzeitigen Terrorismusprävention und den Umgang mit ihren persönlichen Daten keine Gedanken gemacht haben.
Juli Zeh ist eine leidenschaftliche Verfechterin des Erhalts der freiheitlichen Grundsätze und der Demokratie. Sie stemmt sich gegen den schon seit Jahren währenden Trend, Menschenrechte als etwas anzusehen, dass man sich nur in guten Zeiten leisten kann, nicht aber "in Zeiten wie diesen", wie es Politiker und Lobbyisten immer wieder gern betonen. Und sie gibt ihrer Sorge Ausdruck, dass die Menschenrechte, die über mehrere hundert Jahre hinweg gewachsen sind, für als besonders schwerwiegend proklamierte Probleme geopfert werden.
Zeh zitiert Benjamin Franklin, einen der Gründerväter der USA, mit einer etwa 200 Jahre alten Äußerung: "They who can give up essential liberty to obtain a little temporary safety deserve neither liberty nor safety."* Also: "Wer die grundlegende Freiheit aufgeben kann, um ein wenig vorübergehende Sicherheit zu erlangen, verdient weder Freiheit noch Sicherheit."
Auch mit ihrer Kritik an Kanzlerin Angela Merkel hält Zeh nicht hinterm Berg. Merkel ist für sie die Vertreterin eines Schlingerkurses, die nichts tut, um dem deutschen Bildungsnotstand ernsthaft etwas entgegenzusetzen und das Thema Datenschutz konsequent ignoriert.
Man muss sich klar machen, dass die vorgestellten Reden und Essays zwischen fünf und 14 Jahren alt sind. Bei den meisten von ihnen wäre es problemlos möglich, klammheimlich das Datum ihres Entstehens zu löschen und das heutige einzusetzen. Dass sich so wenig in so langer Zeit bewegt hat, sollte uns wirklich Sorgen machen. Empfehlung: auf jeden Fall lesen!
Nachts sind das Tiere ist in der mir vorliegenden Ausgabe 2016 bei btb erschienen. Ich bedanke mich beim Bloggerportal, das mir das Buch zur Verfügung gestellt hat.
Der Titel kostet als Taschenbuch 10,99 Euro sowie als E-Book 9,99 Euro.
* Zitat aus: Benjamin Franklin, William-Temple Franklin (1818). “Memoirs of the Life and Writings of (the Same), Continued to the Time of His Death by William Temple Franklin. - London, H. Colburn 1818”, p.270

Der Text ist ein guter Auftakt zu der Essay-Sammlung Nachts sind das Tiere der Schriftstellerin und Juristin, in der einige ihrer Reden und Essays aus den Jahren 2005 bis 2014 vorgestellt werden. Es geht dort um die Gefahren, die die Rasterfahndung, die Registrierung bislang strafrechtlich nicht in Erscheinung getretener Bürger per Fingerabdruck oder die sich ausweitenden Abhörbefugnisse von Behörden für die Gesellschaft und den einzelnen Bürger mit sich bringen.
Dieser Faden wird in weiteren Texten aufgegriffen und das Thema um einige Facetten erweitert. Zeh markiert den zeitlichen "Startschuss" für die Maßnahmen, die die Politik für nötig hält, um die Bürger vor dem Terrorismus zu schützen. Sie zeigt auf, welchen Risiken wir tatsächlich ausgesetzt sind und was von Ankündigungen islamistischer Terroristen, zu einem bestimmten Zeitpunkt einen Anschlag zu verüben, zu halten ist.
Die Autorin schafft es, mit ihrer klaren und eindringlichen Sprache auch diejenigen Leser zu sensibilisieren, die sich bislang über die Datensicherheit, die Sinnhaftigkeit der derzeitigen Terrorismusprävention und den Umgang mit ihren persönlichen Daten keine Gedanken gemacht haben.
Juli Zeh ist eine leidenschaftliche Verfechterin des Erhalts der freiheitlichen Grundsätze und der Demokratie. Sie stemmt sich gegen den schon seit Jahren währenden Trend, Menschenrechte als etwas anzusehen, dass man sich nur in guten Zeiten leisten kann, nicht aber "in Zeiten wie diesen", wie es Politiker und Lobbyisten immer wieder gern betonen. Und sie gibt ihrer Sorge Ausdruck, dass die Menschenrechte, die über mehrere hundert Jahre hinweg gewachsen sind, für als besonders schwerwiegend proklamierte Probleme geopfert werden.
Zeh zitiert Benjamin Franklin, einen der Gründerväter der USA, mit einer etwa 200 Jahre alten Äußerung: "They who can give up essential liberty to obtain a little temporary safety deserve neither liberty nor safety."* Also: "Wer die grundlegende Freiheit aufgeben kann, um ein wenig vorübergehende Sicherheit zu erlangen, verdient weder Freiheit noch Sicherheit."
Auch mit ihrer Kritik an Kanzlerin Angela Merkel hält Zeh nicht hinterm Berg. Merkel ist für sie die Vertreterin eines Schlingerkurses, die nichts tut, um dem deutschen Bildungsnotstand ernsthaft etwas entgegenzusetzen und das Thema Datenschutz konsequent ignoriert.
Man muss sich klar machen, dass die vorgestellten Reden und Essays zwischen fünf und 14 Jahren alt sind. Bei den meisten von ihnen wäre es problemlos möglich, klammheimlich das Datum ihres Entstehens zu löschen und das heutige einzusetzen. Dass sich so wenig in so langer Zeit bewegt hat, sollte uns wirklich Sorgen machen. Empfehlung: auf jeden Fall lesen!
Nachts sind das Tiere ist in der mir vorliegenden Ausgabe 2016 bei btb erschienen. Ich bedanke mich beim Bloggerportal, das mir das Buch zur Verfügung gestellt hat.
Der Titel kostet als Taschenbuch 10,99 Euro sowie als E-Book 9,99 Euro.
* Zitat aus: Benjamin Franklin, William-Temple Franklin (1818). “Memoirs of the Life and Writings of (the Same), Continued to the Time of His Death by William Temple Franklin. - London, H. Colburn 1818”, p.270
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Freitag, 29. November 2019
# 220 - Grenzerfahrungen
Brian Carey, ein Polizist der Garda Síochána na
hÉireann, der 'Hüter des Friedens von Irland', also der Nationalpolizei der Republik Irland, wird an einem nebligen Tag leblos im Lough Neagh gefunden. Der nordirische Inspector Celsius Daly wird zu der Leiche gerufen. Dem ersten Anschein nach scheint es sich hier um einen Selbstmord zu handeln. Doch Daly, der nach einer Scheidung, der Ermordung seiner Mutter und dem Tod seines Vaters einsam ist und hinter jedem Strauch einen Verbrecher vermutet, hat daran Zweifel und stürzt sich in den Fall. Es muss einen Grund dafür geben, dass der irische Polizist in einem nordirischen See gefunden wurde.
Der irische Schriftsteller Anthony J. Quinn greift in seinem Krimi Gestrandet den sich seit Jahrzehnten hinziehenden und heute unter dem Deckel köchelnden Nordirlandkonflikt auf.
Inspector Daly verkörpert die Figur des einsamen Wolfes, der nicht nur privat, sondern auch beruflich isoliert ist, seitdem er gegen einen Vorgesetzten ermittelt hatte. Dieser hatte sich umgebracht, und im Laufe der Handlung holt Daly die längst vergessen geglaubte Geschichte wieder ein.
Quinn ist sich offenbar mit Fachleuten einig: Der Brexit wird die Situation an der irisch-nordirischen Grenze verschärfen. Der nordirische Polizeichef Hamilton spricht hinsichtlich des Schmuggels sogar davon, dass "die Lebensader der Kriminalität und des Terrorismus" sprunghaft ansteigen könne.
Gestrandet ist im Polar Verlag erschienen und kostet 20 Euro.
hÉireann, der 'Hüter des Friedens von Irland', also der Nationalpolizei der Republik Irland, wird an einem nebligen Tag leblos im Lough Neagh gefunden. Der nordirische Inspector Celsius Daly wird zu der Leiche gerufen. Dem ersten Anschein nach scheint es sich hier um einen Selbstmord zu handeln. Doch Daly, der nach einer Scheidung, der Ermordung seiner Mutter und dem Tod seines Vaters einsam ist und hinter jedem Strauch einen Verbrecher vermutet, hat daran Zweifel und stürzt sich in den Fall. Es muss einen Grund dafür geben, dass der irische Polizist in einem nordirischen See gefunden wurde.
Der irische Schriftsteller Anthony J. Quinn greift in seinem Krimi Gestrandet den sich seit Jahrzehnten hinziehenden und heute unter dem Deckel köchelnden Nordirlandkonflikt auf.
Die IRA lebt weiter
Dalys Vermutung, dass Carey nicht freiwillig aus dem Leben geschieden ist, verdichtet sich. Er findet heraus, dass sein irischer Kollege an Ermittlungen gegen Tom Morgan, einem früheren IRA-Mitglied, gearbeitet hat. Morgan hat einen äußerst erfolgreichen Schmugglerring aufgebaut, in den zahlreiche Personen wie in ein Spinnennetz verwoben sind. Korruption, brüchige Loyalitäten und rücksichtslose Gewalt sind an der Tagesordnung. An diesem kaum zu entwirrenden System sind nicht nur Morgan und seine Helfer, sondern auch Polizisten, Politiker und einfache Bürger beteiligt. Doch je mehr sich Daly bei seinen Nachforschungen der Wahrheit zu nähern scheint, umso verworrener und undurchdringlicher erscheinen ihm seine Erkenntnisse zu sein - gerade wie in einem dichten Nebel, dem Eingangsmotiv von Quinns Buch.Inspector Daly verkörpert die Figur des einsamen Wolfes, der nicht nur privat, sondern auch beruflich isoliert ist, seitdem er gegen einen Vorgesetzten ermittelt hatte. Dieser hatte sich umgebracht, und im Laufe der Handlung holt Daly die längst vergessen geglaubte Geschichte wieder ein.
Aktueller Bezug mit bedrückenden Zukunftsausichten
Anthony J. Quinn greift in Gestrandet nicht nur den (vermeintlich) abgeschlossenen Nordirlandkonflikt wieder auf, sondern weist auch auf Zustände hin, die einer breiten Öffentlichkeit bislang eher unbekannt sind: Die Figur des Tom Morgan steht stellvertretend für den intensiven und lukrativen Schmuggel mit Benzin und Heizöl im irischen Grenzgebiet. Kriminelle wie er, die sich und den Fortbestand ihrer illegalen Geschäfte mit allen Mitteln verteidigen, haben den sich nähernden Brexit längst fest im Blick.Quinn ist sich offenbar mit Fachleuten einig: Der Brexit wird die Situation an der irisch-nordirischen Grenze verschärfen. Der nordirische Polizeichef Hamilton spricht hinsichtlich des Schmuggels sogar davon, dass "die Lebensader der Kriminalität und des Terrorismus" sprunghaft ansteigen könne.
Lesen?
Ja. Vor allem, wenn man von einem Krimi mehr erwartet als eine Ansammlung von Leichen, literweise Blut, das durch Rinnsteine und Badewannenabflüsse entschwindet und einen verschrobenen Kriminalisten, der wieder Ordnung ins große Ganze bringt. In Gestrandet zeichnet Anthony J. Quinn einen spannenden Kriminalfall mit einem hochaktuellen Bezug.Gestrandet ist im Polar Verlag erschienen und kostet 20 Euro.
Samstag, 16. November 2019
# 219 - Springen?

Es ist Anfang Mai, die Menschen in der Kleinstadt Thalbach genießen die ersten warmen Tage. Der Ort ist so wie viele andere Kleinstädte: Es ist alles da, was man fürs tägliche Leben braucht, aber der Alltag der meisten Einwohner plätschert ereignisarm dahin.
Doch dann passiert endlich etwas: Eine junge Frau ist auf einem Dach. Die Vermutung, dass sie selbstmordgefährdet sein könnte, liegt nahe. Die Polizei rückt an, die Feuerwehr bläst das Sprungkissen auf und rasch versammelt sich eine neugierige und sensationslüsterne Menge vor dem Haus. Das Erwartbare tritt aber zunächst nicht ein: Die Frau, die man im Laufe des Tage als Manuela Kühne identifiziert, macht keine Anstalten, sich das Leben zu nehmen, sondern reagiert auf die Anfeindungen, die sie von unten erreichen, mit dem Werfen von Gegenständen. Auch vor den Dachziegeln macht sie nicht halt.
Simone Lappert drapiert in ihrem Roman eine Reihe von sehr unterschiedlichen Personen um Manu herum, die meisten scheinen auf den ersten Blick nichts mit der Frau auf dem Dach zu tun zu haben. Doch je mehr man über diese Menschen erfährt, umso deutlicher zeichnet sich ein Netz von Bekanntschaften ab. Da ist zum Beispiel die Halbschwester von Manuela, deren Traum, Bürgermeisterin zu werden, zum Greifen nah ist und die nun gegeneinander abwägt, ihrer vermeintlich durchgeknallten Schwester zu helfen oder höchstwahrscheinlich die Wahl zu verlieren, weil die Öffentlichkeit sie mit der "Irren" in Verbindung bringt. Auch die von der Tragödie profitierenden Einzelhändler spielen eine Rolle, ebenso wie zwei Obdachlose, ein Polizist, eine von allen gemobbte Schülerin oder ein italienischer Modezar.
Der ruhige Pol ist das Lokal von Roswitha. Es ist, als liefen hier alle Fäden zusammen. Sie hat den Überblick, sie ist der bei Weitem empathischste Mensch in diesem Buch. Die Redewendung 'In der Ruhe liegt die Kraft' könnte ihr Lebensmotto sein.
Und dann ist da noch Finn. Er sieht sich als Manus Freund, erkennt aber im Laufe der Ausnahmesituation, wie wenig er über sie weiß. Er steht vor der Entscheidung, zu der jungen Frau zu halten oder seine eigenen Träume zu verwirklichen.
Sehr vielen der skizzierten Figuren ist gemeinsam, dass sie mit Erinnerungen leben, die ihre Seelen stark belasten und einen Schatten auf ihre Schicksale werfen.
Wird am Ende alles gut? Jein.
Lesen?
Ja, denn Der Sprung ist sehr lebendig und feinfühlig geschrieben. "Hänger" gibt es keine.
Was mich allerdings störte, sind die vielen Zufälle, die sich in diesem Roman eng aneinander drängen. Dazu gehört auch der Grund, aus dem sich Manu auf dem Dach befindet. Es hätte für sie sicher andere Wege gegeben, die Situation zu einem guten Ende zu führen. Hier ließe sich eine andere Redewendung heranziehen: 'Weniger ist mehr.'
Der Sprung ist im Diogenes Verlag erschienen und kostet als gebundenes Buch 22 Euro sowie als E-Book 18,99 Euro.
Freitag, 8. November 2019
# 218 - Gibt es eine stärkere Liebe als die zum ... Schach?
Man kann sich über diese Überschrift wundern, denn würden wir auf die Frage, wen oder was wir am meisten lieben, nicht fast alle den Namen unseres Partners oder unserer Partnerin, unserer Kinder oder vielleicht auch einer Gegend, die uns besonders am Herzen liegt, nennen?
Ja, das würden sicher sehr viele Menschen tun. Bei Sebastian Raedler dürfen nach dem Lesen seines Buches Schachfieber - Von der Liebe zu einem unmöglichen Spiel hier allerdings Zweifel angemeldet werden. Er ist nicht nur ein Fan, sondern süchtig.
Raedler hat nicht die typische "Karriere" der meisten begeisterten Schachspieler hinter sich, die schon im Kindes- oder Jugendalter ihre ersten Züge auf dem Brett gemacht haben. Der Anstoß, sich einem der ältesten Spiele der Welt zuzuwenden, war die Langeweile, die er auf seinen Geschäftsreisen während der Wartezeiten in Bahnhöfen oder Flughäfen empfand. Hier geschah der Einstieg ins Onlineschach, hier begann seine Sucht nach dem Schachspiel.
Raedler beobachtet sich selbst und entdeckt, dass das Schachspiel für ihn nicht nur eine immer neue Herausforderung, sondern auch eine Zuflucht in den Zeiten ist, in denen er beruflich stark beansprucht wird. Er erklärt auch, was den grundlegenden Unterschied zwischen diesem und allen anderen Spielen ausmacht. Während man bei einer Niederlage sonst zu einem gewissen Anteil das Glück des Gegners für das eigene Scheitern verantwortlich machen kann, verfängt dieses Argument hier nicht: Beim Schach werden dem Spieler nach jedem Misserfolg die eigenen intellektuellen Schwächen unbarmherzig vor Augen geführt. Das hält nicht jeder aus; Raedler verweist auf prominente Beispiele von Spielern, die extensives Schachspielen an den Rand des Wahnsinns geführt hat - oder auch darüber hinaus.
Der Autor ist Finanzanalyst und weiß den hohen analytischen Anspruch des Schachspiels sehr zu schätzen. Das trifft auch auf das Blitzschach zu, dem Raedler fast schon obzessiv verfallen ist und das ihn schon mehrmals in absurde Situationen gebracht hat.
Schachfieber - Von der Liebe zu einem unmöglichen Spiel kann von jedem gelesen werden; ob und wie gut man das Spiel beherrscht, spielt grundsätzlich keine Rolle. Raedler verweist für alle, die sich näher für Spielstrategien interessieren, auf spannende und anspruchsvolle Partien. Diese mangels Kenntnissen nicht nachvollziehen zu können, tut dem Lesespaß keinen Abbruch. Raedlers Enthusiasmus lädt auch Nicht-Schachspieler dazu ein, sich für dieses Spiel zu interessieren.
Einen Eindruck vom Buch und seinem Autor gibt ein Interview, das kurz nach dem Erscheinen des Titels im Radioprogramm des rbb ausgestrahlt wurde.
Schachfieber - Von der Liebe zu einem unmöglichen Spiel ist im Oktober 2019 im mairisch Verlag erschienen und kostet 12 Euro.
Freitag, 1. November 2019
# 217 - Texas: Legt Rassenhass die Saat für zwei Morde?
Die Schriftstellerin Attica Locke ist in Texas geboren und aufgewachsen und sie ist schwarz. Beides ist
hilfreich zu wissen, wenn man ihren neuesten Roman Bluebird, Bluebird zur Hand nimmt.
Darren Matthews ist mit Haut und Haaren Texas Ranger. Eine ungewöhnliche Berufswahl, wenn man ihn sich ansieht: Er ist schwarz und kann sich oft nur deshalb Respekt gegenüber den Weißen verschaffen, weil er diesen Stern an seinem Hemd trägt.
Matthews hat zwei Semester eines Jurastudiums in Princeton hinter sich, hat sich aber wie sein Vorbild, sein Onkel William, für den Job als Texas Ranger entschieden. Das führt zu Problemen mit seiner Frau, der erfolgreichen Anwältin Lisa. Sie hat kein Verständnis für die Berufswahl ihres Mannes und ihn kurzerhand vor die Tür gesetzt.
Doch das ist nicht Matthews einziges Problem. Seit er versucht hat, einem guten Freund zu helfen, dem möglicherweise eine Mordanklage bevorsteht, läuft es für ihn auch beruflich nicht mehr rund.
In dieser verfahrenen Lage erhält er einen Anruf seines Kumpels Greg. Der arbeitet für das FBI und gibt Matthews den Hinweis, dass es in Lark, einem Dorf im osttexanischen Shelby County, kurz vor der Grenze zu Louisiana, zwei Tote gegeben hat: den schwarzen Anwalt Michael Wright und die weiße Kellnerin Missy Dale. Ihre Leichen wurden im Attoyac Bayou gefunden, der dicht an Lark vorbeifließt.
Lark ist ein fiktives 178-Seelen-Nest, in dem alles schon immer so war, wie man es bis heute kennt: Hinter der Geschichte der Schwarzen steht das Leben ihrer Vorfahren als Sklaven, hinter der Geschichte der Weißen das der "Herrenmenschen". Manche von den Weißen waren früher erfolgreicher als andere und hatten darum das Sagen; auch daran hat sich über Generationen hinweg nichts geändert.
Attica Locke zeichnet eine zunächst verworrene Verbindung zwischen den Bewohnern des Ortes nach, die ihren Anfang Jahrzehnte zuvor genommen hat. Sie belässt es nicht dabei, ihre Figur Darren Matthews der offensichtlichen Spur in die rassistische Szene der Aryan Brotherhood of Texas (ABT) zu folgen, sondern beschreibt, wie sich der Alltag anfühlt. Wird ein Schwarzer getötet, ist es so, als würde man einen Kieselstein ins Wasser werfen: Der Stein macht ein paar kleinere Wellen, die sich schnell verlieren und einer glatten Wasseroberfläche Platz machen. Morde an Weißen werden hingegen unerbittlich verfolgt. Für sie muss ein Schuldiger gefunden werden.
'Selbstverständlich' können die schwarzen Einwohner von Lark auch nicht in das von einem Weißen betriebene "Eishaus" gehen, ohne von der Kellnerin gefragt zu werden, ob sie sich verlaufen haben. Umgekehrt sind Weiße in "Geneva Sweet's Sweets", wo Schwarze nicht nur Teigtaschen essen können, sondern auch einen Haarschnitt bekommen, keine gern gesehenen Gäste. Man hat sich im Ort miteinander eingerichtet.
Doch Matthews will den Morden auf den Grund gehen. Dass er sich damit in Lark keine Freunde macht, ist keine Überraschung. Dass aber auch der örtliche Sheriff nicht durch Übereifer und Unterstützung glänzt, ist eine weitere Fußnote.
Attica Locke zeigt in einer atmosphärischen Schilderung, wie man sich die Verhältnisse in ihrer osttexanischen Heimat bis heute vorstellen muss. Die faktische Trennung zwischen Weißen und Schwarzen existiert bis heute und führt unter anderem dazu, dass man rasch nach einem schwarzen Schuldigen sucht, wenn sich ein Gewaltdelikt ereignet hat. Die unterschwelligen Ressentiments durchziehen jeden einzelnen Tag.
Doch es wird deutlich, dass Locke ihre Liebe zu ihrer Heimat, die sie trotz der erlebten Ungerechtigkeiten in sich trägt, in ihre Figur des Texas Rangers Matthews einfließen lässt. Und sie schafft es auf ganz besondere Weise, eine Kriminalhandlung mit einer Gesellschaftskritik zu verbinden.
Attica Locke hat für ihr Buch 2018 den Edgar Allan Poe Award gewonnen, den weltweit bedeutendsten Preis für Kriminalliteratur. Damit reiht sie sich in eine Liste auch hier bekannter Preisträger wie Stephen King, Minette Walters oder Ian Rankin ein.
Im selben Jahr gewann sie den Ian Fleming Steel Dagger Award für den besten englischsprachigen Thriller.
Bluebird, Bluebird ist 2019 in der deutschen Ausgabe beim Polar Verlag erschienen und kostet 20 Euro.
Der Polar Verlag hat auch dieses Mal sein "Händchen" für wirklich spannende Bücher bewiesen. Das zeigen auch die Titel, über die ich hier bereits geschrieben habe:
Libreville von Janis Otsiemi
Brant von Ken Bruen
Ein einziger Schuss von Matthew F. Jones
So kam die Nacht von Estelle Surbranche

Ein gespaltenes Land
Darren Matthews ist mit Haut und Haaren Texas Ranger. Eine ungewöhnliche Berufswahl, wenn man ihn sich ansieht: Er ist schwarz und kann sich oft nur deshalb Respekt gegenüber den Weißen verschaffen, weil er diesen Stern an seinem Hemd trägt.
Matthews hat zwei Semester eines Jurastudiums in Princeton hinter sich, hat sich aber wie sein Vorbild, sein Onkel William, für den Job als Texas Ranger entschieden. Das führt zu Problemen mit seiner Frau, der erfolgreichen Anwältin Lisa. Sie hat kein Verständnis für die Berufswahl ihres Mannes und ihn kurzerhand vor die Tür gesetzt.
Doch das ist nicht Matthews einziges Problem. Seit er versucht hat, einem guten Freund zu helfen, dem möglicherweise eine Mordanklage bevorsteht, läuft es für ihn auch beruflich nicht mehr rund.
In dieser verfahrenen Lage erhält er einen Anruf seines Kumpels Greg. Der arbeitet für das FBI und gibt Matthews den Hinweis, dass es in Lark, einem Dorf im osttexanischen Shelby County, kurz vor der Grenze zu Louisiana, zwei Tote gegeben hat: den schwarzen Anwalt Michael Wright und die weiße Kellnerin Missy Dale. Ihre Leichen wurden im Attoyac Bayou gefunden, der dicht an Lark vorbeifließt.
Lark ist ein fiktives 178-Seelen-Nest, in dem alles schon immer so war, wie man es bis heute kennt: Hinter der Geschichte der Schwarzen steht das Leben ihrer Vorfahren als Sklaven, hinter der Geschichte der Weißen das der "Herrenmenschen". Manche von den Weißen waren früher erfolgreicher als andere und hatten darum das Sagen; auch daran hat sich über Generationen hinweg nichts geändert.
Attica Locke zeichnet eine zunächst verworrene Verbindung zwischen den Bewohnern des Ortes nach, die ihren Anfang Jahrzehnte zuvor genommen hat. Sie belässt es nicht dabei, ihre Figur Darren Matthews der offensichtlichen Spur in die rassistische Szene der Aryan Brotherhood of Texas (ABT) zu folgen, sondern beschreibt, wie sich der Alltag anfühlt. Wird ein Schwarzer getötet, ist es so, als würde man einen Kieselstein ins Wasser werfen: Der Stein macht ein paar kleinere Wellen, die sich schnell verlieren und einer glatten Wasseroberfläche Platz machen. Morde an Weißen werden hingegen unerbittlich verfolgt. Für sie muss ein Schuldiger gefunden werden.
'Selbstverständlich' können die schwarzen Einwohner von Lark auch nicht in das von einem Weißen betriebene "Eishaus" gehen, ohne von der Kellnerin gefragt zu werden, ob sie sich verlaufen haben. Umgekehrt sind Weiße in "Geneva Sweet's Sweets", wo Schwarze nicht nur Teigtaschen essen können, sondern auch einen Haarschnitt bekommen, keine gern gesehenen Gäste. Man hat sich im Ort miteinander eingerichtet.
Doch Matthews will den Morden auf den Grund gehen. Dass er sich damit in Lark keine Freunde macht, ist keine Überraschung. Dass aber auch der örtliche Sheriff nicht durch Übereifer und Unterstützung glänzt, ist eine weitere Fußnote.
Rassentrennung bis heute allgegenwärtig
Attica Locke zeigt in einer atmosphärischen Schilderung, wie man sich die Verhältnisse in ihrer osttexanischen Heimat bis heute vorstellen muss. Die faktische Trennung zwischen Weißen und Schwarzen existiert bis heute und führt unter anderem dazu, dass man rasch nach einem schwarzen Schuldigen sucht, wenn sich ein Gewaltdelikt ereignet hat. Die unterschwelligen Ressentiments durchziehen jeden einzelnen Tag.
Doch es wird deutlich, dass Locke ihre Liebe zu ihrer Heimat, die sie trotz der erlebten Ungerechtigkeiten in sich trägt, in ihre Figur des Texas Rangers Matthews einfließen lässt. Und sie schafft es auf ganz besondere Weise, eine Kriminalhandlung mit einer Gesellschaftskritik zu verbinden.
Attica Locke hat für ihr Buch 2018 den Edgar Allan Poe Award gewonnen, den weltweit bedeutendsten Preis für Kriminalliteratur. Damit reiht sie sich in eine Liste auch hier bekannter Preisträger wie Stephen King, Minette Walters oder Ian Rankin ein.
Im selben Jahr gewann sie den Ian Fleming Steel Dagger Award für den besten englischsprachigen Thriller.
Bluebird, Bluebird ist 2019 in der deutschen Ausgabe beim Polar Verlag erschienen und kostet 20 Euro.
Der Polar Verlag hat auch dieses Mal sein "Händchen" für wirklich spannende Bücher bewiesen. Das zeigen auch die Titel, über die ich hier bereits geschrieben habe:
Libreville von Janis Otsiemi
Brant von Ken Bruen
Ein einziger Schuss von Matthew F. Jones
So kam die Nacht von Estelle Surbranche
Dienstag, 22. Oktober 2019
Der dritte Tag auf der Frankfurter Buchmesse
[WERBUNG - unbezahlt, ohne Kenntnis der Beworbenen]
Der dritte Tag, Samstag, war für uns gleichzeitig der
letzte Messetag. Zum ersten Mal begann der Buchverkauf bereits heute und nicht erst am Sonntag.
An gefühlt jeder Ecke signierten Autoren ihre Bücher. Die Schlange der Menschen, die dafür anstanden, dass zum Beispiel Sebastian Fitzek seinen Namen in ihr Buch schreibt, war lang und länger. Auch andere Namen verfehlten nicht ihre Wirkung: Peter Wohlleben, Gaby Hauptmann, Ulrich Tukur oder der frisch gekürte Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels Sebastião Salgado zeigten jedem, den es interessierte, dass sie in der Lage sind, mit einem Kugelschreiber umzugehen. Sie und im Laufe des Vormittags 36 weitere bekannte und weniger bekannte Autorinnen und Autoren haben in der Halle, in der auch die größten Publikumsverlage ihre Stände hatten, Besucher angezogen. Nachmittags dürfte die Zahl der Signierstunden ähnlich hoch gewesen sein.
Die Folge: Insbesondere diese Halle platzte aus allen Nähten. Zeitweise ging nichts mehr, und die Menschen kamen nur zentimeterweise voran. Oft war es nicht mehr möglich, zu den einzelnen Ständen zu kommen. Nach meinem Geschmack war das zu viel Kontakt.
Sobald wir konnten, haben wir diese Halle verlassen und uns die Stände der unabhängigen Verlage angesehen, die eine Etage höher ihre Programme vorstellten. Dort war es deutlich leerer. Ein Verleger kommentierte die drängende Enge im Erdgeschoss auf eine sehr spezielle Weise: Wenn es unten so voll sei, würden mehr Besucher zu ihnen nach oben gespült. Ich hoffe sehr, dass das nicht seine Wahrnehmung war: Dass die Leute sich gewissermaßen nach oben "verirren", um mal wieder durchzuatmen.
Ich habe mich da umgesehen und kann sagen: Das haben die Aussteller dort nicht verdient. Die Etage bot eine große Bandbreite sehr unterschiedlicher Titel. Unabhängige Verlage sind häufig experimentierfreudiger und nehmen Bücher in ihr Programm auf, die die Publikumsverlage nicht mit der Zange anfassen würden. In diesen Verlagen steckt reichlich Herzblut; manche haben sich in einer Nische etabliert, andere sind weniger festgelegt.
Da gibt es beispielsweise Verlage, die sich auf Theater- oder Filmliteratur (Alexander Verlag), maghrebinische Titel (Donata Kinzelbach Verlag) oder internationale Krimis (Polar Verlag) spezialisiert haben. Irgendwo wird hier jeder fündig.
Und dann habe ich Bücher gesehen, bei denen ich mich gefragt habe, wie viele Käufer sich für sie finden werden. Eine Auswahl:
Die Geschichte der Zigarettenindustrie 1862 - 1945 heißt dieses Buch. Bei diesem Thema kann ich mir noch vorstellen, dass sich Interessenten finden.
Bei Kanaldeckel aus aller Welt fällt es mir schon schwerer zu glauben, dass sich hierfür viele Leser begeistern können. Aber es scheint ja einen Kreis von Menschen zu geben, für die Kanaldeckel das sind, was für andere Briefmarken oder Bücher sein können. Aber: Gibt es Leute, die Kanaldeckel sammeln?
Beim Anblick dieses Buches hatte ich auf den ersten Blick keine Vorstellung davon, was sich zwischen den Einbanddeckeln verbergen könnte. Bei dem Wort Maubeschau hatte ich keinerlei Assoziationen. Der Untertitel ist auf diesem Foto schlecht zu erkennen, darum liefere ich hier den Link zum Buch: https://maubeschau.de/
Wäret ihr von allein darauf gekommen?
Ich habe zum Schluss noch Gespräche mit Verlagen geführt, mit einem von ihnen zum ersten Mal. Das war sehr interessant, und ich freue mich schon darauf, sie bei einer der nächsten Messen wieder zu besuchen.
Das ist der letzte Beitrag über die Frankfurter Buchmesse 2019. Im Laufe der Woche wird es noch auf dem "Gruselblog" einen weiteren Text zum Thema 'Mobilität auf der Buchmesse' geben, was die An- und Abreise einschließt.
Der dritte Tag, Samstag, war für uns gleichzeitig der
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Messe Frankfurt/M., Torhaus |
An gefühlt jeder Ecke signierten Autoren ihre Bücher. Die Schlange der Menschen, die dafür anstanden, dass zum Beispiel Sebastian Fitzek seinen Namen in ihr Buch schreibt, war lang und länger. Auch andere Namen verfehlten nicht ihre Wirkung: Peter Wohlleben, Gaby Hauptmann, Ulrich Tukur oder der frisch gekürte Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels Sebastião Salgado zeigten jedem, den es interessierte, dass sie in der Lage sind, mit einem Kugelschreiber umzugehen. Sie und im Laufe des Vormittags 36 weitere bekannte und weniger bekannte Autorinnen und Autoren haben in der Halle, in der auch die größten Publikumsverlage ihre Stände hatten, Besucher angezogen. Nachmittags dürfte die Zahl der Signierstunden ähnlich hoch gewesen sein.
Die Folge: Insbesondere diese Halle platzte aus allen Nähten. Zeitweise ging nichts mehr, und die Menschen kamen nur zentimeterweise voran. Oft war es nicht mehr möglich, zu den einzelnen Ständen zu kommen. Nach meinem Geschmack war das zu viel Kontakt.
Sobald wir konnten, haben wir diese Halle verlassen und uns die Stände der unabhängigen Verlage angesehen, die eine Etage höher ihre Programme vorstellten. Dort war es deutlich leerer. Ein Verleger kommentierte die drängende Enge im Erdgeschoss auf eine sehr spezielle Weise: Wenn es unten so voll sei, würden mehr Besucher zu ihnen nach oben gespült. Ich hoffe sehr, dass das nicht seine Wahrnehmung war: Dass die Leute sich gewissermaßen nach oben "verirren", um mal wieder durchzuatmen.
Ich habe mich da umgesehen und kann sagen: Das haben die Aussteller dort nicht verdient. Die Etage bot eine große Bandbreite sehr unterschiedlicher Titel. Unabhängige Verlage sind häufig experimentierfreudiger und nehmen Bücher in ihr Programm auf, die die Publikumsverlage nicht mit der Zange anfassen würden. In diesen Verlagen steckt reichlich Herzblut; manche haben sich in einer Nische etabliert, andere sind weniger festgelegt.
Da gibt es beispielsweise Verlage, die sich auf Theater- oder Filmliteratur (Alexander Verlag), maghrebinische Titel (Donata Kinzelbach Verlag) oder internationale Krimis (Polar Verlag) spezialisiert haben. Irgendwo wird hier jeder fündig.
Und dann habe ich Bücher gesehen, bei denen ich mich gefragt habe, wie viele Käufer sich für sie finden werden. Eine Auswahl:
Die Geschichte der Zigarettenindustrie 1862 - 1945 heißt dieses Buch. Bei diesem Thema kann ich mir noch vorstellen, dass sich Interessenten finden.
Beim Anblick dieses Buches hatte ich auf den ersten Blick keine Vorstellung davon, was sich zwischen den Einbanddeckeln verbergen könnte. Bei dem Wort Maubeschau hatte ich keinerlei Assoziationen. Der Untertitel ist auf diesem Foto schlecht zu erkennen, darum liefere ich hier den Link zum Buch: https://maubeschau.de/
Wäret ihr von allein darauf gekommen?
Ich habe zum Schluss noch Gespräche mit Verlagen geführt, mit einem von ihnen zum ersten Mal. Das war sehr interessant, und ich freue mich schon darauf, sie bei einer der nächsten Messen wieder zu besuchen.
Das ist der letzte Beitrag über die Frankfurter Buchmesse 2019. Im Laufe der Woche wird es noch auf dem "Gruselblog" einen weiteren Text zum Thema 'Mobilität auf der Buchmesse' geben, was die An- und Abreise einschließt.
Sonntag, 20. Oktober 2019
Frankfurter Buchmesse - der zweite Tag.
Alles lief nach Plan. Ich hatte mir nach der Erfahrung, dass die Termine, die ich an unserem ersten Tag eingeplant hatte, sich in Rauch aufgelöst und anderen Veranstaltungen Platz gemacht haben, vorgenommen, mein Zeitmanagement zu verbessern.
Die Buchmesse-App bietet die Möglichkeit, die Termine aus dem Messekalender direkt in den eigenen auf dem Smartphone zu übertragen. Na, wenn es damit nicht klappen sollte, womit dann?
Nicht ich habe vor der Technik, sondern die Technik hat vor mir kapituliert! Das soll jetzt nicht bedeuten, dass mein überbordender Verstand den Algorithmen in meinem Kalender ein Schnippchen geschlagen hat. Es war eher so, dass sich mein Kalender kurz vor Veranstaltungsbeginn bei mir gemeldet hat, ich aber beide Male so weit von der jeweiligen Halle entfernt war, dass ein halbwegs pünktliches Ankommen völlig ausgeschlossen war. Na gut, wieder zwei Termine vergeigt, bei denen ich "unbedingt" dabei sein wollte. Positives Denken ist angesagt: Ich lasse mich schließlich nicht von irgendwelchen Terminen tyrannisieren! Die Abwesenheit von Terminen ist die Freiheit, den Tag neu gestalten zu können. So ist das! Fehlplanungen schön reden kann ich.
Ob Krimi, Roman, Sach- oder Kinderbuch: Die Auswahl war groß und es gab etliche Autorinnen und Autoren zu entdecken, die in Deutschland (noch) nahezu unbekannt sind.
Aber es waren auch "alte Bekannte" dort: Bjarte
Brulands Holocaust in Norwegen lag neben dem thematisch ähnlichen Buch Judenhass von Trond Berg Eriksen u. a., auch Rebellische Frauen - Women in Battle und Die Glocke im See habe ich dort gesehen.
Im Raum befanden sich außer den Büchertischen und der Bühne auch 23 tischähnliche Objekte. Die Pressemappe beschreibt sie als "skulptural-abstrakt und zugleich narrativ-verspielt". Weiter heißt es dort: "Ihr Design ist inspiriert von norwegischen Gedichten und greift Ausstattungsdetails berühmter Bibliotheken auf –von Louis Kahns Leseplätzen in Exeter bis zu Gunnar Asplunds Trinkwasserbrunnen in Stockholm." Ich bin froh, dass das so deutlich gesagt wurde. Mir hätte sich der Sinn dieser Objekte sonst nicht erschlossen. Wer mich ein bisschen kennt, weiß von meiner Grundskepsis gegenüber abstrakter Kunst. Der Ausspruch "Kunst kommt von Können" hätte von mir kreiert worden sein können. Meine Begeisterung für diese Kunstobjekte hielt sich in übersichtlichen Grenzen.
Da die Ausstellungsfläche nicht den kompletten Raum ausgefüllt hat, wurde sie seitlich von meterlangen Spiegelwänden abgegrenzt. Spiegel lassen einen Raum zwar größer wirken, es ist jedoch kein Problem, gegen sie zu laufen. Ich hatte vorab davon gelesen, dass das anderen Besuchern passiert ist, sodass ich vorgewarnt war. Aber irritierend ist es schon. Manche Besucher sahen das von der praktischen Seite und nutzten die Spiegel, um sich etwas herzurichten: Eine Dame zückte ihre Haarbürste und brachte zwischen den Büchern ihre Frisur auf Vordermann.
Sehr schön wirkten die raumhoch angebrachten Fotos von Birken: sehr dekorativ und gut zum Land passend.
Sie waren eine passende Brücke zu den Büchern: Egal, um welches Genre es ging, in den meisten Titeln spielte die Natur eine Rolle. Mal stand sie im Vordergrund, mal war sie dezent in die Handlung eingebaut. Aber ohne Wälder oder Seen kam kaum ein Buch aus.
Etwas sprachlos habe ich dann gesehen, warum sich an einem der Tische eine Menschentraube gebildet hatte. Nicht etwa, weil dort die spannendsten Bücher gezeigt wurden, sondern deswegen:
Falls es nicht gut genug zu erkennen sein sollte: Da standen Besucher vor einem Tisch mit Vorlagenblättern und stempelten Motive auf die noch freien Flächen. Das taten sie mit der "gebotenen" Ernsthaftigkeit, die dafür nötig ist. Den lästerlichen Kommentar, der gerade in meiner Kehle aufsteigt und nach draußen drängt, schlucke ich jetzt runter.
Auch an diesem Tag haben wir uns mit der Bloggerin Mirella getroffen. Leider war die Zeit für ein wirklich langes Gespräch zu kurz, aber das wird auf jedne Fall nachgeholt.
Die Buchmesse-App bietet die Möglichkeit, die Termine aus dem Messekalender direkt in den eigenen auf dem Smartphone zu übertragen. Na, wenn es damit nicht klappen sollte, womit dann?
Nicht ich habe vor der Technik, sondern die Technik hat vor mir kapituliert! Das soll jetzt nicht bedeuten, dass mein überbordender Verstand den Algorithmen in meinem Kalender ein Schnippchen geschlagen hat. Es war eher so, dass sich mein Kalender kurz vor Veranstaltungsbeginn bei mir gemeldet hat, ich aber beide Male so weit von der jeweiligen Halle entfernt war, dass ein halbwegs pünktliches Ankommen völlig ausgeschlossen war. Na gut, wieder zwei Termine vergeigt, bei denen ich "unbedingt" dabei sein wollte. Positives Denken ist angesagt: Ich lasse mich schließlich nicht von irgendwelchen Terminen tyrannisieren! Die Abwesenheit von Terminen ist die Freiheit, den Tag neu gestalten zu können. So ist das! Fehlplanungen schön reden kann ich.
Hallo Norge!
Da ich mich in den letzten Wochen mit Büchern von norwegischen Autoren beschäftigt hatte, musste dem Land auf der Messe selbstverständlich ein Besuch abgestattet werden. Die Fläche des Ehrengast-Pavillons im Forum bot Norwegen reichlich Platz, sich seinem Lesepublikum vorzustellen.
Ob Krimi, Roman, Sach- oder Kinderbuch: Die Auswahl war groß und es gab etliche Autorinnen und Autoren zu entdecken, die in Deutschland (noch) nahezu unbekannt sind.
Aber es waren auch "alte Bekannte" dort: Bjarte
Brulands Holocaust in Norwegen lag neben dem thematisch ähnlichen Buch Judenhass von Trond Berg Eriksen u. a., auch Rebellische Frauen - Women in Battle und Die Glocke im See habe ich dort gesehen.
Im Raum befanden sich außer den Büchertischen und der Bühne auch 23 tischähnliche Objekte. Die Pressemappe beschreibt sie als "skulptural-abstrakt und zugleich narrativ-verspielt". Weiter heißt es dort: "Ihr Design ist inspiriert von norwegischen Gedichten und greift Ausstattungsdetails berühmter Bibliotheken auf –von Louis Kahns Leseplätzen in Exeter bis zu Gunnar Asplunds Trinkwasserbrunnen in Stockholm." Ich bin froh, dass das so deutlich gesagt wurde. Mir hätte sich der Sinn dieser Objekte sonst nicht erschlossen. Wer mich ein bisschen kennt, weiß von meiner Grundskepsis gegenüber abstrakter Kunst. Der Ausspruch "Kunst kommt von Können" hätte von mir kreiert worden sein können. Meine Begeisterung für diese Kunstobjekte hielt sich in übersichtlichen Grenzen.
Da die Ausstellungsfläche nicht den kompletten Raum ausgefüllt hat, wurde sie seitlich von meterlangen Spiegelwänden abgegrenzt. Spiegel lassen einen Raum zwar größer wirken, es ist jedoch kein Problem, gegen sie zu laufen. Ich hatte vorab davon gelesen, dass das anderen Besuchern passiert ist, sodass ich vorgewarnt war. Aber irritierend ist es schon. Manche Besucher sahen das von der praktischen Seite und nutzten die Spiegel, um sich etwas herzurichten: Eine Dame zückte ihre Haarbürste und brachte zwischen den Büchern ihre Frisur auf Vordermann.
Sehr schön wirkten die raumhoch angebrachten Fotos von Birken: sehr dekorativ und gut zum Land passend.
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Die Frau mit der Haarbürste |
Sie waren eine passende Brücke zu den Büchern: Egal, um welches Genre es ging, in den meisten Titeln spielte die Natur eine Rolle. Mal stand sie im Vordergrund, mal war sie dezent in die Handlung eingebaut. Aber ohne Wälder oder Seen kam kaum ein Buch aus.
Etwas sprachlos habe ich dann gesehen, warum sich an einem der Tische eine Menschentraube gebildet hatte. Nicht etwa, weil dort die spannendsten Bücher gezeigt wurden, sondern deswegen:
Falls es nicht gut genug zu erkennen sein sollte: Da standen Besucher vor einem Tisch mit Vorlagenblättern und stempelten Motive auf die noch freien Flächen. Das taten sie mit der "gebotenen" Ernsthaftigkeit, die dafür nötig ist. Den lästerlichen Kommentar, der gerade in meiner Kehle aufsteigt und nach draußen drängt, schlucke ich jetzt runter.
Auch an diesem Tag haben wir uns mit der Bloggerin Mirella getroffen. Leider war die Zeit für ein wirklich langes Gespräch zu kurz, aber das wird auf jedne Fall nachgeholt.
Außerdem: Bücher, die heute auf der "Haben-wollen-Liste" gelandet sind
Hier reicht es, die von mir hochprofessionell mit einer Profi-Kamera (Smartphone) aufgenommenen Cover-Fotos zu zeigen. Sie weisen darauf hin, worum es geht:
Last but not least: Kampagne gegen Plastik in den Meeren
Auf der Agora, der Freifläche zwischen den Hallen, hatte der WWF einen Stand aufgebaut. Zu Demonstrationszwecken war ein kleiner Parcours mit der Nachbildung eines durch (Plastik-)Müll verschmutzten Meeres zu sehen. "Das ist kein Problem mit ihrem Scooter", hatte einer der beiden jungen Männer gesagt, die den Stand betreuten. War es dann doch. Der alte Autoreifen, der die Kurve vor dem Ausgang blockierte, musste weggeräumt und der Scooter mit mir ein Stückchen angehoben werden. Danke an die beiden für das nette und informative Gespräch über Müll und dessen Vermeidung.
Freitag, 18. Oktober 2019
# 216 - Der fremde Vater
Gewissheiten, die sich Stück für Stück auflösen,
und Menschen, die unverhofft in das eigene Leben treten: Davon handelt der neueste Roman Kieloben von Karin Nohr.
Ein bisschen passt dieses Buch zu meiner gerade mit Holocaust in Norwegen beendeten Norwegen-Reihe. Die Autorin Nohr ist zwar keine Norwegerin, hat aber zentrale Bestandteile ihres neuesten Werks in das Land verlegt.
Die im Mittelpunkt stehende deutsche Familie Niemann eignet sich nicht als Sinnbild für ein harmonisches Miteinander. Die Ehe zwischen den Eltern Irmela und dem schon verstorbenen Richard war kühl und distanziert, die Erziehung ihrer drei Kinder Matthias, Markus und Inga, die heute selbst erwachsene Kinder haben, war ebenfalls nicht durch Herzlichkeit geprägt.
Als die frisch verwitwete Inga allein auf einer norwegischen Schäreninsel Urlaub macht, bleibt sie mit ihren Brüdern per E-Mail in Kontakt. Jeder der Drei erzählt nach und nach, welche Erinnerungen er an die Eltern hat. Das Thema entpuppt sich als Minenfeld: War der Vater wirklich nach dem Krieg in der Psychiatrie gewesen? Warum hieß sein Segelboot 'Inga'? Sollte die Mutter wirklich eine Beziehung mit dem Pfarrer gehabt haben? Und warum hatte Inga überhaupt diesen Namen bekommen, obwohl ihre Brüder, einschließlich des früh gestorbenen Lukas, biblische Namen hatten?
Fragen, die Matthias dazu bewegen, Nachforschungen zu betreiben. Das, was er im Bundesarchiv herausfindet und ein Brief, den er aus Norwegen erhalten hat, erschüttert die Geschwister. Lange nach dem Tod des Vaters hebt sich ein Schleier, der über dessen Vergangenheit gelegen hat. Ein gutgehütetes Geheimnis, das ihnen den Weg nach Tromsø weist, den zunächst nur Inga gehen will.
Karin Nohr ist studierte Literaturwissenschaftlerin und Psychologin und hat sich in klassischem Gesang fortgebildet. Sie hat mehrere Jahre als niedergelassene Psychoanalytikerin gearbeitet, ehe sie sich ganz dem Schreiben zuwandte. Dieser persönliche Hintergrund hat auf die Handlung einen prägenden und positiven Einfluss. Klare Leseempfehlung.
Kieloben ist im Juli 2019 im Größenwahn Verlag erschienen und kostet als Hardcover-Ausgabe 19,90 Euro sowie als E-Book 17,99 Euro.
und Menschen, die unverhofft in das eigene Leben treten: Davon handelt der neueste Roman Kieloben von Karin Nohr.
Ein bisschen passt dieses Buch zu meiner gerade mit Holocaust in Norwegen beendeten Norwegen-Reihe. Die Autorin Nohr ist zwar keine Norwegerin, hat aber zentrale Bestandteile ihres neuesten Werks in das Land verlegt.
Die im Mittelpunkt stehende deutsche Familie Niemann eignet sich nicht als Sinnbild für ein harmonisches Miteinander. Die Ehe zwischen den Eltern Irmela und dem schon verstorbenen Richard war kühl und distanziert, die Erziehung ihrer drei Kinder Matthias, Markus und Inga, die heute selbst erwachsene Kinder haben, war ebenfalls nicht durch Herzlichkeit geprägt.
Als die frisch verwitwete Inga allein auf einer norwegischen Schäreninsel Urlaub macht, bleibt sie mit ihren Brüdern per E-Mail in Kontakt. Jeder der Drei erzählt nach und nach, welche Erinnerungen er an die Eltern hat. Das Thema entpuppt sich als Minenfeld: War der Vater wirklich nach dem Krieg in der Psychiatrie gewesen? Warum hieß sein Segelboot 'Inga'? Sollte die Mutter wirklich eine Beziehung mit dem Pfarrer gehabt haben? Und warum hatte Inga überhaupt diesen Namen bekommen, obwohl ihre Brüder, einschließlich des früh gestorbenen Lukas, biblische Namen hatten?
Fragen, die Matthias dazu bewegen, Nachforschungen zu betreiben. Das, was er im Bundesarchiv herausfindet und ein Brief, den er aus Norwegen erhalten hat, erschüttert die Geschwister. Lange nach dem Tod des Vaters hebt sich ein Schleier, der über dessen Vergangenheit gelegen hat. Ein gutgehütetes Geheimnis, das ihnen den Weg nach Tromsø weist, den zunächst nur Inga gehen will.
Wie war's?
In Kieloben schildert Karin Nohr eine Familiengeschichte, die vom Deutschland während des 2. Weltkriegs bis in die deutsch-norwegische Gegenwart reicht. Sie berührt existenzielle Lebensfragen und lotet auch aus, wie weit der Mensch zur Vergebung und Versöhnung bereit ist und wie unterschiedlich der Blick in die Vergangenheit sein kann.Karin Nohr ist studierte Literaturwissenschaftlerin und Psychologin und hat sich in klassischem Gesang fortgebildet. Sie hat mehrere Jahre als niedergelassene Psychoanalytikerin gearbeitet, ehe sie sich ganz dem Schreiben zuwandte. Dieser persönliche Hintergrund hat auf die Handlung einen prägenden und positiven Einfluss. Klare Leseempfehlung.
Kieloben ist im Juli 2019 im Größenwahn Verlag erschienen und kostet als Hardcover-Ausgabe 19,90 Euro sowie als E-Book 17,99 Euro.
Frankfurter Buchmesse 2019 - erste Eindrücke
Ich bin nicht zum ersten Mal auf der Frankfurter Buchmesse, aber dennoch ein ganzes Stück davon entfernt, von einem professionellen Habitus umgeben zu sein und mich gewissermaßen zuhause zu fühlen.
Aus Gesprächen weiß ich, dass etliche andere Buchblogger den Besuch auf der "fbm" deutlich strukturierter angehen. Viele haben sich einen Plan gemacht, welche Stände und Veranstaltungen sie besuchen und welche Autoren sie interviewen wollen.
Es ist jetzt nicht so, dass ich mich gar nicht vorbereitet hätte. Immerhin habe ich mir die App heruntergeladen und schon mal gestöbert, was denn so angeboten wird und mich interessieren könnte. Eine Menge. Bei Licht betrachtet viel zu viel. Würde ich alles besuchen, was mir gefällt, würden die Tage auf dem Messegelände in Stress ausarten. Und mal ehrlich: Wer will das schon?
Heute, nachdem am Ende des Messetages die Jacken aus der Garderobe abgeholt waren und wir darauf warteten, dass die zur S-Bahn strömenden Menschenmassen ein wenig abebben würden, habe ich noch mal nachgesehen, welche Veranstaltungen ich mir in der App schon zu Hause markiert und welche ich tatsächlich besucht habe. Das Fazit lässt mich an meiner Planungsfähigkeit zweifeln: Ich war bei keinem vorgemerkten Termin, dafür aber bei zweien, die ich vorher gar nicht auf dem Schirm hatte. An dieser Stelle geht mein Dank an Mirella P., die den Hinweis zu einer der beiden Veranstaltungen gegeben hat und die ich endlich "live und in Farbe" kennenlernen durfte.
Zum Schluss komme ich zu den Beweisfotos, damit ihr mir auch glaubt, dass ich tatsächlich vor Ort gewesen bin. Zu jedem werde ich nur eine kurze Erklärung geben oder auch ganz auf eine Erläuterung verzichten.
Der Preis für das Lieblingsbuch der unabhängigen Buchhändler ging an:
Sehr interessant war der Diogenes-Talk mit diesen Autoren:
Simone Lappert, die ihr neuestes Buch Der Sprung vorstellte, konnte hier besonders beeindrucken: Sie trug den Beginn ihres Romans frei und so emotional vor, dass ich sofort den Wunsch hatte, ihn zu kaufen. Mehr geht nicht, oder?
Mirella führte uns zu einem Stand, den sie am Vortag entdeckt hatte: Hier gibt es eine große Auswahl an handgefertigten Buchstützen, die bekannte Schriftstellerinnen und Schriftsteller zeigen. Sehr sehens- und kaufenswert:
Abends war dieses das letzte Getränk in einem Darmstädter Lokal in der Nähe des Hauptbahnhofs:
Mein erster sauer Gespritzter seit 27 Jahren. Fazit: In der Erinnerung wird manches verklärt.
Zur Barrierefreiheit - oder ihrer Abwesenheit - wird es einen separaten Artikel geben, den ihr in meinem "Gruselblog" nachlesen könnt. Bald. Demnächst.
Aus Gesprächen weiß ich, dass etliche andere Buchblogger den Besuch auf der "fbm" deutlich strukturierter angehen. Viele haben sich einen Plan gemacht, welche Stände und Veranstaltungen sie besuchen und welche Autoren sie interviewen wollen.
Es ist jetzt nicht so, dass ich mich gar nicht vorbereitet hätte. Immerhin habe ich mir die App heruntergeladen und schon mal gestöbert, was denn so angeboten wird und mich interessieren könnte. Eine Menge. Bei Licht betrachtet viel zu viel. Würde ich alles besuchen, was mir gefällt, würden die Tage auf dem Messegelände in Stress ausarten. Und mal ehrlich: Wer will das schon?
Heute, nachdem am Ende des Messetages die Jacken aus der Garderobe abgeholt waren und wir darauf warteten, dass die zur S-Bahn strömenden Menschenmassen ein wenig abebben würden, habe ich noch mal nachgesehen, welche Veranstaltungen ich mir in der App schon zu Hause markiert und welche ich tatsächlich besucht habe. Das Fazit lässt mich an meiner Planungsfähigkeit zweifeln: Ich war bei keinem vorgemerkten Termin, dafür aber bei zweien, die ich vorher gar nicht auf dem Schirm hatte. An dieser Stelle geht mein Dank an Mirella P., die den Hinweis zu einer der beiden Veranstaltungen gegeben hat und die ich endlich "live und in Farbe" kennenlernen durfte.
Zum Schluss komme ich zu den Beweisfotos, damit ihr mir auch glaubt, dass ich tatsächlich vor Ort gewesen bin. Zu jedem werde ich nur eine kurze Erklärung geben oder auch ganz auf eine Erläuterung verzichten.
Der Preis für das Lieblingsbuch der unabhängigen Buchhändler ging an:
Sehr interessant war der Diogenes-Talk mit diesen Autoren:
Simone Lappert, die ihr neuestes Buch Der Sprung vorstellte, konnte hier besonders beeindrucken: Sie trug den Beginn ihres Romans frei und so emotional vor, dass ich sofort den Wunsch hatte, ihn zu kaufen. Mehr geht nicht, oder?
Mirella führte uns zu einem Stand, den sie am Vortag entdeckt hatte: Hier gibt es eine große Auswahl an handgefertigten Buchstützen, die bekannte Schriftstellerinnen und Schriftsteller zeigen. Sehr sehens- und kaufenswert:
Abends war dieses das letzte Getränk in einem Darmstädter Lokal in der Nähe des Hauptbahnhofs:
Mein erster sauer Gespritzter seit 27 Jahren. Fazit: In der Erinnerung wird manches verklärt.
Zur Barrierefreiheit - oder ihrer Abwesenheit - wird es einen separaten Artikel geben, den ihr in meinem "Gruselblog" nachlesen könnt. Bald. Demnächst.
Sonntag, 13. Oktober 2019
Literaturnobelpreis - Wie eine angesehene Auszeichnung die Szene spalten kann
1901 beginnt die Geschichte der insgesamt fünf
(fast) jährlich vergebenen Nobelpreise. Den Nobelpreis für Literatur erhielt damals der Franzose Sully Prudhomme. Zu seinen bekanntesten Werken zählt das Gedicht Le Vase brisé. Nie gehört? Ich auch nicht. Aber Wikipedia wird schon recht damit haben.
Wenn ein Kriterium nicht entscheidend ist, um in dieser Kategorie ausgezeichnet zu werden, dann, dass der Nachwelt etwas hinterlassen wird, was auch noch drei oder vier Generationen später begeisterte "Ahs" und "Ohs" hervorruft. Die Vergabe des Nobelpreises ist auch ein Spiegel der jeweiligen Zeit, in der sie stattfindet. Vielleicht hat das Gremium auch den Wunsch, mit der Preisvergabe ein Zeichen zu setzen.
Vor drei Tagen wurden die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk und der österreiche Schriftsteller Peter Handke auf den Nobelthron des Jahres 2018 bzw. 2019 gesetzt. Zur Erinnerung: 2018 wurde kein Literaturnobelpreis vergeben, weil sich einzelne Mitglieder der Jury nicht nur danebenbenommen, sondern gleich einen richtigen Skandalberg aufgehäuft hatten. Der Ehemann eines Komiteemitgliedes hatte nicht nur das Amt seiner Frau ausgenutzt, sondern wurde auch wegen mehrfacher Vergewaltigung angezeigt. Die Glaubwürdigkeit und der Ruf des Gremiums waren nachhaltig erschüttert.
Nun also eine Frau und ein Mann. Wie die
Komiteemitglieder zu ihrer Entscheidung gekommen sind, entzieht sich jedermanns Kenntnis. Inwieweit man der offiziellen Begründung folgen darf? Der Spekulation sind Tür und Tor geöffnet. Soll die hälftige Mann/Frau-Aufteilung suggerieren, hier habe man auf Geschlechtergerechtigkeit geachtet? Das zu glauben, fällt schwer: Olga Tokarczuk ist die 15. Preisträgerin, dagegen konnten 100 schreibende Herren Medaille und Preisgeld in Empfang nehmen. Ein klitzekleine Schieflage ist hier durchaus erkennbar.
Der Blick über den literarischen Tellerrand war für die Nobelkomitees all die Jahre ebenfalls nicht leicht, wenn man sich die Auswahl anhand ihrer geografischen Ausgewogenheit ansieht: Wenn ich mich nicht völlig verzählt habe, haben sich die Mitglieder 80 Mal für Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus Europa entschieden. Zehn kamen aus den USA, nur drei aus Afrika. Zu glauben, dass da irgendwie ein Proporz eine Rolle gespielt hat, wäre sicher Unsinn.
Nächster Anlauf, die Auswahl des Komitees nachzuvollziehen. Haben möglicherweise die Botschaften, die Frau Tokarczuk und Herr Handke ihrem Lesepublikum vermittelt haben, den Ausschlag gegeben? Wenn man den Worten des Sprechers folgt, der den wartenden Medien in Stockholm die Entscheidung verkündet hat, weitet das Werk der polnischen Autorin den "Blick auf Mittel- und Osteuropa". Das stimmt. Olga Tokarczuk hat sich in ihren Werken derart deutlich gegen die konservative Regierung ihres Heimatlandes positioniert, dass sie seit Langem Morddrohungen erhält.
Peter Handke hat insbesondere dadurch auf sich aufmerksam gemacht, dass er für sich Theater neu definiert hat: In einem seiner Schauspiele ("Publikumsbeschimpfung", Erstaufführung 1966) werden die Zuschauer mit "Nettigkeiten" überhäuft. Es sollte ein Protest gegen die Altnazis sein. Wie es dazu passt, dass sich Handke Jahrzehnte später mit einer Grabrede von einem brutalen Autokraten - dem serbischen Ex-Diktator Slobodan Milosevic - verabschiedete und behauptete, dieser sei an dem Massaker in Srebrenica, bei dem 1995 etwa 8.000 bosnische Muslime ermordet wurden, gänzlich unschuldig und habe noch nicht einmal etwas davon gewusst, bleibt sein Geheimnis.
Und dann gibt es da noch Literaturkritiker wie Denis Scheck. Scheck kann sich vor Begeisterung kaum noch einkriegen. Noch am Abend der Bekanntgabe der Preisträger/in spricht er im SWR in der Sendung Kunscht! lobend von der Nobelkomission als "Bastion politischer Korrektheit", die es unterlassen hat, Handke wegen seiner politischen Irrwege nicht auszuzeichnen. Am selben Tag nennt Scheck die Entscheidung zugunsten des Österreichers in der ZDF-Sendung Kulturzeit "eine schallende Ohrfeige ins Gesicht der politischen Korrektheit". Ich bin verwirrt, Herr Scheck: Ist damit gemeint, dass sich die Komissionsmitglieder gegenseitig vermöbeln?
Literatur und die Bewertung ihrer Güte bleiben Geschmackssache. Was mich stört, ist die augenscheinlich so unterschiedliche Herangehensweise, nach der Preisträgerinnen und Preisträger ausgewählt werden. Auch die Vorbehalte gegen Literatur aus Asien, Afrika oder Mittel- und Südamerika werden - von den sehr wenigen Ausnahmen abgesehen - weiterhin kultiviert.
Der Preisstifter Alfred Nobel hat vor 134 Jahren in seinem Testament verfügt, nach welchen Gesichtspunkten die nach ihm benannten Preise vergeben werden sollen. Dort ist davon die Rede, dass "Preise denen zugeteilt werden, die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen gebracht haben." Außerdem soll der Literaturpreis dem gegeben werden, "der in der Literatur das beste in idealistischer Richtung geschaffen hat".
Zum Schluss heißt es: " Es ist mein ausdrücklicher Wille, dass bei der Preisverteilung keinerlei Rücksicht auf die Nationalität genommen werden darf, so dass nur der Würdigste den Preis erhält, ob er nun Skandinavier ist oder nicht..."
Ich habe seit Jahren einen Kandidaten, dem ich wünsche, den Nobelpreis zu bekommen. Der aus Kenia stammende und heute in den USA lebende Schriftsteller Ngũgĩ wa Thiong’o hat es meiner Meinung nach verdient, geehrt zu werden. Seit etlichen Jahren heißt es, er stünde auf der Nominierungsliste. Mittlerweile habe ich den Eindruck, dass er eher für die "Hall of Fame der ewigen Anwärter" als für den Nobelpreis vorgesehen ist. Aber irgendwann wird sich die Bastion der politischen Korrektheit vielleicht daran erinnern, welches Anliegen Alfred Nobel mit seiner Stiftung verfolgt hat.
Einen ersten Eindruck von Ngũgĩ wa Thiong’os Werk gibt es in der Besprechung seines Hauptwerkes, Herr der Krähen.
(fast) jährlich vergebenen Nobelpreise. Den Nobelpreis für Literatur erhielt damals der Franzose Sully Prudhomme. Zu seinen bekanntesten Werken zählt das Gedicht Le Vase brisé. Nie gehört? Ich auch nicht. Aber Wikipedia wird schon recht damit haben.
Wenn ein Kriterium nicht entscheidend ist, um in dieser Kategorie ausgezeichnet zu werden, dann, dass der Nachwelt etwas hinterlassen wird, was auch noch drei oder vier Generationen später begeisterte "Ahs" und "Ohs" hervorruft. Die Vergabe des Nobelpreises ist auch ein Spiegel der jeweiligen Zeit, in der sie stattfindet. Vielleicht hat das Gremium auch den Wunsch, mit der Preisvergabe ein Zeichen zu setzen.
Vor drei Tagen wurden die polnische Schriftstellerin Olga Tokarczuk und der österreiche Schriftsteller Peter Handke auf den Nobelthron des Jahres 2018 bzw. 2019 gesetzt. Zur Erinnerung: 2018 wurde kein Literaturnobelpreis vergeben, weil sich einzelne Mitglieder der Jury nicht nur danebenbenommen, sondern gleich einen richtigen Skandalberg aufgehäuft hatten. Der Ehemann eines Komiteemitgliedes hatte nicht nur das Amt seiner Frau ausgenutzt, sondern wurde auch wegen mehrfacher Vergewaltigung angezeigt. Die Glaubwürdigkeit und der Ruf des Gremiums waren nachhaltig erschüttert.
Nun also eine Frau und ein Mann. Wie die
Komiteemitglieder zu ihrer Entscheidung gekommen sind, entzieht sich jedermanns Kenntnis. Inwieweit man der offiziellen Begründung folgen darf? Der Spekulation sind Tür und Tor geöffnet. Soll die hälftige Mann/Frau-Aufteilung suggerieren, hier habe man auf Geschlechtergerechtigkeit geachtet? Das zu glauben, fällt schwer: Olga Tokarczuk ist die 15. Preisträgerin, dagegen konnten 100 schreibende Herren Medaille und Preisgeld in Empfang nehmen. Ein klitzekleine Schieflage ist hier durchaus erkennbar.
Der Blick über den literarischen Tellerrand war für die Nobelkomitees all die Jahre ebenfalls nicht leicht, wenn man sich die Auswahl anhand ihrer geografischen Ausgewogenheit ansieht: Wenn ich mich nicht völlig verzählt habe, haben sich die Mitglieder 80 Mal für Schriftstellerinnen und Schriftsteller aus Europa entschieden. Zehn kamen aus den USA, nur drei aus Afrika. Zu glauben, dass da irgendwie ein Proporz eine Rolle gespielt hat, wäre sicher Unsinn.
Nächster Anlauf, die Auswahl des Komitees nachzuvollziehen. Haben möglicherweise die Botschaften, die Frau Tokarczuk und Herr Handke ihrem Lesepublikum vermittelt haben, den Ausschlag gegeben? Wenn man den Worten des Sprechers folgt, der den wartenden Medien in Stockholm die Entscheidung verkündet hat, weitet das Werk der polnischen Autorin den "Blick auf Mittel- und Osteuropa". Das stimmt. Olga Tokarczuk hat sich in ihren Werken derart deutlich gegen die konservative Regierung ihres Heimatlandes positioniert, dass sie seit Langem Morddrohungen erhält.
Peter Handke hat insbesondere dadurch auf sich aufmerksam gemacht, dass er für sich Theater neu definiert hat: In einem seiner Schauspiele ("Publikumsbeschimpfung", Erstaufführung 1966) werden die Zuschauer mit "Nettigkeiten" überhäuft. Es sollte ein Protest gegen die Altnazis sein. Wie es dazu passt, dass sich Handke Jahrzehnte später mit einer Grabrede von einem brutalen Autokraten - dem serbischen Ex-Diktator Slobodan Milosevic - verabschiedete und behauptete, dieser sei an dem Massaker in Srebrenica, bei dem 1995 etwa 8.000 bosnische Muslime ermordet wurden, gänzlich unschuldig und habe noch nicht einmal etwas davon gewusst, bleibt sein Geheimnis.
Und dann gibt es da noch Literaturkritiker wie Denis Scheck. Scheck kann sich vor Begeisterung kaum noch einkriegen. Noch am Abend der Bekanntgabe der Preisträger/in spricht er im SWR in der Sendung Kunscht! lobend von der Nobelkomission als "Bastion politischer Korrektheit", die es unterlassen hat, Handke wegen seiner politischen Irrwege nicht auszuzeichnen. Am selben Tag nennt Scheck die Entscheidung zugunsten des Österreichers in der ZDF-Sendung Kulturzeit "eine schallende Ohrfeige ins Gesicht der politischen Korrektheit". Ich bin verwirrt, Herr Scheck: Ist damit gemeint, dass sich die Komissionsmitglieder gegenseitig vermöbeln?
Literatur und die Bewertung ihrer Güte bleiben Geschmackssache. Was mich stört, ist die augenscheinlich so unterschiedliche Herangehensweise, nach der Preisträgerinnen und Preisträger ausgewählt werden. Auch die Vorbehalte gegen Literatur aus Asien, Afrika oder Mittel- und Südamerika werden - von den sehr wenigen Ausnahmen abgesehen - weiterhin kultiviert.
Der Preisstifter Alfred Nobel hat vor 134 Jahren in seinem Testament verfügt, nach welchen Gesichtspunkten die nach ihm benannten Preise vergeben werden sollen. Dort ist davon die Rede, dass "Preise denen zugeteilt werden, die im verflossenen Jahr der Menschheit den größten Nutzen gebracht haben." Außerdem soll der Literaturpreis dem gegeben werden, "der in der Literatur das beste in idealistischer Richtung geschaffen hat".
Zum Schluss heißt es: " Es ist mein ausdrücklicher Wille, dass bei der Preisverteilung keinerlei Rücksicht auf die Nationalität genommen werden darf, so dass nur der Würdigste den Preis erhält, ob er nun Skandinavier ist oder nicht..."
Ich habe seit Jahren einen Kandidaten, dem ich wünsche, den Nobelpreis zu bekommen. Der aus Kenia stammende und heute in den USA lebende Schriftsteller Ngũgĩ wa Thiong’o hat es meiner Meinung nach verdient, geehrt zu werden. Seit etlichen Jahren heißt es, er stünde auf der Nominierungsliste. Mittlerweile habe ich den Eindruck, dass er eher für die "Hall of Fame der ewigen Anwärter" als für den Nobelpreis vorgesehen ist. Aber irgendwann wird sich die Bastion der politischen Korrektheit vielleicht daran erinnern, welches Anliegen Alfred Nobel mit seiner Stiftung verfolgt hat.
Einen ersten Eindruck von Ngũgĩ wa Thiong’os Werk gibt es in der Besprechung seines Hauptwerkes, Herr der Krähen.
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